CIA - Die ganze Geschichte

  • Erschienen: Januar 2000
  • 5

Leichenraub hat zwar eine Handlung in der Gegenwart, aber eigentlich ist das nur ein gekonnt gemachter Aufhänger um ins beginnende 19. Jahrhundert abzuschweifen, wo sich auch der eigentliche Kriminalfall abspielt. Der amerikanische Titel The Bone Garden bezieht sich deutlich auf die Gegenwart, in der Julia Hamill beim Umgraben ihres Gartens auf Knochenreste stößt, die nach einer Untersuchung zweifelsfrei schon sehr lange in der Erde liegen. Mit Hilfe des kauzigen Henry Page beginnt Julia in Briefen aus der Vergangenheit zu graben und stößt so auf die Lebensgeschichte von Rose Connoly und Norris Marshall.

Rose Connollys Schwester stirbt kurz nach der Geburt ihrer Tochter und sie nimmt sich des kleinen Mädchens an, damit der Vater nicht an das Neugeborene kommt und es verkaufen kann. Denn die Menschen gehören zu den Ärmsten der Armen in den dunkelsten Vierteln Bostons. Dort im Westend geistert ein Monster mit schwarzen Schwingen und dem Gesicht eines Totenschädels, der Ripper, der vor den Augen von Rose eine Krankenschwester ermordet. Und ihm liegt daran keine Zeugen zu hinterlassen.

Norris Marshall, auch nicht gerade aus begüterten Kreisen, studiert Medizin und hat beweist beim Sezieren von Leichen ein goldenes Händchen, wodurch ihm das Wohlwollen der Lehrenden sicher ist. Aber Lernen kann man nur, wenn es auch Anschauungsmaterial gibt und deswegen benötigt die Universität Leichen, die skrupellose Menschen aus ihren Gräbern holen und verkaufen. Deshalb auch der deutsche Titel Leichenraub. Auch die Opfer des Rippers landen auf dem Seziertisch. Doch zuvor hat auch Norris Marshall den Ripper bei der Arbeit gesehen. Doch keiner glaubt ihm und die Polizei hält ihn selbst für den Killer aus dem Westend.

Rose und Norris haben also ein gemeinsames Interesse mit dem Leben davon zu kommen und den Killer zu entlarven. Dabei kommen sie sich natürlich näher ...

Wenn auch die Rahmengeschichte nicht das Gelbe vom Ei ist, so hat doch der Großteil der geschichtlichen Handlung ordentlich Potential für einen Krimi. Gerritsen kann hier natürlich ihre medizinische Vorbildung bestens verwerten und der Ausflug in die Geschichte ist von Anfang an packend geschrieben. Die unsäglichen hygienischen Zustände in Entbindungsanstalten und an der medizinischen Fakultät werden in deutlichen Bildern geschildert, zu einer Zeit als Ignaz Semmelweis in Europa noch nicht als Retter der Mütter bekannt war. Und diese schaurigen Tatsachen sind wohl auch das wichtigste Spannungselement im ganzen Thriller. Das Elend der Unterschicht und der krasse Gegensatz zur Oberschicht bieten den scharfen Kontrast zwischen dem Norris Marshall immer wieder pendelt. Der junge Mann ist wohl die am besten skizzierte Figur in diesem Histo-Krimi, ein Wanderer zwischen den Welten, der sich in beiden Kreisen bewegen muss.

Rose Connolly ist ein starkes Mädchen, das ohne Rücksicht auf Verluste ihr karges Leben bewältigt, damit sie das Kind ihrer Tochter aufziehen kann, ohne sich dabei verkaufen zu müssen. Wie schwer der Stand einer ledigen Frau mit einem Kind in der damaligen Gesellschaft war, wird von der Autorin sehr eindringlich geschildert und mehr als einmal bekommt man bei diesen Zuständen eine Gänsehaut, denn Gerritsens Bildsprache ist hier sichtlich spannender als die gesamte Handlung, die natürlich in der Gegenwart ihren Schlusspunkt findet.

Wer ein Faible für Arztromane und/oder Geschichtskrimis hat, der kann bei diesem Buch keinen Fehler machen. Wären da nicht die eher langweiligen Passagen aus der Jetztzeit, die den Lesefluss ständig unterbrechen, könnte man Leichenraub eine Höchstwertung geben.

