Der siebzehnte Engel

  • Manhattan
  • Erschienen: Januar 2008
  • 3
  • London: Orion, 2003, Titel: 'The Stone Angels', Originalsprache
  • München: Manhattan, 2008, Seiten: 416, Übersetzt: Regina Rawlinson
  • München: Goldmann, 2009, Seiten: 413
Der siebzehnte Engel
Der siebzehnte Engel
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Jochen König
72°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2008

Ein Tanz auf spiegelblankem Parkett

Ein ermordeter amerikanischer Autor am Stadtrand von Buenos Aires stellt Comisario Fortunato und seine Kollegen vor große Probleme. Denn was aussehen soll wie ein aus dem Ruder gelaufener Drogendeal, ist in Wahrheit ein missglückter Einschüchterungsversuch, durchgeführt von Fortunato und seinen rabiaten Kollegen. Fortunato selbst ist verantwortlich für den Todesschuss und soll als ermittelnder Beamter die Spuren so verwischen, dass die Tat nicht mehr mit der Polizei in Verbindung gebracht werden kann. Problematisch wird das Ganze, als die amerikanische Menschenrechtlerin Dr. Athena Fowler auftaucht, die im Namen der Familie des ermordeten Roger Waterbury Licht ins Dunkel der verschleppten Ermittlung bringen soll.

An der Seite des von Gewissensbissen geplagten Comisarios stößt Fowler bald auf ein weitreichendes Geflecht aus allgegenwärtiger Korruption, Intrigen und Wirtschaftsinteressen, geplant und durchgeführt von Hintermännern, die sich einen Dreck um Menschenleben scheren. Mitten im Kampf um argentinische Ressourcen sind auch amerikanische Firmen und Banken vertreten, sodass sich Fowler und Fortunato auf einmal zwischen allen Fronten wiederfinden. Und Fortunato, das Andenken seiner grundehrlichen, kürzlich verstorbenen Frau Marcella im Herzen, zieht wütend und kompromisslos in den finalen Kampf, nachdem er festgestellt hat, nichts als eine Marionette in einem ausgeklügelten Planspiel gewesen zu sein. Shootout und vielleicht eine Art Happy End?

Mitleben und Mitleiden mit den Figuren

Wie verhält man sich in einer durch und durch korrupten Gesellschaft? Das ist eine der substantiellen Fragen, die Stuart Archer Cohens zweiten Roman durchziehen. Man arrangiert sich, schweren Herzens, wie Comisario Fortunato, der kaum in der Lage ist, das Geld auszugeben, das er unter der Hand erwirtschaftet, man genießt es, wie Fortunatos Vorgesetzter Bianco, der seinen Reichtum prahlerisch zur Schau stellt, oder man lehnt es ab wie Marcella, die Frau des Kommissars, die lieber stirbt, als das Schwarzgeld zur Ermöglichung einer teuren Spezialbehandlung in den USA in Anspruch zu nehmen.

Lebensentwürfe, die jeder auf seine Art zum Scheitern verurteilt sind. Die lautere Wissenschaftlerin und Verteidigerin der Menschenrechte aus den USA, steht wenig beschlagen auf einmal im Mittelpunkt eines Gefüges, das geprägt ist von den Narben, die eine menschenverachtende Militärdiktatur hinterlassen hat. Deren Handlanger sind zum großen Teil noch in Amt und Würden, was sich vor allem im Bereich der Justiz unangenehm bemerkbar macht. Hier hat Recht, wer das meiste Kapital investiert und sobald US-amerikanisches "Engagement" mit einfließt und gewahrt werden muss, ist klar, wer da finanziell am Solventesten ist.

In Buenos Aires regiert der Tango und unser ungleiches Paar bewegt sich beschwingt und zielsicher auf einen Abgrund zu, mal miteinander, mal sich misstrauisch beäugend, tanzen der altersmüde Comisario und La Doctora zum Klang derselben Musik, die da Gerechtigkeit heißt. Und als es am Ende des gewalttätigen Showdowns noch einen Toten in einer Bar gibt, ist folgerichtig auch die einzige Reaktion des Kneipiers, inmitten seiner gebannt lauschenden und zuschauenden Gäste: "Bravo! Bravo! Das nenne ich Tango!"

Zum Einstieg ausgerutscht

War es im letzten Monat James Church der mit seinem Inspektor O. auf außergewöhnlichem Terrain brillierte, so betritt jetzt Stuart Archer Cohen ein eigenständig ersonnenes, aber leider auch spiegelblankes Parkett, auf dem er zu Beginn ziemlich unsanft ausrutscht. Die außergewöhnliche Ausgangssituation nutzt er leider vornehmlich zu seitenlangen Betrachtungen über korrupte Verflechtungen, verbrecherische Manipulationen und eher theoretische Ansichten über das Wesen des Tangos. Da wird (zu)viel erklärt, vieles wiederholt sich, vor allem die Bestrebungen Fortunatos und seiner Helfer, abzulenken von der eigenen Tat, werden zu offensichtlich und platt stümperhaft voran getrieben. So ziehen sich die ersten 130 Seiten recht langatmig dahin, bevor Entscheidendes passiert.

Doch das Durchhalten lohnt sich, denn als Fortunato endlich sein wehleidiges Selbstmitleid ablegt und zusammen mit Athena Fowler daran geht, die wahren Hintergründe des brutalen Mordes aufzudecken, gewinnt der Roman an Spannung und Brisanz. In Fortunatos Credo gelingt Cohen auch eine präzisere Erläuterung dessen, was er vorher viele Seiten zu wortreich umschrieb:

 

"Korrupte Polizisten wird es immer geben. Aber man kann die Welt nicht sauber in Schwarz und Weiß trennen, in Gut und Böse, in Ehrlich und Unehrlich. Das ist eine künstliche Unterscheidung. Denn auch in der Grauzone gibt es Loyalität und Freundschaft. Verpflichtungen der Familie gegenüber. Und so vermischt sich das Böse mit dem Guten."

 

Gelungen ist auch der zweite Teil "Waterburys letztes Spiel", der Roger Waterburys Aktivitäten kurz vor seinem Tod beleuchtet. Vorgetragen von einem Chronisten, der wenig vertrauenswürdig ist, sind diese Passagen ein packendes Spiel mit Schein und Wirklichkeit, charakteristisch für die Ungewissheit und Brüchigkeit, die die gesamte Stimmung im Siebzehnten Engel durchzieht. Hier erweist sich Cohen als stilsicherer und geschickter Erzähler, etwas das er zu Anfang leider schmerzlich vermissen ließ. "Fortunatos Gesetz", der dritte und abschließende Part des Romans überzeugt ebenfalls in seiner eskalierenden Härte und konsequenten Bitternis.

Die Vorzüge muss der Leser sich erkämpfen

Insgesamt ist Der siebzehnte Engel ein leicht zwiespältiges Buch, dessen Vorzüge man sich durch einen zähen Einstieg erkämpfen muss. Aufgrund der außergewöhnlichen Thematik und der eigenwilligen Herangehensweise, gibt es dennoch eine freundliche Empfehlung, und ein halbwegs gespanntes Warten auf die nächste Veröffentlichung Cohens. Talent hat er fraglos, wenn es ihm gelingt, dieses über den Gesamtverlauf eines Buches zu bündeln, dürfen wir noch Großes erwarten.

Der siebzehnte Engel

Stuart Archer Cohen, Manhattan

Der siebzehnte Engel

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