Blutrituale
- Goldmann
- Erschienen: Januar 2008
- 4
- New York: Pinnacle, 2007, Titel: 'The Screaming Room', Originalsprache
- München: Goldmann, 2008, Seiten: 320, Übersetzt: Ariane Böckler
Mord-Mutanten gegen Psycho-Cops
Nachdem die mehrfach arg gestörten Zwillingen Angus und Cassie Claxonn ihren blutschänderischen Vater zersägt und im Kornfeld begraben haben, blasen sie zur Treibjagd auf Perverse mit ähnlichen Gelüsten. Ihrer Mission gehen sie in New York nach, wo sie geile Pädophile per Internet ködern, in Fallen locken, dann umbringen und schließlich öffentlich und möglichst schockierend ausstellen.
Weil ihr Zorn zahlungskräftige Touristen trifft, reagiert der Bürgermeister von New York, ein Machtpolitiker durch und durch, erstens mit blindem Aktionismus und zweitens mit der Bildung einer Ermittlungskommission, der John Driscoll, ein erfahrener Beamter der New York City Police, vorsteht. Die Partner Margaret Aligante und Cedric Thomlinson komplettieren das fahndende Trio.
Leider stellen sich Ergebnisse nur langsam ein, während Angus und Cassie wie entfesselt morden. Ihr Glück scheint sie erst zu verlassen, als sie sich an der Tochter eines reichen Mannes vergreifen, der in seinem Zorn nicht nur eine hohe Belohnung auslobt, sondern auch politischen Druck auf den Bürgermeister ausübt. Die Zwillinge werden als Täter identifiziert aber nicht gefasst; fest entschlossen, ihr Werk fortzusetzen, tauchen sie unter.
Obwohl Driscoll und sein Team immer stärker unter Druck geraten, setzen sie ihre Arbeit systematisch fort. Dabei stellt sich heraus, dass der trauernde Vater wohl nicht nur durch seinen Seelenschmerz getrieben wird, sich in die Fahndung einzumischen. Dank Geld und Macht kann er sich Driscolls bohrenden Fragen entziehen, doch der hartnäckige Polizist lässt sich nicht einschüchtern. Der Fall der rächenden Zwillinge wird plötzlich zum Wettlauf. Wer wird sie eher finden: die Polizei oder der mordlüsterne Vater - und was hecken Angus und Cassie derweil aus ...?
Volldampf ohne Druck im Kessel
Man trifft sie auf der Autobahn und mag sie nicht, weil sie die linke Spur für sich gepachtet zu haben glauben und ihren Willen zur dauerhaften Höchstgeschwindigkeit demonstrieren, ohne ihn wirklich umsetzen können. Wer hätte gedacht, dass es diese Zeitgenossen auch in der Unterhaltungsliteratur gibt?
Eines sei vorab festgestellt: Sie sind dort ebenfalls lästig. Thomas O'Callaghan ist ein Autor, dem es - man vergleiche seine Website - nicht an Selbstbewusstsein fehlt. Nichtsdestotrotz ist Blutrituale nur die Blaupause eines Thrillers, und dieser Thriller fällt zu allem Überfluss in eine Genrenische, die mindestens ebenso entartet ist wie O'Callaghans inzestuös geprägte Krimi-Welt.
Serienkiller haben es schwer; seit Hannibal Lecter haben sie längst durchexerziert, was Menschen einander Grausames antun können. Da gibt es einfach nichts Neues mehr, weshalb die präsentierten Übeltaten immer grotesker geworden sind. O'Callaghan versucht dennoch das Unmögliche, den abgestandenen Blutwein im neuen Schlauch zu kredenzen. Er gerät dabei endgültig ins Land der Lächerlichkeiten: Genetisch, körperlich UND seelisch deformierte Zwillinge begeben sich auf eine Rachejagd und metzeln böse, heuchlerische Kinderschänder nieder.
Als Mörder schuften sie wie Fließbandarbeiter, denn O'Callaghan setzt Handlungstempo mit der Schilderung neuer Bluttaten gleich. Wie es sich für US-amerikanisch debile Schurken gehört, stellen Angus und Cassie - aus der Identität der Täter macht der Verfasser keinen Hehl, Blutrituale ist ein Police Procedural" (oder soll es sein), kein Whodunit - ihre Opfer medienwirksam aus. Auch hier bemüht sich O'Callaghan um farbenfrohe Drastik; eine deutsche Touristin wird deshalb nicht nur erschlagen, sondern auch skalpiert und einem Museums-Dinosaurier in die rekonstruierte Darmhöhle geschoben. Muss man so etwas kommentieren?
Wissen sie eigentlich, was sie tun?
