Closer
- Argon
- Erschienen: Januar 2008
- 48
- New York: Pocket Star, 2004, Titel: 'The Closer', Originalsprache
- Berlin: Argon, 2008, Seiten: 5, Übersetzt: Kessler, Martin, Bemerkung: gekürzt
Ein Monster jagt Monster
Vor drei Jahren hat ein Serienkiller die gesamte Familie des Kunstmalers Jack Salter auf grausamste Weise ausgelöscht. Der ist daraufhin zum unerbittlichen Rächer mutiert. Er sucht den Unhold, doch in dem Wissen, dass noch viele andere Mörder ihr Unwesen treiben, hat Jack seinen Rachefeldzug auf alle in den USA und Kanada aktiven Psychopathen ausgeweitet. Er jagt sie systematisch, lockt sie in die Falle und sperrt sie in seinen privaten Folterkeller. Dort müssen sie ihm ihre Untaten gestehen. Mit der Leiche des schließlich getöteten Mörders werden die dabei entstehenden Tonaufnahmen der Polizei zugespielt.
Die Medien, die Gesetzeshüter und die Angehörigen der Mordopfer haben Jack längst ins Herz geschlossen, da er die Monster auslöscht, die man auf legale Weise oft kaum dingfest machen kann. Mann nennt ihn den "Closer", denn Jack sorgt dafür, dass die Akten der Mörder geschlossen werden können.
Jack "arbeitet" auch deshalb so effektiv, weil er sich auf die Unterstützung der Prostituierten Nikki verlassen kann, der er einst das Leben rettete. Gemeinsam haben sie bereits diverse Serienkiller gestellt und ausgeschaltet. Jetzt steht Jack vor seiner größten Herausforderung: Er konnte die geheime "Jagdrevier"-Website infiltrieren, die Webmaster "Dschinn-X" als Netzwerk für Serienmörder eingerichtet hat. Hier können sie als "Rudel" miteinander kommunizieren, mit ihren Gräueltaten prahlen und "Jagdtipps" austauschen.
Wenn Jack die Nicknames der Teilnehmer entschlüsselt, kann er auf einen Schlag ein halbes Dutzend äußerst erfolgreicher Killer eliminieren. Darunter ist auch der "Patron", in dem Jack den Mörder seiner Familie erkennt. Er gibt sich als "Dschinn-X" aus und versucht seine Gegner zu täuschen und auszuspionieren. Doch die sind misstrauisch und sehr gewieft, wenn es um ihre Sicherheit geht. Nikki macht sich zudem Gedanken über Jacks psychische Verfassung. Die grausamen Folterverhöre haben ihre Spuren hinterlassen. Ist Jack noch der objektive Rächer, oder hat er das Lager gewechselt und ist selbst zum Lustmörder geworden ...?
Wenn schon, denn schon ...
Verkaufsbewährte Namen und grell angepriesene Unbekannte dominieren den deutschen Krimi-Buchmarkt. Gemeinsamer Nenner ist viel zu oft die mittelmäßige Qualität dieser Elaborate. Man muss wirklich entschlossen sein und über die Fähigkeit verfügen, Enttäuschungen gleich im Salventakt an der Leserseele abprallen zu lassen, will man in diesem Einheitsbrei nicht nur rühren, sondern etwas wirklich Lohnendes gleich Lesenswertes finden.
Wobei "lesenswert" ja nicht unbedingt "neu" oder gar "originell" bedeuten muss. Beide Attribute kann Donn Cortez für Closer sicher nicht beanspruchen. Das lässt sich aber selten so gut verschmerzen wie in diesem Fall. Closer ist Handwerk pur und fern jeder klassischen Qualität, wie das diejenigen, die zwischen Schund und Literatur zu differenzieren pflegen, nur zu gern und angewidert bestätigen werden. Aber Closer macht Spaß. Selten liest man einen Thriller, der nicht nur als Pageturner konzipiert wurde, sondern diesen Anspruch auch erfüllen kann. Dabei hat Donn Cortez im Grunde nur zwei bewährte Regeln beherzigt: Beherrsche deinen Job - das Schreiben - und gib dort Gas, wo die Wankelmütigen zaudern.
Der Vigilant mit seinem Drang zur Selbstjustiz gehört nicht nur in den USA zum festen Inventar der Unterhaltungsmedien. Zu verlockend ist der Gedanke, auf dem Weg zum "gerechten" Urteil eine Abkürzung zu nehmen, das scheinbar notorisch liberale und auch dem überführten Übeltäter schützenden Gesetz zu umgehen und die Strafe als Rache zu zelebrieren: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Selten wird dieses Prinzip so kompromisslos durchgespielt wie in Closer. Cortez arbeitet wie der Regisseur eines Horror-B-Movies mit intensiven Splatter-Einlagen. Zwar schwelgt er nicht in Blut & Gedärmen, doch er beschränkt sich nicht auf Andeutungen: Wenn Jack und das "Rudel" foltern, dann erfahren wir, was sie ihren Opfern antun.
Unter Blut und Schweiß kaum auseinanderzuhalten
Das geschieht nicht (nur) als Service für die Fans des aktuell beliebten Folter-Pornos à la Saw oder Hostel. Tatsächlich beschreibt Cortez "nur" den entsetzlichen "Bind-Torture-Kill"-Alltag realer Serienkiller und lässt diese zusätzlich darüber reflektieren. Wenn die plakativen Sitzungen ausführlicher Foltersitzungen auszuufern drohen, ersetzt Cortez sie lieber durch fiktive ´Essays´, in denen "Dschinn-X", "Gourmet", "Patron" oder "Road-Rage" über ihren "Job" philosophieren. Das Entsetzen speist sich aus dem sachlichen Tonfall, in dem sie über schauerlichste Gräuel diskutieren.