CIA - Die ganze Geschichte
CIA - Die ganze Geschichte
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Michael Drewniok
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2008

Frankensteins Spitzel- und Terror-Monster

"Der Krieg ist der Vater aller Dinge", sprach der Philosoph Heraklit schon im 6. Jh. vor Chr., aber er fuhr so fort: "Die einen macht er zu Göttern, die andern zu Menschen, die einen zu Sklaven, die andern zu Freien." Dieser Teil wird im Zitat gern unterschlagen. Damit wollte Heraklit auf die Ambivalenz der Dinge hinweisen, die ein Krieg hervorbringen kann.

Man könnte meinen, der weise Mann habe bereits vor 2500 Jahren die Gründung der "Central Intelligence Agency" und ihr Scheitern vorausgesehen. Denn ein Kind des Krieges, des II. Weltkriegs sogar, ist diese CIA, die ursprünglich Nachrichten aus aller Welt sammeln, sichten und auswerten sollte, die für die politische Alltagsarbeit des US-Präsidenten von Relevanz sein konnten.

In sechs Kapiteln berichtet der Journalist Tim Weiner, wie einer an sich guten Idee ein Monster entsprang, das die Weltgeschichte auf kriminelle Weise veränderte und entscheidende Mitschuld daran trägt, dass die heute stärkste Großmacht auf Erden Instrumente wie Mord und Folter in ihre Politik aufgenommen hat.

"Anfangs wussten wir nichts", überschreibt Weiner das erste Kapitel, das die Gründerjahre der CIA unter Präsident Truman (1945-1953) beschreibt. Der Kampf gegen die Nazis und die Japaner war gewonnen, der Kalte Krieg mit der Sowjetunion und China stand bevor. Um ihn nicht militärisch führen zu müssen, waren Informationen nötig, die der neue Gegner selbstverständlich sorgfältig geheim hielt. Von der Informationsbeschaffung bis zum Informationsdiebstahl war es daher nicht nur gedanklich ein kurzer Weg.

Doch Hektik, Unkenntnis und Ratlosigkeit wurden die drei grundsätzlichen Pfeiler der CIA, die ohne Wissen um die Mechanismen erfolgreichen Spitzelns den Feind hinter dem Eisernen Vorhang ausspionieren sollte. Jeder wusste, dass man eine solche Institution benötigte, doch niemand hatte einen Ahnung, wie sie aufzubauen und zu organisieren war.

Dies blieben keine Anfangsschwierigkeiten. "Die CIA unter Eisenhower, 1953 bis 1961", lernte rein gar nichts aus ihren Fehlern, sondern ergänzte die lange Liste falsch geplanter und fehlgeschlagener Spionage-Einsätze um eine neue Todsünde: Die CIA begann politisch aktiv zu werden, indem sie missliebige Regierungen und Gruppierungen zu unterwandern und aus dem Feld zu schlagen suchte. Verbündete oft zweifelhafter Herkunft wurden mit Geld und Waffen versorgt, Sabotageakte und Attentate gefördert, die Autonomie der betroffenen Nationen und das Recht mit Füßen getreten. Korea und Kuba bildeten die Klammer für die CIA-Aktivitäten dieser Jahre, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie aufflogen, fehlschlugen und ein blutiges Ende nahmen; meist geschah dies alles gleichzeitig.

"Unter Kennedy und Johnson" komplettierte die CIA nicht nur die außenpolitischen Debakel durch den Vietnamkrieg. Die US-Regierung begann den Geheimdienst zur Bespitzelung der eigenen Bürger zu missbrauchen. Wachsende Kritik an den Menschenrechtsverletzungen durch die und den Diskriminierungen in den USA machte dem politischen Establishment zu schaffen, das keineswegs daran dachte, sich mit der Opposition und ihren gerechtfertigten Forderungen arrangieren, sondern diese den "Commies" gleichsetzte und als Staatsfeinde betrachtete.

Pikanterweise begann der Abstieg der CIA ausgerechnet unter den Präsidenten Nixon und Ford (1968-1977) - pikanterweise deshalb, weil der paranoide Nixon, den seine Watergate-Schnüffeleien zu Fall brachten, nicht einmal den Hightech-Spitzel der CIA traute. Die Öffentlichkeit wurde aufmerksam, die CIA einer endlosen Serie von "Reorganisationen" unterzogen, die sämtlich torpediert wurden und die bekannten Zustände konservierten. Die CIA verwaltete sich weiterhin am liebsten selbst und agierte ohne Zustimmung der Regierung. So kam es, dass seit den 1970er Jahren afghanische Rebellen im Kampf gegen die sowjetischen Invasoren mit modernen Massenvernichtungsmitteln ausgerüstet wurden, die sie später zur Errichtung strikt antiwestlicher Gottesstaaten befähigten: Das Terror-Problem der USA ist weitgehend hausgemacht.