Dass Angus und Cassie so erfolgreich sind, dürfte zu einem Gutteil auf die Unfähigkeit ihrer Verfolger zurückgehen. O'Callaghan würde dies sicher abstreiten; er wähnt sich auf der sicheren Seite mit seinen turbulenten Impressionen aus dem Polizeialltag. Abermals kopiert er indes nur, was er beschreibt, ohne es tatsächlich mit Leben zu erfüllen. Die kriminologische Arbeit wirkt so, wie er sie beschreibt, schlicht langweilig. Mit Details hält sich der Verfasser nicht auf. Kein Wunder, denn lieber konzentriert sich O'Callaghan auf Zwischenmenschliches. Was er seinen Figuren damit antut, wird weiter unten ausführlich beklagt. Hier sei deshalb nur die plumpe Art angesprochen, mit der O'Callaghan das Konflikt-Dreieck zwischen dem aufdringlich redlichen Detective Driscoll, dem ehrgeizig skrupellosen Bürgermeister und den entfesselten Medien aufrichtet. Der künstlich geschürte Widerstreit wirkt erbärmlich, vergleicht man O'Callaghan z. B. mit Michael Connelly, der tatsächlich spürbar zu machen vermag, was Mediendruck und Mobbing am Arbeitsplatz bedeuten, und diese Faktoren als integrale Spannungsmomente in seine Thriller einfließen lässt, statt sie ihnen aufzupfropfen.
Ohnehin verzettelt sich O'Callaghan in Nebenhandlungen, die dem zentralen Geschehen nichts bringen. Er bemüht sich um eine Vielschichtigkeit, die zu generieren ihm weder gegeben noch generell notwendig ist. Der Plot ist - wieso auch nicht - klassisch und einfach: Zwei Handlungsstränge laufen erst nebeneinander her, um sich schließlich zu vereinigen. Da haben wir unsere Zwillinge auf ihrem Amoklauf und drei Polizisten, die ihnen hinterher ermitteln und allmählich aufholen. Gute Autoren vermögen diese zwar alte aber bewährte Geschichte immer wieder spannend zu erzählen.
Horrorkabinett langweilig lädierter Gestalten
Da Autor O'Callaghan so weit Autor ist, dass er die Eindimensionalität seiner Version dieser Geschichte wenigstens ahnt, bemüht er sich um Eindringlichkeit, indem er seine Hauptfiguren in eine Menagerie seelisch derangierter Jammergestalten verwandelt:
- John Driscoll: Vor sechs Jahren rammte ein betrunkener Autofahrer Gattin Colette samt Töchterlein ins Koma bzw. in den Tod; eisern hielt der trauernde Ehemann seiner geliebten Frau die Treue, obwohl die wunderschöne Kollegin Margaret Aligante (s. u.) in sein Leben trat und ihn gar sehr (aber selbstverständlich erfolglos) in Versuchung führte. Nun ist Colette gestorben und Driscoll Witwer, was ihn aber auch nicht fröhlicher stimmt (was dem Leser u. a. ausführliche Schilderungen qualvoller Rückblicke auf die Vergangenheit mit Colette beschert).
- Margaret Aligante ist eine „umwerfende Erscheinung", die „mit sämtlichen Modellen von Veronese mithalten konnte", aber ach, eine gequälte, männerscheue Seele, seit sie der eigene Vater schändete, und deshalb voller Furcht vor der Beziehung, die sich mit John Driscoll mehr als anzudeuten beginnt. Selbstverständlich wird von allen möglichen Polizisten New Yorks gerade sie mit auf diesen Fall kindlichen Missbrauchs angesetzt (was dem Leser u. a. die ausführliche Schilderung einer qualvollen Sitzung bei einer Therapeutin beschert).
- Cedric Thomlinson hat im Suff den Tod des Partners verschuldet, sich dann mühsam aufgerappelt, um einen zweiten Einsatz zu versauen, woraufhin er sich prompt erneut an die Flasche hängte; nur John Driscoll, dem Patron derangierter Polizeikollegen, verdankt er seine neuerliche Rettung (was dem Leser u. a. die ausführliche Schilderung einer qualvollen Sitzung bei den Anonymen Alkoholikern beschert).
- Angus und Cassie Claxonn sind nicht nur mutierte Zwillinge, sondern auch das Produkt inzestuöser Begierde, ihrerseits Opfer eines blutschänderischen Vaters, dessen Mörder sowie selbst ein Liebespaar (was dem Leser u. a. ausführliche Schilderungen qualvoller Foltersitzungen der Vergangenheit beschert)..
Die nüchterne Auflistung diverser Defekte macht deutlich, dass der emotionale Overkill nicht erschüttert, sondern lächerlich wirkt. Immer wieder unterbricht O'Callaghan die Handlung, um tragisch gemeinte aber ausschließlich klischeehaft in Szene gesetzte Flashbacks einzuflechten. Sie sollen "schockierende" und moralisch verwerfliche Taten darstellen, die sich der Verfasser wohl als Best-of entsprechender Gräuel aus erfolgreichen Buch- und Filmthrillern destilliert hat. Genauso wirken sie denn auch: abgekupfert aber angerostet. Damit passen sie nur zu gut zu einem Roman, der stets aus dem Vollen wesentlich besserer Vorbilder schöpft (doch dabei ausgerechnet das banale und kaugummiartig in die Länge gezogene Finale ausspart). Wen hier etwas spannend ist, dann höchstens die Dreistigkeit, mit der die Werbung dieses Buch anpreist: "Der Horror trifft einen bis ins Mark!". Das trifft zwar zu, aber sicherlich nicht so, wie es sich der verärgerte Leser wünscht ...
Thomas O'Callaghan, Goldmann
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