Satan schreibt Memoiren
- Luther
- Erschienen: Januar 1972
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- London: Collins, 1970, Titel: 'The Devils Finds Work', Originalsprache
- Baden-Baden: Luther, 1972, Titel: 'Teuflische Orgien', Seiten: 189, Bemerkung: J. Fürstauer
Böser Zauberer unter guten Bürgern
Einmal im Jahr besuchen die US-amerikanischen Antiquitätenhändler Dave Cannon und Bob Eddison England, um dort nach interessanten Stücken für ihren Laden zu stöbern. In Bartonbury, einem kleinen Städtchen in der Grafschaft Glouchestershire, wittern sie eine unerwartete Chance: Dort hat Tristram Vail seinen Altersruhesitz aufgeschlagen. Einst galt er als Hexenmeister und Antichrist, der eine große Anhängerschar um sich versammelte und durch gotteslästerliche und unzüchtige Praktiken von sich reden machte.
Nun ist Vail müde und knapp bei Kasse. Gern würden Cannon und Eddison einige Bände aus seiner legendären Bibliothek okkulter Schriften erwerben. Die Verhandlungen gestalten sich indes schwierig. Vail ist kein reuiger Sünder; im Gegenteil will er seine Memoiren schreiben, was einigen Jüngern, die inzwischen zu Ämtern und Würden gelangten, gar nicht gefallen dürfte. Außerdem geht das Gerücht, dass Vail hinter diversen Einbrüchen in Kirchen der Umgebung steckt, die anschließend auch noch geschändet wurden. Der Verdacht verstärkt sich, als Richard Foss, Vails Sekretär, in der Dorfkirche gefunden wird - scheinbar beim Versuch, einen kostbaren Kelch zu rauben, von einem alten Schwert durchbohrt, das sich wie durch Zauberhand (!) aus seiner Verankerung löste.
Chefinspektor Codd, der mit der Klärung des Falls beauftragt wird, ist ein alter Bekannter von Cannon und Eddison. Er hat deshalb nichts dagegen, dass sich das Duo detektivisch betätigt. Hinter den Kulissen von Bartonbury geht alles andere als beschaulich zu. Nicht nur der alte Vail hütet düstere Geheimnisse. Schwarze Magie oder simpler Betrug: Was steckt hinter den Ereignissen? Diese Frage gilt es zu beantworten, bevor sich der nächste "Unfall" ereignet ...
Die Macht der Vergangenheit
Alte Sünden sterben nicht wirklich, ohne diese Tatsache gäbe es die meisten Krimis gar nicht. Irgendwann hat man einen Fehler begangen, man verstieß gegen ein Gesetz oder eine moralische Regel, kam davon bzw. wurde nicht zur Rechenschaft gezogen. Das Leben geht weiter, man steigt auf, genießt gesellschaftliches Ansehen. Immer bleibt jedoch die Erinnerung, die von der Angst vor Entdeckung begleitet wird. Irgendwann ist es soweit. Wie wird man reagieren? Das offene Geständnis widerspricht natürlich dem Wesen des Krimis. Genregerecht wird versucht zu vertuschen, man verwickelt sich in Widersprüche, gerät in die Enge, deren Fesseln schließlich durch Gewalt gesprengt werden sollen, was alles nur schlimmer macht.
Dieser Plot ist wahrlich klassisch und zeitlos zugleich. Er wird gern verwendet und kann durch diverse Ausschmückungen individualisiert werden. Das gelingt bedrückend oft besser als in diesem Fall: Satan schreibt Memoiren - der Originaltitel lautet ähnlich knallig The Devil Finds Work - ist einerseits ein grundsolider und andererseits ein ziemlich langweiliger Krimi, was durch die altbackene Übersetzung noch unterstrichen wird. Das Landhaus, das Schloss, der kleine Ort: Ein wirklich inspirierter Autor vermag auch im abgegriffenen Ambiente des englischen Whodunit Stimmung und Spannung zu schaffen. Michael Delving, der seine schriftstellerischen Erfolge außerhalb des Krimis feierte, bringt nur handwerklich sauberes Mittelmaß hervor.
Zwei Amerikaner aber nicht in Paris
Seltsam fehl am Platz wirken Delvings Serienhelden. Dabei ist der Gedanke, zwei US-Amerikaner in die englische Provinz zu locken, gar nicht abwegig. Viele Krimi-Autoren haben sich des Kunstgriffs bedient, den Ort des Verbrechens quasi durch fremde Augen zu betrachten. Was für die Bewohner von Bartonbury selbstverständlich ist, muss den ausländischen Besuchern - und damit den Lesern - ausführlich erklärt werden. Amerikaner stehen darüber hinaus für eine lockere Lebensart, die gern in reizvollen Kontrast mit den steifen Briten gestellt wird.