"Die CIA unter Carter, Reagan und George H. W. Bush" setzte 1977 bis 1993 die Reihe der blamablen Fehlschläge fort. Der redliche Carter wollte die CIA zerschlagen, und selbst der intellektuell beschränkte Reagan bemerkte die Ahnungslosigkeit der gar nicht ´intelligenten´ Agenten, die vom Fall der Berliner Mauer oder vom Zusammenbruch des Ostblocks eiskalt überrascht wurden. George Bush der Ältere reihte sich ein, als er den wackligen und geschönten Berichten über einen atom- und chemiewaffengerüsteten Irak Glauben schenkte und den ersten Golfkrieg entfesselte.

"Die Abrechnung" erfolgte 1993 bis 2007 unter Clinton und George W. Bush. Der zweite Golfkrieg wurde ebenfalls unter Vorspiegelung falscher Tatsachen geführt, die zornige Gegenreaktion im Nahen Osten vom Geheimdienst entweder falsch interpretiert oder ignoriert. Den traurigen Höhepunkt bildete die Attacke auf das World Trade Center im September 2001 - eine Terroraktion, von der sogar die CIA längst wusste, ohne entsprechende Schritte zu einzuleiten. Als Konsequenz büßte die Agency 2006 ihre Vormachtstellung ein - sie untersteht nun dem Nationalen Nachrichtendienst und wird abermals neu organisiert ...

Gut gemeint aber mörderisch mutiert

Tim Weiners Geschichte der CIA ist ein Buch, das sich im Grunde nur in kurzen Abschnitten lesen lässt, weil die Lektüre garantiert zu erhöhtem Blutdruck und ungesunden Wutanfällen führt. Das Schlimme ist, dass selbst Weiners Kritiker dem Verfasser zugestehen müssen, wie redlich er recherchiert und ausgewertet hat, was er in jahrzehntelangem Quellenstudium sowie im Rahmen unzähliger Interviews in Erfahrung bringen konnte.

Man wünscht sich verzweifelt eine logische Erklärung dafür, wie eine Institution, die Tod und Leid über die Welt gebracht und Unsummen für groteske und höchst kriminelle Aktionen verprasst hat - Geld, das dem Sozial- und Gesundheitswesen oder der Bildung entzogen wurde -, sich mehr als sechs Jahrzehnten nicht nur halten konnte, sondern wuchs und gedieh und ihre üblen Machenschaften weiterhin fortsetzt.

Weiner liefert diese Erklärung, aber sie befriedigt nicht, weil sie Binsenweisheiten zu einer Dimension verhilft, die schlicht atemberaubend i. S. von niederschmetternd ist: Angst und Ahnungslosigkeit schufen eine Einrichtung, die unkontrolliert Ziele verfolgen konnte, die nicht selten von psychisch kranken oder offen kriminellen Menschen formuliert wurden und schließlich sakrosankt wirkte: ein Monster, das nach außen menschlich wirkt, während es insgeheim ganze Kontinente verwüstet und ins Unglück stürzt.

Seinen Widersachern macht es Weiner schwer. Er überzieht sie mit Daten und Fakten. Wer seiner Auswertung nicht trauen mag, kann sie ab S. 669 anhand 664 oft mehrseitiger Anmerkungen nachprüfen, die bis zur Seite 834 noch einmal ein eigenes Buch ergeben. Dabei konfrontiert Weiner Worte mit Taten. Die Diskrepanz ist deutlich und lässt sich schwerlich wegerklären.

Eine wertvolle Informationsquelle stellten die Männer und Frauen dar, die für die CIA gearbeitet haben, die Strukturen dort kennen und unglücklich über die Realität einer ebenso ineffizienten wie illegal arbeitenden Einrichtung waren. Als Achillesferse der CIA entpuppte sich stets die Unfähigkeit des Menschen, Geheimnisse zu wahren oder unter den Tisch zu kehren. "Es gibt kein Geheimnis, das die Zeit nicht enthüllt" - mit diesem Zitat des Schriftstellers Jean Racine (1639-1699) leitet Weiner sein Mammut-Werk ein.

