Schwarzer Sommer

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2008
  • 7
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2009, Seiten: 203
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2008, Seiten: 203, Übersetzt: Gabriele Weber-Jarić
  • London: HarperCollins, 2007, Titel: 'The Dead of Summer ', Originalsprache
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Jörg Kijanski
65°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2008

Psychologisch geschickt aufgebauter Roman, der nur langsam voran kommt

Es war im letzten Jahr, da gewann ein äußerst dünnes, dafür aber recht teures Büchlein den Deutschen Krimi Preis, nachdem es zuvor einen seltsam großen medialen Hype um dieses Werk gab. Tannöd hieß der von den meisten renommierten Krimiexperten hoch gelobte Roman, dessen ungewöhnlicher Erfolg darauf basierte, dass es die Autorin verstand, das Genre des Kriminalromans "zu sprengen", denn nicht wenige Leserinnen und Leser fragten sich nach der Lektüre, ob hier die Bezeichnung Kriminalroman überhaupt zutreffend sei.

Camilla Ways Schwarzer Sommer (Originaltitel The Dead of Summer) stellt einen vor ähnliche Probleme, denn bei einem Psychothriller erwartet man ja schon ein bisschen mehr als drei Teenager, die rund 170 Seiten lang durch die Gegend ziehen und mit sich und ihrer Welt nichts anzufangen wissen. Doch der Reihe nach.

Anita Naidu sitzt im New-Cross-Krankenhaus und erzählt dort am 4. September 1986 Dr. Barton, was sich sieben Jahre zuvor in London ereignet hat. Damals, als das Haus in Myre Street 33 in der Presse nur "Das Horror-Haus" genannt wurde. Anita ist eine junge Pakistanin, die als 11-Jährige ihre Mutter verliert und daraufhin mit dem Rest ihrer Familie von Leeds nach London zieht. Die Familie gehört zur sozialen Unterschicht, der Vater sitzt seit dem Tod seiner Frau nur noch Bier trinkend vor der Glotze, die beiden älteren Schwestern sind meist unterwegs und ihr Bruder gerät zunehmend auf die schiefe Bahn.

Drei jugendliche Außenseiter schlagen die Zeit tot

Anita kommt in eine neue Schule und sitzt dort fortan auf dem einzig frei gebliebenen Platz direkt neben Denis, mit dem so keiner etwas anzufangen weis. Er ist dick, leicht unterbelichtet, kennt alle Folgen der Serie A-Team auswendig und vertreibt sich zudem seine Freizeit mit Kyle, der bei Anita direkt gegenüber wohnt. Kyle ist genauso verhaltensauffällig wie Denis. Von hagerer Gestalt, spricht kaum und meidet jeden Kontakt zu seiner Umgebung. Nur mit Denis zieht er täglich durch verlassene Industriegebiete, alte Schrottplätze oder runter zur Themse. Nachts schleicht er sich aus seinem Elternhaus und macht sich auf die Suche nach unterirdischen Höhlen und Sandgruben.

Anita, die ihre Haare sehr kurz trägt und daher wie ein Junge wirkt, ist fasziniert von Kyle. Er erscheint ihr dominant, zumal es ihm völlig egal ist, wie seine Umgebung auf ihn reagiert. So finden die drei Teenager notgedrungen zusammen, denn sie sind nicht nur in ihrer Schule die geborenen Verlierer. Kyle bleibt jedoch lange Zeit für Anita unerreichbar und so ziehen sie oft durch die Gegend, ohne miteinander zu sprechen. Dabei zeigt sich manchmal, dass in Kyle zwei verschiedene Menschen zu leben scheinen, da er oftmals völlig überraschend ausrastet oder aber in Apathie verfällt. So kommt es, dass im Laufe jenes Sommers, die drei Jugendlichen mit dem einige Jahre älteren Mike und dessen Kumpels aneinander geraten und nach einer gewagten Aktion von Kyle, müssen sie fortan um ihre Gesundheit fürchten.

Was geschah vor einem Jahr als Kyles Schwester verschwand?

Anita erfährt von einer Nachbarin, dass Kyles jüngere Schwester vor einem Jahr plötzlich verschwand und bis heute niemand weis, was aus ihr geworden ist. Natürlich traut sich Anita nicht, Kyle auf dieses Ereignis anzusprechen, fürchtet dessen Reaktion und vermutet schließlich, dass Kyle mehr über den Vorfall zu wissen scheint.

Genau hier liegt die Stärke dieses Romans, in dem auf den ersten rund 170 Seiten kaum etwas Nennenswertes passiert. Die Teenager hängen herum, bauen gelegentlich Mist und zudem erfährt man viel über die zerrütteten Familienverhältnisse. Dabei schleicht sich im Unterbewusstsein aber immer wieder die Frage in den Vordergrund, was wohl mit Kyles Schwester passiert ist? Hat Kyle etwas mit ihrem Verschwinden zu tun? Schließlich steht auf dem Buchcover ja das Wort Psychothriller, also muss da ja wohl etwas mehr vorgefallen sein, zumal am Ende dieses Sommers drei der Jugendlichen tot sein werden.

Bald haben wir das Jahr 1994, und draußen geht die James-Bulger-Show ab. Alles jammert: Wie konnte es nur geschehen? Und: Aufknüpfen sollte man die! Aug um Auge! In einer Tour. Es hört nicht auf.

Schimpfen Sie, verehrte Leserinnen und Leser der Krimi-Couch, jetzt bitte nicht voreilig mit dem Rezensenten, weil dieser angeblich den Ausgang der Handlung "verraten" hat. Dass drei der Jugendlichen sterben werden, erfahren Sie nämlich schon ganz zu Beginn (quasi im ersten Satz) und so speist dieser Roman seine psychologische Spannung auch aus der Frage, was da wohl - und natürlich warum - passiert sein mag. Die letzten rund 20 Seiten bieten eine Auflösung, die einen zwar irritiert zurücklässt, die aber vor allem für die teils langwierigen, ereignislosen Passagen mehr als entschädigt. Es kommt zu einer Tragödie, die es wahrlich in sich hat und so gelingt es auch Camilla Way, die Grenzen des herkömmlichen Psychothrillergenres zu überschreiten. Und wer weiß, vielleicht ist sie ja ebenfalls eine Kandidatin für den Deutschen Krimi Preis.

Schwarzer Sommer

Camilla Way, Rowohlt

Schwarzer Sommer

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