100 Stunden
- Argon
- Erschienen: Januar 2008
- 8
- Paris: Flammarion, 2006, Titel: 'Le parfum d'Adam', Seiten: 538, Originalsprache
- Berlin: Argon, 2008, Seiten: 6, Übersetzt: Koch, Wolfram
- Hamburg: Zeitverlag Bucerius, 2009, Seiten: 480
Öko-Thriller mit subtiler Spannung
Le parfum d'Adam lautet der Originaltitel von Jean Christophe Rufins Öko-Thriller, den der S.Fischer Verlag für die deutsche Ausgabe in 100 Stunden" änderte. Rufin scheint prädestiniert für das Thema Bioterrorismus zu sein, denn der Autor war als politischer Berater und Mediziner tätig. Man darf also fundierte Sachkenntnisse von dem Franzosen erwarten, der laut "Le Figaro" den amerikanischen Kollegen Michael Crichton in die Ära der Dinosaurier zurück schickt.
Ist 100 Stunden also ein Must-read für alle Leser, die sich für wissenschaftliche Thriller interessieren?
Mehr als nur eine Tierbefreiung
Als die Französin Juliette aus einem polnischen Labor Ratten und Affen befreit, glaubt sie noch daran, den Tieren etwas Gutes zu tun. Nur flüchtig wundert sie sich darüber, dass sie ein bestimmtes Fläschchen mitnehmen soll. Erst später wird ihr klar, dass mehr dahinter stecken muss und so weigert sie sich, die Beute an ihren Kontaktmann Jonathan weiter zu geben. Sie will selbst die geheimnisvolle Substanz an seinen Bestimmungsort bringen und an der großen Aktion teilhaben. Ihre Reise führt sie über Südafrika nach Colorado/USA, wo sie den charismatischen Ted Harrow kennen lernt.
Die Schatten der Vergangenheit
Paul Matisse kann jeden Cent für seine Neuropathologie-Klinik gebrauchen, in der nicht krankenversicherte Patienten behandelt. Ein potentieller Sponsor entpuppt sich allerdings als Pauls ehemaliger Chef bei der CIA. Inzwischen ist aus Archie ein privater Spionage-Dienstleister geworden, der den Auftrag bekam, einen Einbruch von radikalen Tierschützern in ein polnisches Forschungsinstitut zu untersuchen. Er möchte Paul für diesen Auftrag rekrutieren, da dafür seine medizinischen Kenntnisse von Nutzen sind. Mit der Aussicht auf einen neuen Trakt für seine Klinik, ermittelt Paul in Polen, Paris und London. Der Laborleiter Rogulski in Wroclaw ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Cholera-Forschung. Offensichtlich hat er Angst und weiß mehr über die Aktion, als er sagt. Die Spur führt zu den kapverdischen Inseln, wo es überraschende Ausbrüche des Vibrio cholerae gab.
Zuviel des Guten?
Die Handlung in 100 Stunden wird einerseits aus der Sicht der psychisch labilen Französin Juliette, andererseits aus der des Arztes und Agenten Paul Matisse und seiner Partnerin Kerry geschildert. Jäger und Gejagte agieren an ständig wechselnden Schauplätzen auf der ganzen Welt. Dennoch hat Rufin keinen Thriller geschrieben, in dem sich fortwährend apokalyptische Szenen abspielen. Stattdessen setzte der Autor auf minutiöse Recherche und fundiertes Wissen im Bereich Biotechnologie und Entwicklungshilfe, um ein realistisches Bedrohungsszenario zu erschaffen.
Genauso sorgfältig illustrierte der Autor die Schicksale und Motive seiner zahlreichen Protagonisten. Überwiegend ist es ihm gelungen, seinen Figuren Leben und Persönlichkeit einzuhauchen, auch wenn durch die Fülle an Lebensgeschichten manches individuelle Detail auf der Strecke blieb. Gern hätte man noch etwas mehr über behinderten Brasilianer Joaquim, oder auch den Agenten Barney erfahren. Handlung und die Figuren wirken insgesamt überaus glaubwürdig. Allerdings übertreibt es Rufin teilweise mit der Akribie, Ansätze eines Spannungsbogens werden durch zu viel Fachsimpelei zerredet. Dennoch wirkt Rubins Schreibstil nicht trocken, sondern liest sich flüssig und lässt auch erfrischenden Humor durch blicken:
"Für sie (die Indianer) sorgt die Natur im Überfluss. Erst die Zivilisation der Weißen hat den Mangel entstehen lassen" [...]
"Überfluss! ... In dieser Wüste? ...Wenn wir keine Koteletts mitgebracht hätten..."
Kein Reißer, aber mit viel hintergründiger Suspense
Der Roman beschreibt nicht nur die Vorbereitung eines bioterroristischen Anschlags, sondern auch die Entstehungsgeschichte einer fanatischen Ideologie. Der Autor diskutiert die wichtigsten aktuellen Herausforderungen unserer Gesellschaft: den Raubbau des Menschen an der Natur und die immer weiter auseinander klaffende Schere zwischen Arm und Reich. Rufins absurd klingender Hypothese wohnt eine perfide Logik inne. Man wundert sich fast, dass eine derartige Fehlinterpretation des Umweltschutzgedankens noch nicht umgesetzt worden ist.
Einen Count-Down in der Form, dass die Ermittler bewusst die Stunden, die sie noch für die Rettung der Welt zur Verfügung haben, herunter zählen, gibt es übrigens nicht. Durch die Art und Weise, wie die deutsche Ausgabe 100 Stunden präsentiert wird, entsteht eine bestimmte Erwartungshaltung bei den Lesern, die der Roman nicht erfüllt.
Mancher Leser mag sich am Ende vielleicht fragen, an welcher Stelle er den angekündigten Show-Down verpasst hat. Wer den Roman allerdings unvoreingenommen liest, den schockiert die erschreckende Authentizität. Die Qualität von Rufins Öko-Thriller 100 Stunden liegt weniger darin, dass spektakuläre Aktionen den Leser in Atem halten. Vielmehr erzeugt er mit verstörenden Gedanken und in leiseren Tönen eine nachhaltigere Spannung, die viel Stoff zum Nachdenken hinterlässt.
Jean-Christophe Rufin, Argon
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