Ist Weiner einseitig? Ihm dies vorzuwerfen ist schwierig, sollte auch nur teilweise zutreffen, was er ans Tageslicht befördert hat. Die "Falken" zürnen, weil sie an der Willkür als Mittel im Kampf gegen den Terror festhalten wollen und ein Buch wie dieses, das viele heilige Kühe der politischen, wirtschaftlichen oder militärischen US-Geschichte förmlich schlachtet, als kontraproduktiv betrachten. Im Zweifelsfall sind freilich auch die Moralisten Hilfe suchend zur CIA gelaufen, wenn es irgendwo brannte und die Wiederwahl in Gefahr war.

Übrigens ist Weiner nicht grundsätzlich gegen Spionage. Ein geschickter Geheimdienst kann gefährliche Pläne des Gegners offenlegen und diesem damit den Wind aus den Segeln nehmen. Weiner prangert vor allem miserable Spionage an, weil mangelhafte oder fehlende Informationen immer kontraproduktiv sind und die USA in den Vietnamkrieg und andere Desaster geführt haben.

Kriminelle Geschichte oder Geschichte als Krimi?

Sollte jemand bisher der Ansicht gewesen sein, dass Geschichte langweilig ist, wird ihn die Lektüre dieses Buches eines Besseren belehren. "CIA" ist ein Werk, das jeden Thriller deklassiert, denn wieder einmal ist die Realität stärker als jede Fiktion. Weiner kann beweisen, was er schreibt, was Schilderungen ermöglicht, für die man jeden Schriftsteller mit Hohn und Spott übergießen würde. Wer würde ohne entsprechende Belege glauben, dass der US-Geheimdienst ernsthaft probte, Tokio in der Endphase des II. Weltkriegs mit Brandbömbchen zu verheeren, die man den dort beheimateten Fledermäusen umschnallen wollte ...? Mit solchen und ähnlich bizarren Anekdoten lockert Weiner seinen Text immer wieder auf. Das Lachen bleibt dem Leser im Halse stecken, wenn er unmittelbar darauf informiert wird, wie viele meist unschuldige Menschenleben solcher Schwachsinn kostete.

Weiner schließt mit der Hoffnung, die ´neue´ CIA von 2006 werde endlich ihren eigentlichen Aufgaben gerecht. Er will dies annehmen, denn er glaubt wie gesagt an das Konzept der CIA. Die unerfreuliche Realität hat er aufgedeckt, was er jedoch nicht als wütende Attacke, sondern als Warnung versteht. Die CIA ist für Weiner trotz ihrer Sünden ein Teil der US-Regierung geworden. Sie lässt sich hoffentlich umstrukturieren und zukünftig besser kontrollieren, darf aber nicht abgeschafft werden. Dieses Fazit wird vielen (deutschen) Lesern nicht schmecken, doch Weiner ist letztlich Amerikaner, der an das politische, ökonomische und moralische Primat ´seiner´ USA glaubt.

Wen interessiert in Deutschland die CIA?

Die deutsche Ausgabe von "CIA - Die ganze Geschichte" wurde von vier Übersetzern bearbeitet, um so ein zum Original möglichst zeitnahes Erscheinen zu ermöglichen. Brüche oder stilistische Unterschiede lassen sich nicht feststellen; der seitenstarke Band liest sich wie aus einem Guss.

Wer sich fragt, wieso die Übeltaten der CIA so rasch einem deutschen Publikum nahe gebracht werden oder dieses interessieren sollten, wird durch ein separates "Vorwort zur deutschen Ausgabe" aus seinem Dornröschenschlaf geweckt: Selbstverständlich arbeiten der US-amerikanische und der deutsche Geheimdienst seit 1945 eng zusammen; die CIA stützte sich in den Anfangsjahren sogar gern auf die vorzüglich ausgebildeten Fachleute der Gestapo ... Deutschland hat seinen Preis für die von der CIA ´beratene´ und damit mitgeprägte Politik zahlen müssen und war u. a. für Jahrzehnte Pufferzone für eventuelle Atom-Attacken aus dem roten Osten, denn natürlich stationierten die USA ihre Raketen am liebsten dort, wo dies das eigene Land nicht in Gefahr brachte. Auch im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung hat sich die CIA nicht mit Ruhm bekleckert. Geheimdienstarbeit war offensichtlich schon globalisiert, als dieser Begriff noch gar nicht existierte. Frieden oder Stabilität hat sie der Welt nicht gebracht, aber Weiner macht uns klar, dass dies womöglich niemals geplant war oder ist.

CIA - Die ganze Geschichte

True-Crime: Die Realität ist härter,

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