Auf einer zweiten Handlungsebene ist Closer die mindestens ebenso dramatische Höllenfahrt eines Mannes, der dem folgenschweren Irrtum unterliegt, er könne seinen inneren Frieden wiederfinden, indem er die Welt von ihren Dämonen befreit. "Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein." Dieser berühmte, fast schon zur Plattitüde verkommene Aphorismus Friedrich Nietzsches (Nr. 146; Jenseits von Gut und Böse, 1886) trifft den Nagel auf den Kopf. Jack hat die Grenze womöglich überschritten. Diese Frage stellt sich stellvertretend für den Leser Nikki, die nicht nur Jacks Partnerin bei der ´Jagd´ ist, sondern auch die Stimme der Vernunft verkörpert, für die Jack taub geworden ist. Wenn er foltert, dann wendet er die Methoden seiner Gegner an. Dabei bedient er sich der gleichen ´Argumente´ wie seine Gefangenen, wenn diese ihre Taten rechtfertigen. Kein Wunder, dass Nikki Schwierigkeiten hat, zwischen dem gleichermaßen mit Blut bespritzten Täter und seinen Opfer zu unterscheiden, wenn sie in Jacks Folterkeller schaut.
Die Ambivalenz des Mannes Jack, der im Grunde als Sympathiefigur dargestellt ist, wird von Cortez vorbildlich in den Dienst seiner Geschichte gestellt. Die Sprache ist nüchtern, kein Zeigefinger wird erhoben, keine Kompromisse werden gemacht; es wird erklärt aber nicht gewertet. Eine literarische Verfremdung der grausigen Fakten findet nicht statt. Dem Leser wird kein Hintertürchen gelassen.
Prompt und vom Verfasser natürlich methodisch geweckt stellt sich Unbehagen ein. Man wird zum Voyeur gemacht und muss Stellung beziehen: Ist es nicht "richtig", dass eingefleischte Psychopathen, die dem Gesetz und seinen Hütern viel zu oft durch die Finger schlüpfen, schlicht ausgerottet werden? Cortez verdeutlicht den Preis der Selbstjustiz, und das macht er besser als jeder predigende Gutmensch.
Mit dem Bleifuß auf dem Spannungspedal
Im Vordergrund steht für Cortez die Geschichte. Die ist beispielhaft geplottet, weil stringent, rasant und dabei doch voller Überraschungen. Wenn Jack sich gleich mit mehreren Serienkillern anlegt, hat er, den Cortez erfolgreich als extrem organisierten und deshalb so erfolgreichen "Closer" dargestellt hat, sich eindeutig übernommen. Das Schiefgehen eines ausgeklügelten Racheplans ist Klischee, aber so geschickt wie hier variiert beschert er einem Roman zuverlässig zusätzliche Spannungsschübe. Cortez wird im Finale möglicherweise zu theatralisch mit "Patrons" Rechtfertigung seiner Schandtaten als Katalysator einer monströsen und buchstäblichen l´art pour l´art; hier orientiert sich Cortez unnötig am genialischen Metzel-Vorbild Hannibal Lecter.
Die Idee einer Website für Serienkiller ist so "logisch", dass sich tatsächlich die Frage stellt, wieso oder ob es so etwas nicht schon gibt. Schon erwähnt wurde, dass Cortez auch hier die ´richtigen´, d. h. erschreckenden Worte findet, wenn er seine Psychopathen chatten, über das Für und Wider verschiedener Mordmethoden beraten oder über frustrierende ´Betriebsunfälle´ klagen lässt. Dieser Wahnsinn hat Methode. Das lässt ihn sehr real wirken.
Closer ist trotz der Geschwindigkeit, mit der die Ereignisse ablaufen, durchaus keine Hetzjagd von Mord zu Mord. Es gibt Ruhephasen, die vor allem der Erläuterung und Informationsvermittlung dienen. Sie sind sorgfältig in den Erzählfluss eingebettet. Nicht selten sprengen sie dessen Chronologie. Nicht einmal die Einleitung bleibt ohne Zeitsprünge. Was dort geschieht, wer Jack und Nikki sind und wer wen jagt, bleibt zunächst unklar. Nicht nur unsere beiden Hauptfiguren, sondern auch ihre Gegner lernen wir erst ´bei der Arbeit´ kennen.
Im letzten Drittel rückt Jacks Erkenntnisprozess in den Vordergrund. Er stellt sich endlich der Frage, ob "Closer" womöglich der Spitzname eines weiteren Serienkillers geworden ist. Die Antwort fällt erneut anders aus als erwartet. Im Anschluss demonstriert Cortez, wie man den Leser mit einer ganzen Kette infam eingefädelter Schlusstwists von einer Verwirrung in die nächste stürzt: Die wahre Identität des "Patrons" wird erfolgreich so spät wie möglich gelüftet.
Diese Tour-de-Force leitet gleichzeitig ein Happy-end ein, das man nur tragisch aber nochmals konsequent nennen kann. Es komplettiert einen Thriller, dessen Ökonomie vorbildlich ist. 400 Seiten benötigt Cortez für seine Geschichte. Sie werden mit einer Geschwindigkeit umgeblättert, die sogar den erfahrenen Leser überraschen dürfte ...
Donn Cortez, Argon
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