Sternstunde der Mörder
- Goldmann
- Erschienen: Januar 1997
- 5
- Berlin: Knaus, 1995, Seiten: 476, Übersetzt: Karl-Heinz Jähn
- München: Goldmann, 1997, Seiten: 476, Übersetzt: Karl-Heinz Jähn
Ein Appell an die Menschlichkeit
Sternstunde der Mörder ist der erste und bisher einzige Kriminalroman des tschechischen Dramatikers und Politikers. Pavel Kohout hat die tschechische Stadt Prag im Jahr 1945 während der letzten Tage der deutschen Besatzung zum Schauplatz einer Mordserie auserkoren. Die Mehrdeutigkeit des Buchtitels fällt sofort ins Auge, denn die tschechische Hauptstadt erlebte in den letzten Tagen des Naziterrors die blutigsten Kämpfe des Zweiten Weltkriegs. Als am 9. Mai die Rote Armee in der Moldau-Metropole eintrifft, sind dem Aufstand bereits mehr als 1600 Tschechen, 900 Deutsche und 500 Russen zum Opfer gefallen.
Ausgeweidete Häuser und Leichen
Inmitten eines Bombardements ist die deutsche Baronin Elisabeth von Pommern das erste Opfer eines Serienmörders. Da ein tschechischer Täter vermutet wird, kommt es zu einer Kooperation der Protektoratspolizei mit der deutschen Ordnungsmacht. Die Gestapo hat so einen Vorwand gefunden, den Feind auszuspionieren. Doch dem Mörder kommt es nicht auf die Nationalität seiner Opfer an, sondern darauf, wie er tötet. Sein nächstes Arrangement vollzieht er an der Tschechin Barbora Pospíchalová, deren Zurschaustellung er allerdings durch einen versehentlichen Wohnungsbrand vernichtet. Und danach trifft es zwei Frauen, die die Gräber ihrer gefallenen Ehemänner besuchen. Verfolgt der nun als "Witwenschlächter" titulierte Mörder seine Beute vom Friedhof aus?
Werden aus Feinden Kollegen?
Hauptkommissar Beran und sein Assistent Morava von der tschechischen Protektoratspolizei und der deutsche Oberkriminalrat Buback ermitteln nun gemeinsam. Der in Prag geborene Buback scheint ein ernsthaftes Interesse an der Aufklärung der Morde zu entwickeln. Immer weniger fügt er sich in die Rolle des Kontrolleurs und agiert stattdessen an Moravas Seite als Kriminalist.
Inzwischen gerät die politische Situation in Prag immer mehr außer Kontrolle, denn die verhasste Besatzungsmacht liegt am Boden. Wer nicht fliehen kann, setzt sich dem kaum noch verhohlenem Hass der Unterdrückten aus. Auch der Serienmörder, der immer wieder im Chaos entwischen kann, findet neue Wege, seinen Liebe zur Gewalt auszuleben.
Wer führt was im Schilde?
Drei Personen stehen im Mittelpunkt dieser Kriminalgeschichte am historischen Scheitelpunkt des 20. Jahrhunderts. Die Persönlichkeiten des Tschechen Morava, des Deutschen Buback und des Serienmörders könnten kaum unterschiedlicher sein und haben dennoch Gemeinsamkeiten.
Im Zusammenspiel der beiden Kriminalisten entsteht immer wieder eine spannungsgeladene Atmosphäre. Lange ist ungewiss, ob Buback seine Kollegialität nur vortäuscht, um den Tschechen schließlich in den Rücken zu fallen.
Der Autor charakterisiert den Mörder als einen Psychopathen, der im Auftrag einer inneren Stimme killt. Die Gründe, warum er die Frauen tötet, haben durchaus Ähnlichkeit mit den Motiven der selbst ernannten Herrenmenschen, die vorgeben, die Welt vom Übel zu befreien.
Als Buback und Morava dem Killer immer näher kommen, steigert sich die Anspannung und schlägt anschließend in Frustration um. Der Täter kann immer wieder entwischen und seine Spur verliert sich im Chaos.
Thriller und historisches Politdrama
Ein Appell an die Menschlichkeit zieht sich als roter Faden durch Kohouts Werk, das sich wie ein Krimi liest und historische Fakten lehrt. Der Autor verbindet die Schicksale von Menschen, die sich in einer Zeit der Ungewissheit voller Misstrauen beäugen und dennoch zusammen arbeiten, um einen Mörder aufzuhalten. Die politische Krise, die in Prag unmittelbar nach Hitlers Tod ausbricht, vertauscht die Rollen der Unterdrücker und der Unterdrückten.
Kohout stellt dem politischen Wahnsinn die individuelle Perversion des Serienkillers gegenüber. Zugleich beschert uns der Autor tiefe Einblicke in die Seele desillusionierter Menschen, die sich sowohl auf der Täter- als auch auf der Opferseite des Naziterrors befinden. Dabei enthält er sich jeglicher Wertung, sondern demonstriert, wie oft sich menschliches Handeln nicht in Gut-Böse Kategorien einordnen lässt.
Sternstunde der Mörder hat Kohout in einem gehobenen, klassischen Stil, den der Übersetzer effektvoll in die deutsche Sprache übertragen hat, geschrieben. Es ist beeindruckend, wie treffsicher der Autor formuliert. Sätze wie:
Dass dieser Mensch, [...] seine Familie beizeiten in Sicherheit brachte, kam Buback menschlich begreiflich vor, doch dass er als Haupt der hiesigen Reichsjustiz [...] einen hundsgemeinen Raub beging, verschlug ihm den Atem. [..]. Schweigend blickte er auf den schweren Flügel, der im Wagen verschwand.[...]
Ratte! dachte Buback wütend. Ratten wie Du haben alle Völker Europas gegen uns aufgehetzt und jetzt verlassen sie als erste mit ihrer Beute das sinkende Schiff.
bringen ihre eindringliche Botschaft genau auf den Punkt.
Dem Autor ist mit Sternstunde der Mörder einerseits ein packender Krimi mit vielschichtigen Figuren, vor allem aber ein kluges und engagiertes zeitgeschichtliches Portrait gelungen, das trotz der historischen Kulisse eine Fülle brandaktueller Aspekte diskutiert - eine außergewöhnliche Kombination aus guter Unterhaltung und geistiger Horizonterweiterung.
Pavel Kohout, Goldmann
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