Der süße Duft des Todes

  • Unionsverlag
  • Erschienen: Januar 2001
  • 1
  • Mexiko: Planeta, 1994, Titel: 'Un dulce olor a muerte', Originalsprache
  • Zürich: Unionsverlag, 2001, Seiten: 192, Übersetzt: Susanna Mende
  • Köln: Eins-A-Medien, 2006, Seiten: 5, Übersetzt: Volker Risch, Bemerkung: Regie: Hans Greis. Musik: Christoph Prasser
  • Zürich: Unionsverlag, 2002, Seiten: 183
Der süße Duft des Todes
Der süße Duft des Todes
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Wolfgang Reuter
100°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2003

Nüchterne, klare Sprache - leidenschaftliche Hitze

 

"Zwischen den Furchen lag die Leiche. Ramón ging langsam näher, während ihm bei jedem Schritt das Herz im Hals klopfte. Die Frau lag nackt mit dem Gesicht zum Himmel in einer Blutlache. Kaum hatte er sie gesehen, konnte er den Blick nicht mehr abwenden. Mit seinen sechzehn Jahren hatte er schon mehrmals davon geträumt, eine nackte Frau anzuschauen, aber nie hatte er sich vorgestellt, sie so vorzufinden... Ramón zog sein Hemd aus - sein Sonntagshemd - und bedeckte sie, so gut er konnte. Als er noch näher kam, erkannte er sie: Es war Adela, und sie war von hinten erstochen worden."

 

So beginnt das Verhängnis des Ramón Castanos, dem jungen Gastwirt aus dem mexikanischen Dorf Loma Grande, einem entlegenen Nest ohne Behörden, ohne Arzt oder Kirche. Der korrupte Polizeichef erscheint in unregelmäßigen Abständen, vornehmlich, um abzukassieren. Der Ortsvorsteher stellt Ruhe und Ordnung über alles, auch über die Wahrheit.

Adela und ihre Eltern gehören zu den "Neuen" im Dorf, die von den Alteingesessenen als Eindringlinge und Fremde behandelt werden. Adela war alles Andere als ein braves Mädchen. Sie hatte ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann im Dorf. Um das vor ihren Eltern zu tarnen, schrieb sie fiktive Liebesbriefe an Ramón, den Sie lediglich ein paar Mal gesehen hatte. So entstand das Gerücht, Ramón und Adela wären ein Liebespaar.

Die Dorfbewohner gehen diesen Fall an wie immer: Da es keinen Richter gibt, spielt sich jeder einzelne als ein solcher auf. Jedes Mittel ist Recht, Aufmerksamkeit zu erlangen: Gerüchte, falsche Indizien, zweifelhafte Zeugenaussagen. Das Dorf ahnt eine bevorstehende Jagd, und schon ist die Lawine losgetreten. Ramón soll seine Ehre und seine Geliebte rächen, ein Täter ist bald gefunden: Gitano, der Schmuggler und fahrende Händler wurde bei einem Schäferstündchen mit einer Frau gesehen. Das genügt. Auch wenn der Zeuge diese Frau gar nicht erkannt hat. Der Gemeindevorsteher findet entlastende Beweise, vernichtet diese jedoch, da er nicht gegen den Strom schwimmen will. Die mögliche Entlastungszeugin und Geliebte Gitanos schweigt, um nicht von ihrem Mann bestraft zu werden.

Ramón spielt bei der falschen Liebesgeschichte mit, obwohl er Adela gar nicht wirklich gekannt hat. Er hat sich in ihre Leiche verliebt, und durch die große Aufmerksamkeit, die er jetzt erhält, ist es für ihn fast wie eine reale Liebesbeziehung. Zu spät bemerkt er, dass es für ihn kein Zurück mehr gibt, ohne dass er als Feigling oder Schwächling angesehen wird. Er lässt sich widerstandslos überreden, Gitano zu töten ...

An diesem Buch beeindruckt zunächst die nüchterne, klare Sprache, sorgfältig und sparsam wählt Arriaga die Worte, und trotzdem spürt man ständig eine leidenschaftliche Hitze. Er beschreibt seine Landsleute und ihre Lebensumstände mit der größten Genauigkeit, malt seine Bilder mit kurzen, kräftigen Strichen.

Als Drehbuchautor und Filmregisseur weiß er, wie man einem Buch mit kurzen, überschaubaren und exakt arrangierten Szenen Dramatik, Tempo und Spannung verleiht. Jede Szene beobachtet und beschreibt die Ereignisse aus einem anderen Blickwinkel. Seite für Seite wird der Kreis um Gitano enger, nähern sich die Spürhunde, die Jäger, naht der Rächer. Arriaga kennt die Gesetze der Jagd, er bezeichnet sich selbst als einen leidenschaftlichen Jäger. Der Roman handelt nicht von Liebe und Tod, sondern vom Lieben und vom Töten.

In diesem Dorf fehlt eine übergeordnete ethische und moralische Instanz. Daher gelten Gesetze der Steinzeit, die Gesetze der Jagd. Gemeinsames Töten als Ursprung einer willkürlichen Ordnung, Lynchjustiz. Die Ereignisse erinnern entfernt an die Mechanismen der Hexenverbrennungen oder den Holocaust.

Es ist auch ein Buch über Zivilcourage, über Selbstbetrug und Gruppendruck in einer geschlossenen Gesellschaft. Obwohl die ganze Geschichte in einem mexikanischen Dorf spielt und ausschließlich mit Mexiko zu tun hat, kann man doch sehr viel Allgemeingültiges herauslesen, denn Arriaga ist hier auch ein kleines massenpsychologisches Meisterwerk gelungen.

Guillermo Arriaga ist nur knapp zehn Jahre jünger als sein Landsmann Paco Ignacio Taibo II. Ein Vergleich dieser beiden mexikanischen Autoren zeigt für mich Taibo als den phantastischen Erzähler mit einer fast unerschöpflichen Phantasie, dem das Reich des Magischen Realismus nicht fremd ist, der aber trotzdem immer seine politischen Anliegen formuliert.

Arriaga dagegen schreibt kürzer, schnörkellos, nüchterner, es gibt kein überflüssiges Wort, aber in all seiner Reduktion erreicht er eine unglaubliche Kraft und Plastizität, eine unterschwellige Sinnlichkeit. "Un dulce olor a muerte", wie das Buch im Original heißt, bezieht seinen Titel übrigens aus der grotesken Szene der Einbalsamierung der Leiche, wo wiederum jeder Dorfbewohner seinen Teil dazu beiträgt:

 

"Sie mischten den sechsundneunzig- prozentigen Alkohol mit dem Wasserstoffperoxid, dem Rum aus verschiedenen Krügen und dem Desinfektionsmittel in einem Emaillekochtopf. . . in der Luft hing ein süßer Geruch nach Alkohol, Rum, Tod und Schweiß."

 

Ein ungewöhnliches, beeindruckendes, starkes Buch.

Der süße Duft des Todes

Guillermo Arriaga, Unionsverlag

Der süße Duft des Todes

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