Der Kommissar vom Alexanderplatz - Kriminalfälle im historischen Berlin

  • Aufbau
  • Erschienen: Januar 2000
  • 1
  • Berlin: Aufbau, 2000, Seiten: 282, Originalsprache
  • Berlin: Das Neue Berlin, 1998, Seiten: 281, Originalsprache
Der Kommissar vom Alexanderplatz - Kriminalfälle im historischen Berlin
Der Kommissar vom Alexanderplatz - Kriminalfälle im historischen Berlin
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Jörg Kijanski
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2008

Schon zu Lebzeiten eine Legende: Ernst Gennat, einer der größten deutschen Kriminalisten

Er ist einer der erfolgreichsten und wichtigsten Kommissare, die Deutschland je hervorgebracht hat. Der Buddha der Kriminalisten, Kommissar Ernst Gennat, ermittelte im Berlin der Kaiserzeit bis Ende der 30er Jahre und löste über 90 % seiner Fälle. Allein im Jahr 1931 konnte er von 114 Tötungsdelikten 108 aufklären. Gennat, der übergewichtige Tortenvernichter und stets schlampig gekleidete Kommissar, war zu seiner Zeit ein Star, nicht nur unter seinen Kollegen. Mit hohem Einfühlungsvermögen in Zeugen und Täter sowie einem großartigem Spürsinn löste er zahlreiche Fälle. In drei (zeitlich sortierten) Blöcken werden 13 davon in dem Buch "Der Kommissar vom Alexanderplatz - Kriminalfälle im historischen Berlin" nacherzählt.

Dazwischen entführt die promovierte Historikerin Regina Stürickow ihre Leserschaft in das Berlin der aufregenden Jahre von 1913-1939 und schafft somit nicht nur eine leicht lesbare "Biografie" der Legende Gennat, sondern gibt auch einen tief greifenden Einblick auf eine im Wandel befindliche Stadt. Berlin während dem Ersten Weltkrieg, zur Zeit der Weimarer Republik und nicht zuletzt in der Zeit des Nationalsozialismus erlebt vor allem viel Elend. Verbrechen sind an der Tagesordnung und die Polizei alles andere als gut organisiert. Zudem war auch die Spurensuche nicht weit entwickelt. Erst Ende der 20er Jahre konnten beispielsweise Textilfasern und Haare genau bestimmt werden. Während der Kaiserzeit erfolgten die Hilfeaufrufe an die Bevölkerung noch über sog. "Mordplakate", die stadtweit auf Litfasssäulen geklebt wurden. In den 20er Jahren kamen erste Rundfunkansagen sowie völlig neue, sich selbst bewegende Reklamelaufbänder hinzu.

Ernst Gennat führte wegweisende Neuerungen ein

Doch noch viel mehr lag im Argen. Bis 1926 arbeiteten die einzelnen Mordkommissionen ohne jegliche Abstimmung nebeneinander her. Erst Ernst Gennat schaffte durch einige geniale Einfälle durchgreifende Verbesserungen. So organisierte er eine "Zentrale Mordkommission", die unter seiner Leitung am 01. Januar 1926 ihre Arbeit aufnahm. Er selbst suchte hierfür die fähigsten Beamten aus. Zudem wurde auf seine Initiative das berühmte "Mordauto" angeschafft, welches für Ermittlungen vor Ort perfekt ausgerüstet wurde. Da viele übereifrige und oftmals zudem unerfahrene Kollegen am Tatort mit preußischer Gründlichkeit für "Ordnung" sorgten und auf diese Weise regelmäßig zahlreiche Spuren vernichteten, entwickelte Gennat ein Arbeitsschema "Todesermittlungsverfahren", welches eine Anleitung zum Vorgehen am Tatort darstellt. Ein letztes Mal trat Gennat dann 1938 in Szene als er sich auf Anregung eines Mitarbeiters dafür stark machte, dass erstmals ein Beweisstück im Fernsehen gezeigt wurde. Die Fernsehfahndung war erfunden!

Gennat war der unumstrittene Star unter den Kriminalen - bis 1933.

In den 1910er und 1920er Jahren waren die Kriminalen hoch angesehene Mitglieder der Gesellschaft. Bei seinen wenigen Besuchen gesellschaftlicher Veranstaltungen wurde Gennat im gleichen Atemzug mit den Ehrengästen erwähnt. Obwohl er sich von seinen Kollegen deutlich unterschied - diese waren stets tadellos gekleidet - so war doch zumindest bis 1933 er der Star der "roten Burg", wie die Zentrale der Berliner Kripo am Alexanderplatz genannt wurde. Über das Privatleben Gennats ist so gut wie nichts bekannt, womöglich weil er gar keines hatte. Zwar wurde er von seiner Sekretärin Trudchen Steiner regelrecht verehrt, doch fühlte er sich nie zu Frauen hingezogen. Für ihn gab es kein "normales Leben", sondern nur Ermittlungen und (natürlich) Kuchen in rauen Mengen. Als Gennat im Alter von 59 Jahren 1939 starb wog er stolze drei Zentner. Kurz vor seinem Tod überraschte Gennat noch einmal sein Umfeld, denn er heiratete, wenngleich nur aus dem Grund, damit seine "Frau" einen Anspruch auf die Witwenpension hatte.

In seinen letzten Berufsjahren zog sich Gennat mehr und mehr zurück, arbeitete fast ausschließlich (auch aufgrund seines Körperumfanges) in seinem Büro. Er war kein politischer Mensch, mit Sicherheit kein Nationalsozialist und so hatten in den 30er Jahren andere Personen das Sagen. Beispielsweise Kurt Daluege, der 1933 die Leitung der Polizeiabteilung im Innenministerium übernahm und umgehend eine Säuberungswelle bei der Schutzpolizei durchführte. Zuvor war Daluege Leiter der Berliner Müllabfuhr.

 

"Na ick hab mir ja ooch erst jar nischt weiter bei jedacht, aber als ick denn det Mordplakat jesehen hab, da hab ick zu die Ilse jesagt, also Ilse, hab ick jesagt, jetzt jeh'n wa beede bei die Kriminalen..."

 

Wer sich für echte Kriminalfälle sowie das (berufliche) Leben eines der größten deutschen Ermittlers interessiert, eingebettet in eine spannende Zeitreise in das turbulente Berliner Leben der Kaiserzeit bis ins Jahr 1939, der findet hier einen ebenso kurzweiligen wie informativen Einstieg. Wem die rund 280 Seiten zu viel sind kann auf Wikipedia zurückgreifen. Dort sind einige Passagen des Buches nachzulesen.

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