Zwillingsspiel

  • Lübbe Audio
  • Erschienen: Januar 2008
  • 10
  • Bergisch Gladbach: Lübbe Audio, 2008, Seiten: 6, Übersetzt: David Nathan
  • München: Knaur, 2018, Seiten: 432, Originalsprache
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Jörg Kijanski
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2008

Terroranschlag in Berlin. Kommissar Selig vermutet den Attentäter in den eigenen Reihen

Es ist bereits der dritte Bombenanschlag binnen zwei Wochen. Die Zahl der Toten steigt auf 78 Personen, zahllose Verletzte nicht mitgerechnet. Und doch ist einiges anders, als an dem Berliner S-Bahnhof Savignyplatz die dritte Bombe explodiert und sieben Menschen mit in den Tod nimmt. Ausgerechnet Kommissar Paul Selig hat Bereitschaftsdienst, während seine Kollegen allesamt auf einer kurzfristig einberufenen Fortbildungsveranstaltung sind. Selig, der Kommissar mit der schlechtesten Aufklärungsquote, der stets bei Beförderungen übergangen und von seinen Kollegen nicht ernst genommen wird. Ausgerechnet der introvertierte, stotternde Selig muss den Tatort als Erster begutachten, wobei allein dieser Umstand dazu führen müsste, ihm die Ermittlungen direkt wieder zu entziehen, denn kaum vor Ort angekommen erbricht sich Selig schon beim Anblick der Leichen.

Doch zu seiner eigenen Verwunderung wird ihm der Fall nicht entzogen. Ganz im Gegenteil, er soll die Ermittlungen leiten, zum Schock seiner routinierteren Kollegen Wagner und Zinkowsky, die nur widerwillig seine absurd erscheinenden Arbeitsanweisungen befolgen. Selig indessen beschleicht ein seltsamer Verdacht: Wurde er, der geborene Verlierer, mit den Ermittlungen beauftragt, weil ihm jemand die Lösung des Falles nicht zutraut? Und wenn ja, müsste dann nicht diese Person aus den eigenen Reihen stammen? Angesichts dieser kaum vorstellbaren Vermutung beschließt Selig auf eigene Faust zu ermitteln und schon bald gibt es deutliche Hinweise, dass der Täter des dritten Anschlages nur ein Trittbrettfahrer ist und zudem tatsächlich einer der Ermittler sein muss.

 

"Wir sollten ein Täterprofil anlegen."
"Auf welcher Basis? Wir wissen nichts über den Täter."
"Wir wissen, dass er zur Polizei gehört. Er hat Zugang zu unserer Direktion, und er kennt die Ermittlungsakten von den ersten beiden Attentaten."
"Diese Akten kennen Hunderte von Personen: bei uns, im BKA, im LKA, im Innenministerium."

 

Währenddessen kämpfen Bundeskanzler Bachstein und Innenminister Weyland um ihr politisches Überleben. Wenige Wochen sind es nur noch bis zur nächsten Bundestagswahl und die Umfragewerte sinken kontinuierlich. Weylands Beraterin Lisa Westphal, Seligs Zwillingsschwester, versucht die Situation zu retten, indem sie Alexander Kaskan in das Beraterteam des Bundeskanzlers zurückholen will. Kaskan war vor Jahren als politischer Berater maßgeblich am Aufstieg Bachsteins beteiligt, doch dann musste er für einige Jahre ins Gefängnis. Jetzt wäre er hinter den Kulissen wieder einsetzbar, aber unter den Opfern des Anschlages vom Savignyplatz war Kaskans einzige Tochter Isabel. Die von (vermeintlich) islamistischen Aktivisten verübten Anschläge lastet Kaskan der Politik Bachsteins an und sehnt nach Rache. Dabei hat er seine Rechnung ohne die karrierebesessene Lisa Westphal gemacht...

Wenn ein Drehbuchautor einen Roman schreibt, kommt oft die Vorlage für eine Verfilmung heraus

Wenn ein gestandener Drehbuchautor einen Roman schreibt, ist das Ergebnis nicht selten vorhersehbar. Schnelle Sequenzen, ein bildhafter und treibender Erzählstil mit möglichst vielen, dafür aber kurzen Kapiteln. Hauptsache Tempo und als Grundlage für eine spätere Verfilmung verwertbar. Markus Stromiedel macht bei seinem Romandebüt Zwillingsspiel da keine Ausnahme. Sehr schnell und oft wechselt das Szenario von Kommissar Selig und seinem Team in die Sphären der großen Politik, wo Seligs Zwillingsschwester Westphal ihre ganz eigenen Karrierepläne verfolgt. Nebenbei sorgen der undurchsichtige Pressesprecher des Berliner Polizeipräsidenten, der frühere Politberater Kaskan und viele andere Figuren dafür, dass man zunächst recht schnell in eine kaum zu beherrschende Story gerät. Fast alle Figuren verhalten sich verdächtig, jeder scheint sein eigenes Ding drehen zu wollen, jeder kann der "Maulwurf" aus den eigenen Reihen sein.

Zwei ungleiche Geschwister prallen aufeinander

Die Figur des Protagonisten Paul Selig, einem eher hoffnungslosen Fall, der seit seiner Jugend von seiner Schwester dominiert wird, ist dem Autor glänzend gelungen und so ist es nicht verwunderlich, dass die Sympathien von vornherein klar verteilt sind. Hier der Underdog, der in dem neuen Fall - wenn auch ungewollt - die große Chance sieht, es allen zu zeigen und (Überraschung!!) über seine eigenen Kräfte hinaus wächst; dort seine karrieregeile, in jeder Hinsicht skrupellose Schwester Lisa. Die übrigen Figuren, von Kaskan abgesehen, bleiben farblos und kommen mitunter (so z. B. Bachstein und Weyland) recht stereotyp daher; wie bei einem Drehbuch halt.

Die Story orientiert sich an einem aktuellen Thema, einer möglichen terroristischen Anschlagswelle durch islamistische Fundamentalisten in der Hauptstadt. Diese Horrorvision ist nicht neu, wird aber von Stromiedel überzeugend dargestellt und mit welch tiefem Griff in die Trickkiste Lisa Westphal versucht, die Bundestagswahl bzw. die Sympathiewerte des Kanzlers zu beeinflussen, hat einen Preis für besondere Originalität verdient. Dass das Schreckensszenario, wie das Buchcover suggeriert, "jeden Tag eintreten könnte", dürfte jedoch etwas arg weit hergeholt sein. Zumindest wenn man bedenkt, dass die Geschichte in Deutschland spielt.

Das größte Manko ist das vorhersehbare Ende

Zwillingsspiel hat seine Stärken, aber leider auch seine Schwächen. Vor allem bedarf es nicht eines all zu hohen Denkvermögens, um sich den Showdown vorstellen zu können. Ebenso werden einige Handlungsstränge bzw. Verhaltensweisen nicht aufgelöst. Dennoch ist Zwillingsspiel ein Roman, der unter den aktuellen Neuerscheinungen eine Empfehlung verdient hat. Ein Vergleich mit dem finnischen Bestsellerautor Ilkka Remes sei an dieser Stelle gewagt.

Zwillingsspiel

Markus Stromiedel, Lübbe Audio

Zwillingsspiel

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