Der tickende Tod

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 1958
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  • New York: M. S. Mill, 1954, Titel: 'The Burning Fuse ', Seiten: 224, Originalsprache
  • München: Goldmann, 1958, Seiten: 190, Übersetzt: Paul Baudisch
Der tickende Tod
Der tickende Tod
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Michael Drewniok
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2008

 Ermittlungserfolg oder explosives Finale?

Cape Cod, eine Halbinsel im Südosten des US-Staat Massachusetts, ist ein beliebter Ferienort. Im Sommer drängen die Touristen in Scharen hierher, was nicht jedem alteingesessenen Einwohner gefällt. Einer ist sogar so wütend auf die allgegenwärtigen Eindringlinge, dass er bei einer Zeitung telefonisch ein Bombenattentat ankündigt. Die Polizei nimmt die Drohung ernst, denn bei einem Baustellen-Einbruch sind sechzig Stangen Dynamit und diverse Zündkapseln verschwunden!

William Parr von der Staatspolizei wird mit dem Fall beauftragt. Er arbeitet mit der örtlichen Polizei zusammen; die Zeit ist knapp, denn der anonyme Anrufer hat eine Frist von 24 Stunden vorgegeben. Zwar kennt man die Namen derer, die sich öffentlich über die "Überfremdung" aufregen, doch eigentlich gelten diese Personen als reine Maulhelden. Allerdings ist der alte Adam Ponsonby verschwunden. Seit einiger Zeit ist er wunderlich geworden, wie sein Sohn bestätigt, und hat sich in seinen Hass auf die "Fremden" hineingesteigert.

Kurz darauf wird in der Nähe des Ponsonby-Grundstücks ein toter Mann gefunden. Arthur Gwyndock, ein Historiker aus New York, wollte in der Gegend nach Spuren jener Wikinger suchen, die hier angeblich vor einem Jahrtausend gelandet waren. Nun liegt er erschlagen auf dem Anwesen von Olivia Donayre. Die berühmte Schauspielerin lässt gerade eine alte Scheune zu einem Sommertheater umbauen. Aufgrund ihrer Arroganz ist sie in der Gegend allgemein unbeliebt, aber reich und selbstbewusst. Da Parr ihre Avancen zurückweist, bereitet ihm die rachsüchtige Frau Schwierigkeiten.

Die Fahndung wird intensiviert, als die Frist abläuft. Jede Spur wird verfolgt, was für Irrtümer und Fehlschläge sorgt. Trotzdem schreiten die Ermittlungen voran, doch wird dies genügen, um die Bombe rechtzeitig zu finden und zu entschärfen?

Die Lunte brennt

... lautet der Originaltitel dieses sechsten Romans der William-Parr-Serie. Damit ist der Grundton des Geschehens vorgegeben: Die Handlung wird durch Zeitdruck geprägt. Irgendwo liegt eine Bombe; zwar brennt keine Lunte, aber ein Zeitzünder läuft und sorgt für das Tick-Geräusch des deutschen Titels. Diese Konstellation ist ebenso simpel wie spannungsförderlich und sorgt für jene Spannung, die Alfred Hitchcock einst "suspense" nannte: Die an sich bereits fesselnde Ermittlungsarbeit erfährt durch die Drohung der scharfen Bombe eine zusätzliche Dimension des Schreckens.

Wo liegt sie, und vor allem: Wann wird sie explodieren? Zwar läuft der Polizeiapparat auf Hochtouren, doch zunächst liegen die Vorteile beim Täter. Nur er weiß, wo die Höllenmaschine tickt - und niemand kennt ihn. Die gesetzte Frist bis zur Explosion ist zudem so knapp, dass solide, aber notgedrungen zeitintensive Ermittlungsarbeit keinen Erfolg versprechen kann.

Autor Benson versäumt nicht, das Verstreichen der Zeit bzw. der Frist regelmäßig zu erwähnen. Der Druck begründet Fehler, die aufgrund von Hast und zunehmender Müdigkeit begangen werden. Die Stimmung wird gereizter, was Kompetenzrangeleien verschärfen. Selbstverständlich sind die "Guten" in der Minderzahl, denn als Staatsdiener sind sie erstens permanent unterbesetzt und zweitens schlecht ausgerüstet. Selbstausbeutung muss dies ersetzen; sie gilt als "Pflichterfüllung", denn dies ist - jedenfalls laut Benson - eine Ära, in der dieser Begriff noch nicht als Phrase für an der Nase herumgeführtes Arbeitnehmervieh herhält, sondern ernstgenommen wird.