Leider sind Dave Cannon und Bob Eddison zwei denkbar farblose Charaktere. Es musste noch ein Vierteljahrhundert verstreichen, bevor Archäologen, Historiker und Antiquitätenhändler zu Helden und die Buchläden mit Mystery-Thrillern geflutet wurden; Nicolas Cage führt in National Treasure (besonders Teil 2: Das Vermächtnis des geheimen Buches) vor, wie das dann filmisch umgesetzt wird: wesentlich actionreicher.
Dabei hat sich Autor Delving in dieser Hinsicht sogar etwas ausgedacht: Bob Eddison ist ein nordamerikanischer Ureinwohner (= "Indianer", wie das 1970 noch gesagt werden durfte). Das ist für die Krimi-Handlung völlig unerheblich. Stattdessen baut Delving eine Szene ein, in der Eddison mit Rassenvorurteilen konfrontiert wird, was schrecklich aufgesetzt wirkt, weil es offenkundig nur Vorwand für einen politisch korrekten Anti-Rassismus-Appell an die Leserschaft ist. Womöglich hat sich diese in den turbulenten 1970ern, in denen die Diskussion über Menschenrechte en vogue war, nicht so sehr darüber gewundert wie der Rezensent im 21. Jahrhundert.
Bartonbury wird von der üblichen Schar exzentrischer Engländer bevölkert, die Delving publikumswirksam von Agatha Christie entliehen hat. Die Atmosphäre ist so altertümlich, dass die Erwähnung der Gegenwart des Jahres 1970 beinahe störend wirkt. Viele Zeilen widmet unser Verfasser der Beschreibung historischer Bauwerke und Artefakte; vielleicht wird der kleine Ort deshalb von so vielen Käuzen bewohnt ... Bedauerlicherweise sind sie nur seltsam aber nicht liebenswert und nur in Maßen unterhaltsam.
Götterdämmerung für einen Magier
Mehr Mühe hat sich Delving mit der Figur des Tristram Vail gegeben. Er ist in Gestalt, Auftreten und Biografie ein akkurates Ebenbild von Aleister Crowley (1875-1947), dem "Magicker", Schriftsteller, Maler und Bergsteiger, der eine Zeitlang als "bösester Mensch des Jahrhunderts" galt und sich selbst als die "Große Bestie 666" aus den Offenbarungen des Johannes bezeichnete. (Insofern ist es nachvollziehbar, das uns Christopher Lee, der in seiner langen Filmkarriere so manchen gottlosen Finsterling mimte, vom Cover der deutschen Ausgabe bedrohlich anstarrt.) Tatsächlich war Crowley kein simpler Satanist, was seine Gegner, in den östlichen und kabbalistischen Lehren meist wenig bewandert und von Crowley, einem genialen Selbstdarsteller, geschickt manipuliert und gereizt, in der Regel nicht zur Kenntnis nahmen.
Michael Delving präsentiert mit Tristram Vail einen gealterten, von der Welt weitgehend vergessenen Crowley, der aber noch als Schatten seiner selbst eine faszinierende Persönlichkeit ist und von seinen Attitüden nicht lassen mag. Vail meint die Regeln der Selbstvermarktung verinnerlicht zu haben; er ist fest davon überzeugt, dass ihm seine Memoiren den Weg zurück ins Rampenlicht bahnen, denn Sex sells, wie der alte Zyniker weiß. Zu seinem Pech verlässt er sich nicht darauf, sondern wandelt vorsichtshalber auch auf krummen Pfaden. Sein Schicksal ist nicht tragisch, sondern kläglich. Damit passt es sehr gut ins Finale, das zwar aufklärt aber nichts von der Spannung der klassischen Kriminalromane aufweist, auch wenn alle Verdächtigen genrekonform zur Auflösung zusammenkommen: Dieser Roman ist keine echte Wiederentdeckung. Satan schreibt Memoiren dürfte schon 1970 als simples Lesefutter gedient haben. Dabei ist es geblieben; nicht hinter jedem angejahrten Krimi verbirgt sich halt ein Klassiker, sondern manchmal nur - Staub ...
Michael Delving, Luther
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