Der Knochendieb
- Goldmann
- Erschienen: Januar 2007
- 8
- New York: Pinnacle, 2006, Titel: 'Bone Thief', Originalsprache
- München: Goldmann, 2007, Seiten: 352, Übersetzt: Ariane Böckler
Ein knapp akzeptabler ´No-Brainer´
In Thomas O'Callaghans Romandebüt geht ein Serienmörder der unangenehmen Obsession nach, seine weiblichen Opfer nicht nur zu ermorden, sondern anschließend auch noch zu entbeinen, sowie Kopf, Hände und Füße zu entfernen. Damit die Identifikation der fleischlichen Überreste möglich ist, hinterlässt der in seiner Jugend traumatisierte und jetzt völlig übergeschnappte Killer, die Ausweise der Opfer an exponierter Stelle. Lieutenant John Driscoll und sein vorgeblich qualifiziertes Team machen sich, unter wachsendem öffentlichen und politischen Druck, auf die Suche nach dem Mörder. Dem sie aber erst nahe kommen, als die 14jährige selbst ernannte Computerspezialistin und Hackerin Moira, die Driscoll an seine tödlich verunglückte Tochter erinnert, entscheidende Spuren entdeckt und Hinweise liefert, womit sie sich in Lebensgefahr bringt. Denn der Täter ist sehr geschickt in seiner Opfer-Annäherung über das Internet. Wird die sehnsüchtige Erinnerung an das erste Date dabei zur tödlichen Falle für seine früheren Opfer, droht die altkluge Moira an ihrem wenig durchdachten pubertären Aktionismus und der Unfähigkeit der Polizei zugrunde zu gehen.
Da ist er wieder: der überragende Geist, der Schlauberger, der nichts Besseres mit seinem Leben anzufangen weiß, als der Serienmörder mit der abgedrehtesten Mord- und Sammelfantasie überhaupt zu werden. Die Idee, einen Killer zu erschaffen, der seinen Opfern alle Knochen entfernt und nur die fleischliche Hülle zurücklässt (wie mag die wohl aussehen?), gehört zu den Abstrusesten, die je ein Thriller dieser Art aufzubieten hatte.
Seine Motivation ebenfalls: Als Kind musste der kommende Mehrfachkiller miterleben, wie seiner Schwester vom Vater die Augen ausgestochen und diese anschließend einem toten Fasan eingesetzt wurden. Worauf der verständlicherweise verstörte Junge das Haus, mitsamt Eltern und mittlerweile toter und gehäuteter Schwester, anzündete und so zum Waisenknaben wurde. Wie er den Brand, eingeschlossen im Keller neben dem Brandherd, überleben konnte, während die Eltern in den oberen Geschossen verbrannten, das mag der Lämmergeier wissen, der in dem dunklen Keller ebenfalls ein tristes Dasein fristete - wenn er nicht gerade an engen Verwandten knabbern durfte. Warum der gebeutelte Colm Pierce Jahrzehnte später - mittlerweile angesehener und smarter Arzt - zum in Windeseile mordenden Knochenfetischisten wird, wird auch nie recht klar. Doch nicht nur unser Killer hat drängende Probleme, die gelöst werden wollen.
Autoren wie O'Callaghan reicht es anscheinend nicht, ermittelnde Protagonisten zu kreieren, die genug Probleme damit haben, das Grauen zu verarbeiten, dem sie gegenübertreten. Nein, diese Polizisten müssen selbst traumatisiert durch's Leben gehen. Im Falle des Lieutenant Jim Driscoll heißt das: die Mutter wirft sich in seiner Gegenwart vor eine U-Bahn, Frau und Tochter erleiden einen schweren Autounfall. Tochter Nicole wird dabei getötet und Ehefrau Colette ins Koma ohne Wiederkehr geschickt. Was zu Zwiegesprächen mit toter Tochter und komatöser Gattin führt, die den Storyfluss immer wieder störend unterbrechen, besonders als der hadernde Katholik Driscoll sich in seine atmberaubende Kollegin Margaret Aligante (schreit da jemand: "Verfilmung!" und "Jennifer Lopez!!"? Der Verdacht liegt nahe) zu verlieben beginnt. So haben die Beiden immer mal wieder Zeit und Muße für eine überflüssige Beziehungsdiskussion, während sie angeblich unter stärkstem Druck stehen, einen fünffachen Mörder dingfest machen zu müssen.
Dass sie dabei auf die Hilfe einer Vierzehnjährigen angewiesen sind, die unsere tapferen Helden in die Computerwelt einführt, und so die elektronische Verbindung der späteren Opfer mit ihrem Mörder offenbart, ist vermutlich der größte Humbug des ganzen Buches. Gibt es keine Computerspezialisten bei der New Yorker Polizei? Gerade in einem Fall, der von derartiger Brisanz ist, dass vom Polizeichef bis zum Bürgermeister - von den Medien ganz abgesehen, die aber in dem Buch seltsamerweise kaum eine Rolle spielen - nachdrücklich und quengelig schnelle Ergebnisse eingefordert werden. So wird es jedenfalls behauptet, denn wirkliche Bedeutung hat dieses dramaturgische Mittel nicht. Es wird schlicht abgehakt - wie der unfähige oberste Vorgesetzte, der natürlich nicht fehlen darf -, ohne dass es irgendeine Konsequenz für die Ermittlungs- und Beziehungsarbeit Driscolls und seines Teams hätte. Außer, dass vorlaute Vierzehnjährige zum Chief of Detectives aufsteigen könnten. Wenn es das Schicksal, und der raffinierte Mordbube nicht ziemlich böse mit ihnen meinen würde...
Trotz aller Einwände - und da gibt es weit mehr als die oben aufgeführten - ist Der Knochendieb ein knapp akzeptabler "No-Brainer". Ganz ordentlich geschrieben, leidlich spannend - nur in Liebesfragen ein ziemlich alberner Langweiler - und, wenn man sich auf die hirnrissige Konstellation eingelassen hat, durchaus unterhaltsam und in ein paar Stunden fröhlich oder entsetzt runtergelesen. Sobald man aber nach der Lektüre das Gehirn wieder einschaltet, wird aus der bunten Seifenblase auf der fett "düsterer Thriller" steht, ein Krisengebiet, das in seiner geschmacklichen und ideellen Desorientierung, weiträumig umfahren werden will.
Thomas O'Callaghan, Goldmann
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