Verdammte Juwelen
- Desch
- Erschienen: Januar 1962
- 2
- London: Hutchinson, 1958, Titel: 'Three at the Angel', Originalsprache
- München: Desch, 1962, Übersetzt: Max Beutler, Bemerkung: Die Mitternachtsbücher Nr. 136
Unaufhaltsam dem Abgrund entgegen
Lou Fingerhut, Goldie Duggan, China Cribb: Drei erfolglose Boxer aus The Angel, einem Stadtteil im Londoner Bezirk Islington, stehen vor dem Nichts. Die Not lässt sie zu Verbrechern werden. Lou hat von einer reichen Witwe gehört, die ihren Schmuckschatz stets bei sich zu tragen pflegt. Er weiß, wo sie derzeit residiert, und plant sie mit seinen Kumpanen auszurauben.
Der Überfall gelingt, doch ihr Opfer hat das unerfahrene Trio zu gründlich gefesselt: Die Witwe erstickt an ihrem Knebel. Zum Raub kommt nun Mord, die Polizei fahndet mit einer Entschlossenheit, die unseren Möchtegern-Kriminellen zu Recht Todesangst einjagt. An Flucht ist nicht zu denken, denn die erbeuteten Juwelen sind heiß und müssen von einem Hehler erst umgeschliffen werden, um verkauft werden zu können.
Mit diesem Problem ließe sich fertig werden, doch der unbedarfte China protzt vor einer Ex-Freundin mit einem der Ringe aus der Beute. Lola hat sich längst einen reicheren Galan geangelt: Mike King ist ein gefürchteter Gangsterboss, der interessiert aufhorcht, als ihm seine Geliebte von Chinas Auftritt erzählt. King reimt sich rasch zusammen, dass China in den Juwelenraub, von dem die Zeitungen berichten, verwickelt ist. Er will dem Boxer die Beute abnehmen und hetzt seine Bande auf China.
Lou und Goldie haben eigene Sorgen. Der Hehler wird nervös, Lous Frau allzu neugierig. Das Wissen um den Verbleib der Juwelen verbreitet sich stetig weiter. Die Polizei kommt dem Trio langsam aber sicher auf die Spur. Panik macht sich breit, die Spannung wächst bis zu dem Punkt, an dem sie sich gewaltsam und blutig entlädt ...
Verbrechen ist ein Job für Profis
Drei Männer sind am Ende. Sie sind keine ‚echten‘ Verbrechen, sondern nur kleine Gauner, die sich auf eine Sache einlassen, die viel zu groß für sie ist. Zur mangelnden Erfahrung kommt unterdurchschnittliche Intelligenz, woran die eingesteckten Kopftreffer nicht unschuldig sein mögen. Da das Glück manchmal mit den Dummen ist, wie das Sprichwort sagt, gelingt ihnen ihr dilettantischer Streich. Doch der Preis, den sie für die erbeuteten Juwelen erzielen können, ist nicht annähernd hoch genug für das Unheil, das sie erwartet. Plötzlich sind sie Mörder. Ein Verbrechen führt zum nächsten. Verrat und Intrigen schwächen den Zusammenhalt der Gruppe, Fehler und die Tücke des Objekts schwächen ihre Deckung zusätzlich.
Darüber bemerken sie zu lange nicht, dass die Polizei ihr geringeres Problem darstellt. Denn an anderer Stelle lauern jene, denen die Lous, Goldies und Chinas dieser Welt als Handlanger und Opfer dienen. Sie beherrschen, was den drei Verlierern abgeht: die Fähigkeit sich ihrer Mitmenschen zu bedienen und das Wissen, wie Spuren zu verwischen sind. Mike King muss sich nicht einmal selbst die Finger schmutzig machen; für die Drecksarbeit hat er seine Leute. Lou und seine beiden Spießgesellen verfügen nicht über den Rückhalt einer Bande oder verlässliche Verbindungen zur Unterwelt. Sie stehen allein, und das nicht nur gegen die Polizei, sondern auch gegen Kings Strolche.
Frauen sind gefährlich!
Sie haben keine Chance, das ahnen sie sogar selbst, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Deshalb nehmen Lou, Goldie und China den Kampf auf. Wiederum fehlt ihnen die Einsicht zu begreifen, wie weit King gehen wird. Stück für Stück geht ihre kleine Welt in die Brüche. Bald sehen wir sie nur mehr laufen oder besser: flüchten. Sie sind - auch das gehört zum Genre - unfähig den Kampf aufzugeben, denn allzu nahe scheint die Chance, endlich die Verliererstraße verlassen zu können. Dabei laufen sie nur im Kreis, das Schicksal hat sie fest im Griff: Verdammte Juwelen ist sehr offensichtlich ein Noir-Krimi.
Gar nicht erfreut dürften die Leserinnen von Procters Frauenbild sein, obwohl es dem schwarzen Krimi entspricht. Frauen sind hier stets Ursache oder Auslöser gefährlicher Uneinigkeit dort, wo Zusammenhalt und Unterstützung von Nöten wären. Vier Frauenfiguren gibt es in Verdammte Juwelen: eine dumme, ehebrecherische Gattin, eine egoistische Schlampe, eine geistig derangierte Säuferin und ein infantiles Gänslein. Sie sind ‚ihren‘ Männern nie Stütze, sondern Mühlstein am Hals. Ihr geistiger Horizont ist auf ihre kleine, egoistische Welt beschränkt; sie fordern ständige Aufmerksamkeit, finanzielle Sicherheit, gesellschaftlichen Status. Als Katalysator für das Verhängnis taugen Procters Frauen allemal!
Menschen im moralischen Zwielicht
Verbrechen lohnt nicht: Schön wäre es aber so ist es nur dort, wo die Moralisten dieser Welt den Daumen auf die Realität halten können. Das gelang ihnen nie perfekt. Dennoch gab es Zeiten, in denen ein Kriminalroman, der nicht als Schund verteufelt werden wollte, mit der Überführung des Täters durch eine übermächtige Polizei und seiner gerechten Bestrafung enden musste. Der Zweite Weltkrieg sorgte zumindest im angelsächsischen Raum für den Bruch mit dieser Regel. Die Wirklichkeit hatte das Wunschdenken zumindest vorläufig gründlich entlarvt.
Der Film Noir ist eines der Ergebnisse dieses Umdenkens. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen in einem moralischen Grau. Was ist eigentlich Verbrechen? Offensichtlich etwas, das auch die Vertreter von Recht und Ordnung infizieren kann. Doch auch wenn sie redlich bleiben, sind die Polizisten des schwarzen Krimis desillusioniert, ausgebrannt, brutal.
Perfekte Verbrechen scheitern an Banalitäten aber eigentlich haben die Beteiligten nie eine Chance. Sie sind verdammt und tragen den Keim ihres Untergangs in sich. Glanzvoll und in ihrer Kriminalität faszinierend wirken sie nicht. Lou, Goldie und China sind perfekte Noir-Protagonisten: Sie machen sich selbst etwas vor, sie werden betrogen und belügen einander. Geschickt setzt Autor Procter Stein auf Stein und errichtet eine Mauer, die seine drei tragischen Helden immer weiter von der ersehnten Freiheit trennt und schließlich über ihnen zusammenbricht. Lou Fingerhut fasst es im Schlusssatz desillusioniert aber präzise in Worte: "Es war alles umsonst gewesen. Die ganze Unruhe, die Gefahren und die Anstrengungen umsonst - gänzlich umsonst." (S. 172) Dies in seiner unerbittlich konsequenten Abfolge zu beobachten ist bedrückend aber spannend.
Maurice Procter, Desch
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