In Gottes Namen
- Heyne
- Erschienen: Januar 2008
- 18
- New York: Putnam, 2007, Titel: 'The Eye of the Beholder', Originalsprache
- München: Heyne, 2008, Seiten: 544, Übersetzt: Alexander Wagner
Hochglanz: professionell, kurzweilig - doch ohne Kunstfertigkeit
1989 werden auf dem Gelände des Mansbury College sechs grausam zugerichtete Frauenleichen gefunden. Zwei Studentinnen und vier Prostituierte liegen aufgebahrt im Keller des Auditoriums. Ein Verdächtiger ist schnell gefunden: der Hausmeister Terry Burgos, ein Stalker, gegen den die erste der getöteten Studentinnen, zuvor eine Unterlassungsklage erwirkt hatte. Sämtliche Spuren und Indizien weisen auf ihn, und er versucht auch gar nicht, seine Taten zu leugnen. Scheinbar ein klarer Fall für den stellvertretenden Bezirkstaatsanwalt Paul Riley, der die Todesstrafe fordert, die nach mehreren Verhandlungen, in denen es um Burgos Zurechnungsfähigkeit geht, 1997 vollstreckt wird. Kurz vor der Hinrichtung flüstert Burgos Paul Riley zu: "Ich bin nicht der Einzige."
2005. Zwei Menschen werden grausam ermordet. Ein Sicherheitsbeamter, der in den damaligen Fall verwickelt war und eine junge Reporterin, die die Geschehnisse von '89 noch einmal unter die Lupe nehmen möchte. Paul Riley hat die Seiten gewechselt und steht als gut betuchter Rechtsanwalt in Diensten des reichen Vaters eines der Opfer von damals. Doch wie sollte es anders sein, fast zwangsläufig wird der von Zweifeln geplagte Anwalt zum wiederholten Mal in eine brutale Mordserie hineingezogen. Sollte es tatsächlich neben Burgos einen zweiten, noch viel gewiefteren Mörder geben?
Eine Frage, die der Roman sehr früh beantwortet. Natürlich existiert ein weiterer Killer, der bestrebt ist, die Hintergründe der sechzehn Jahre zurückliegenden Mordserie zu vertuschen. Dabei versucht er sehr bewusst, Paul Riley auf seine Seite zu ziehen. Nicht nur seines schlechten Gewissens wegen setzt er alles daran, die vergangenen und gegenwärtigen Ereignisse zu entschlüsseln. Letzten Endes werden Riley und die polizeilichen Ermittler, die an den Fällen arbeiten, Zeugen einer familiären Tragödie.
David Ellis hat Großes vor, verbindet er doch in seinem 540 Seiten dicken Werk mehrere handlungstragende Elemente, die jedes für sich einen eigenen Roman füllen könnten. Da ist zum einen die Geschichte zweier Serienkiller und eines Songtextes, der augenscheinlich die mörderische Methodik vorgibt, die spannend, aber nicht wirklich zwingend und originell erzählt wird; zum anderen lässt Ellis seine Protagonisten durch ein geradezu klassisches Tableau des Hardboiled-Romans stolpern: die reiche, moralische zumindest ambivalente Familie, die ihre eigenen Gesetze und Regeln aufstellt und letztlich in einem Sumpf aus Betrug, Niedertracht, Lügen und verzweifelten Versuchen dieser verrotteten Welt zu entkommen, gefangen ist. Nicht zuletzt ist In Gottes Namen ein Anwaltsroman, der einem typischen Vertreter seiner Zunft einen Reifungsprozess zugesteht, der tatsächlich mit einem erwachten Gewissen und Einsichten ins eigene Handeln und einer Revidierung seiner Einstellung zur Todesstrafe einhergeht.
Nicht alle Elemente des Buches sind gleich gelungen, Ellis neigt dazu - obwohl er, den dramatischen Effekt betonend, zu schreiben versteht - sich zu verzetteln. So hinterlässt der Einsatz der verschiedenen Erzählperspektiven, einen ziemlich willkürlichen Eindruck, außerdem verliert er recht wichtige Nebenfiguren im Lauf der Handlung komplett aus den Augen.
Am Fatalsten ist aber, dass er der Familiengeschichte und seinem Protagonisten Paul Riley nicht zutraut, die Handlung zu tragen. So bekommt der populistische Psychopath mit Hang zum Mehrfachmord, seinen eher aus der Not geborenen Einsatz. Was den Eindruck erweckt, in den USA wohnt an jeder Straßenecke ein verkappter Serienkiller. Da kann man natürlich ausgiebig drüber diskutieren, aber für die Darstellung einer durch Geld und Macht geprägten Gemeinschaft, die sich auf einem Fundament niederer Instinkte bewegt, und so Verbrechen provoziert, wäre ein solches Schielen nach prominenten Vorbilder nicht nötig gewesen.
Doch bleibt In Gottes Namen eines dieser typischen amerikanischen Hochglanzprodukte, die professionell, wenn auch ohne große Kunstfertigkeit geschrieben, 542 Seiten zu einem kurzweiligen, in den entsprechenden Momenten nachdenklichen und düsteren Vergnügen machen. In einem Punkt unterscheidet sich Ellis Werk nämlich positiv von ähnlichen Genrevertretern: Er gesteht seinem Protagonisten eine Entwicklung zu; eine Einsicht ins eigene Verhalten und das Wesen seiner Umwelt, die ein Umdenken erforderlich macht. Von Anfang an kein glanzvoller Held, sondern eher ein Zauderer, dem der Erfolg fast zufällig die Hand reicht, hat Riley die Chance eine profilierte Figur zu werden. Vor allem wenn David Ellis die Selbstbeschränkung finden würde, auf inhaltliche und formale Mätzchen zu verzichten. Nötig hat er's nicht.
Ein Unding ist mal wieder die deutsche Bearbeitung. So wird aus Eye Of The Beholder ein In Gottes Namen, ein Titel, der rein gar nichts mit dem Inhalt zu tun hat. Denn verantwortlich für sämtliche Untaten in Ellis Buch sind Menschen allein. Menschen, die keine Grenzen kennen, bzw. deren mentale Grenzen auf die eine oder andere Art zerbrochen sind.
David Ellis, Heyne
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