Im Zeichen des Blutes
- Ullstein
- Erschienen: Januar 2008
- 12
- Paris: Le Passage, 2007, Titel: 'La mémoire fântome', Seiten: 429, Originalsprache
- Berlin: Ullstein, 2008, Seiten: 393, Übersetzt: Ingrid Kalbhen
(Noch) keine Konkurrenz für Maxime Chattam
In einem Wohnheim findet Polizeileutnant Lucie Henebelle eine junge Frau vor, die offenbar an Händen und Füßen gefesselt war. Die Frau kann zwar ihren Namen Manon Moinet angeben, ist aber ansonsten völlig orientierungslos. Aufgrund einer Einritzung in ihrer Hand "Pr wieder da" behauptet sie, ein Opfer des "Professors" gewesen zu sein. Mit einem Schlag ist Lucies Interesse erweckt, denn der Professor ist ein schon legendärer Serienmörder, der bis vor ungefähr vier Jahren sein Unwesen trieb und sechs Menschen ermordete, darunter auch Manons Schwester. Bis heute wurde er nicht gefasst.
"Hast du ihre aktuelle Adresse herausfinden können?"
"Hm, ja. Der Boulevard der Verblichenen."
"Was?"
"Nun, der Friedhof."
Lucie findet heraus, dass Manon unter einer unheilbaren und seltenen Form der Amnesie leidet, die von einem Überfall herrührt, bei der ihr vor Jahren der Hals zugedrückt wurde. In der Annahme sie umgebracht zu haben, lies der Täter voreilig von ihr ab. Seitdem kann sich Manon zwar an die Ereignisse vor dem Überfall erinnern, alles was danach passierte ist jedoch weg und was in der Gegenwart geschieht, vergisst sie augenblicklich.
"Und worum geht es bei diesem Strychnin genau?"
"Haben Sie nie Agatha Christie gelesen?"
"Ist nicht so mein Fall."
"Sollte es aber. Dieses Gift war in den 50er Jahren sehr in Mode, da man es leicht bekommen konnte. Strychnin gehört zu den Rodentiziden, man benutzt es zur Bekämpfung von Schädlingen."
Als sich Lucie den Ort ansieht, an dem Manon gefangen gehalten wurde, entdeckt sie eine geheime Botschaft, wonach in wenigen Stunden ein weiterer Mord geschehen soll. Diese führt sie mit Manons Hilfe zu dem "Geisterhaus von Hem", in dem es eine Reihe unerklärlicher Morde gab. Dort stoßen Lucie und Manon auf ein weiteres Rätsel, welches die beiden letztlich zu dem Haus der 79-jährigen Renée Dubreuil, dem "Teufel vom See", bringt. Dubreuil hatte ihre drei Töchter getötet bevor diese von ihrem Mann erschossen wurden. Nach jahrelanger Haft bewohnt sie nun ein abgelegenes Haus am See. Dort angekommen findet Lucie nur ihre grausam entstellte und skalpierte Leiche. Sollte nach mehreren Jahren der Professor wieder aktiv geworden sein?
Sehr viel Fantasie, aber leider auch nicht weniger Schwachstellen
Eines kann man Franck Thilliez' zweitem Roman "Im Zeichen des Blutes" sicher nicht vorwerfen, denn an Fantasie fehlt es dem Autor sicher nicht. Das Buch beginnt mit ordentlichem Tempo und wird kurz nach dem Einstieg mit einem längeren Ausflug in die Welt unseres seltsamen Gehirns unterbrochen. Über Amnesie, Schizophrenie und die unterschiedlichen Gedächtnisregionen wie beispielsweise das autobiographische, das prozedurale und das semantische Gedächtnis lesen wir mehr, als unbedingt sein muss, um der weiteren Handlung folgen zu können. Aber sei es drum, der Autor hat sich mit dem Thema umfangreich befasst, also erkennen wir den guten Willen an.
Der Schreibstil?
Den guten Willen vermissen lässt mitunter der Schreibstil, vor allem in der zweiten Hälfte. Lag es am Autor selbst oder an der Übersetzung oder befand sich womöglich das gesamte Lektorat des Ullstein-Verlages im Urlaub? Nervtötend oft finden sich hier statt "Lucie" oder "Manon" immer und immer wieder "die junge Frau", "die junge Polizistin", "die junge Mathematikerin" und als besonders ätzende Krönung "die an Amnesie leidende Frau". Ja leiden denn alle Leser/innen dieses Buches selbst an Amnesie, dass man diesen "Hinweis" alle paar Seiten ständig wiederholen muss? Nein, ganz sicher nicht und so leidet der Lesegenuss denn doch gewaltig aufgrund solcher völlig unnötiger Schwachstellen.
Und die Handlung?
Sagen wir so: Würde auf dem Buchcover Maxime Chattam als Autor stehen, man würde es glauben. So erfindungsreich war schon lange kein Autor mehr und dies ist jetzt gar nicht mal bösartig gemeint. Der entstehende Wirrwarr aus Amnesie und mathematischen Rätseln ist gefällig, wenngleich es nicht immer leicht ist, der Handlung zu folgen. Der Professor wird immer nur erwähnt, ohne selber in Erscheinung zu treten und bekommt in Anspielungen zunehmend Konkurrenz von dem Rothaar-Mörder. So jagt man also gleich zwei Serienmörder und hat es zusätzlich noch mit der Frage zu tun, wer damals bei Manon eingebrochen ist, denn dieser Fall tritt erneut ein, und wer sie zu beschützen versucht. Dass der Autor bei dem ganzen Durcheinander weitgehend den Überblick behält ist eine anerkennenswerte Leistung.
Und die Charaktere?
Beschränken wir uns aus Platz- und Zeitgründen auf die beiden Protagonistinnen. Die Darstellung der an Amnesie leidenden Manon ist glaubwürdig gelungen. In einem Moment geht sie mit Lucie noch auf Erkundungstour, nur um sie zwei Minuten später niederzuschlagen, da sie sich von ihr bedroht fühlt. Dass sich etliche Gesprächsverläufe ständig wiederholen stört nicht, sondern sorgt ganz im Gegenteil für Authentizität, denn da Manon alles sofort wieder vergisst, erscheint es logisch, dass sie sich ständig nach dem aktuellen Geschehen erkundigt. Bliebe Lucie: Au, da ging ja dann doch einiges schief. Als allein erziehende Mutter zweier vierjähriger Mädchen, will sie sich natürlich in erster Linie um den Nachwuchs kümmern. Schade, dass sie dies an keiner einzigen Stelle des Romans praktiziert, sondern stattdessen zur teamunfähigen Alleingängerin mutiert, die mit zunehmender Handlungsdauer immer unrealistischere Heldentaten vollbringt oder besser gesagt vollbringen will. Daneben gibt es etliche klischeehafte Randfiguren, aber lassen wir das.
Und das Ende?
Da gibt Franck Thilliez wirklich alles und stellt selbst den schon angesprochenen Kollegen Chattam so locker in die Ecke, dass einem mehrfach der Atem stockt. Die "besondere Originalität" ist - wie schon erwähnt - mehr als "beeindruckend", ansonsten ist "Im Zeichen des Blutes" jedoch ein Mainstream-Thriller mit erheblichen Schwachstellen. Gelingt es dem Autor diese abzustellen, dann darf man sich auf weitere Werke freuen.
Franck Thilliez, Ullstein
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