Druck führt zu (unerfreulichen) Wahrheiten

Ben Benson war zwar ein konservativer Mann, der jedoch über den Tellerrand hinausblicken konnte (was ihn von den reaktionären Klotzköpfen unterscheidet). Dass die Polizei und andere Einrichtungen nicht rigoros durchgreifen können, sondern Rücksichten auf Reiche und Mächtige nehmen müssen, die sich ihre Privilegien notfalls mit Hilfe teure Anwälte sichern lassen, stört ihn eindeutig. Hinzu kommen generelle Vorbehalte, die sich gegen eine allzu "freie" Jugend richten, welche sich nicht mehr kontrollieren lässt. Nach Benson ist dies eine Quelle zukünftigen Verdrusses, was hier zu einer Auflösung führt, die aus heutiger Sicht eher brachial als psychologisch "begründet" wird.

Während sich Benson hier halbwegs über die Runden retten kann, schlägt er sich selbst k. o., als er die Schauspielerin = Symbol moralarmer Prominenz Olivia Donayre Gift & Galle speien lässt, weil sich Polizist Parr erdreistet, ihren amourösen Schlingen zu entwischen. Dem heutigen Leser gehen buchstäblich die Augen über, wenn eine zweifellos durch Erfahrungen der hässlichen Art abgestumpfte, nun erfolgreiche und vor allem selbstständige Frau, die Männer für sich arbeiten lässt (!), bei Benson zur bösartigen, rachsüchtigen, hässlichen Megäre mutiert, der nur mehr Parrs Vernichtung = Erniedrigung wichtig ist.

Immerhin sorgt Benson für eine gelungene Ablenkung: Das Opfer ist - ausgerechnet! - ein Gelehrter und gilt damit den zeitgenössischen Klischees entsprechend als an Geld und Sex nicht interessierter Geselle, der stattdessen im Bodenschmutz nach Artefakten wühlt, die anschließend ungesehen im Museum verstauben. Benson macht deutlich, dass es so einfach nicht ist. Auch Wissenschaftler kennen und lieben den Ruhm, der ihnen außerdem den Zugang zu Fördergeldern erleichtert. Animositäten und Eifersucht werden deshalb keineswegs akademisch ausdiskutiert, sondern überaus menschlich und damit krimitauglich ausgetragen. Zudem geht es hier um potenzielle Überreste einer wikingerzeitlichen Besiedlung Nordamerikas, die definitiv auch Laien (und Leser) interessieren dürften.

Sonstige hässliche Alltagsgeschichten

Ermittlungen wirbeln Staub bzw. Schmutz auf. Benson blickt hinter die Kulissen des friedlichen Alltags in der Provinz, den auch er als Illusion erkennt. Was auch schiefgegangen sein mag, es hat sich längst in der Gesellschaft festgesetzt und lässt sich nicht mehr vertreiben. Parr korrigiert nachträglich die schlimmsten Auswüchse; verhindern werden können sie nicht. Niemand hat echte Lösungen parat. Die Rückkehr zu früheren Werten, zu Disziplin und Härte werden eher hilflos gefordert, denn auch dieser Zug ist abgefahren.

Dass diese Klinge zwei Seiten besitzt, zeigt uns Benson in der Gestalt des alten Ponsonby. Er verweigert sich der Gegenwart und setzt sie mit den Touristen gleich, die nach Cape Cod strömen und ihn "stören". Die traditionelle Fischerei liegt längst am Boden, die Bestände sind erschöpft. Doch Ponsonby fürchtet die Veränderung, die er notfalls mit Gewalt verhindern will. Um diesen Zorn bzw. den ihm zugrundeliegenden Konflikt im Stil der Zeit zu entschärfen, dichtet ihm Benson "Wahnsinn" an, aber es ist die blinde Wut des Zukurzgekommenen, die heute ihre eigene, erschreckend breite Nische im Krimi-Genre besetzt.

So wundert es nicht, dass im Finale zwar dem Gesetz Genüge geschehen = diverse Verbrecher überführt sind, was freilich keineswegs bedeutet, dass die Welt wieder in Ordnung ist:
"Eine Sekunde lang lehnte [Parr] sich an die Hauswand an. Plötzlich überkam ihn eine schwere Müdigkeit, ein jäher Abscheu vor seinem Beruf, ein Ekel vor der modernen Zivilisation und vor all den Menschen, den Starken oder Schwachen, die, gleichgültig was für Verbrechen sie begingen, ihr Tun stets vor sich selbst zu rechtfertigen wussten."
Dann ist dieser Moment vorbei und Parr bereit, sich in den nächsten Fall zu stürzen, denn noch gibt es Männer des Gesetzes wie ihn!

Der tickende Tod

Ben Benson, Goldmann

Der tickende Tod

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