Stumme Zeugen

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2008
  • 34
  • München: Heyne, 2008, Seiten: 456, Übersetzt: Bernhard Liesen
Stumme Zeugen
Stumme Zeugen
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Lars Schafft
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2008

Dunkle Machenschaften unter dem blauen Himmel Nord-Idahos

Willkommen in Nord-Idaho, im "Blue Heaven", dem "blauen Himmel". Das ist nicht nur der Originaltitel von Stumme Zeugen, sondern auch der Beiname dieses sehr naturbelassenen Landstriches im Nordwesten der USA, angrenzend an Kanada. Wer bei "Blue Heaven" an langgestreckte Wälder, klare Flüsse und Seen und versprengte Dörfer denkt, liegt sicherlich nicht ganz falsch. Doch der Norden Idahos trägt nicht deswegen diesen Namen. Vielmehr ist er zu einem Zufluchtsort kalifornischer Cops geworden, die wohl der Sonne als auch dem wahrscheinlich nicht unstressigen Großstadtleben überdrüssig geworden sind. Nord-Idaho: Himmel für die Blau-Uniformierten. 

Dieser "Blue Heaven" ist der Handlungsort des ersten Stand-Alones von C.J. Box, der in den Staaten vor allem durch seine Joe-Pickett-Reihe, Krimis über einen Wildhüter, durchaus bekannt geworden ist. In Deutschland ist mit Keine Schonzeit nur der erste Teil davon und dazu noch weitgehendst unbeachtet erschienen. Angesichts der Qualität von Stumme Zeugen dürfen die hiesigen Leser hoffen, auch in den Genuss der Folge-Bände zu kommen - den Box´ Thriller ist ein überraschend komplex-intelligent geplottetes Buch, was absolut nicht im Widerspruch zum wirklichen Thrill stehen muss. Davon hat Box einigen auf Lager.

Es ist Freitag, halb fünf nachmittags. Nach der Schule machen sich die zwölfjährige Annie und ihr kleiner Bruder William zum nahegelegenen Fluß im Wald auf. Angeln wollen sie gehen, endlich das tun, was Tom, der neue Geliebte ihrer Mutter, ihnen schon so lange versprochen und nie gehalten hat. Doch zum Angeln sollen sie nicht kommen. Annie und William werden Zeugen einer kaltblütigen Hinrichtung und noch bevor sie das grauenhafte Schauspiel verarbeiten können, werden die beiden Kinder von den Mördern entdeckt. In Panik irren die beiden Kinder durchs Unterholz, bis sie endlich im Wagen von Mr. Swann, einem älteren Bewohner des Nestes Kootenai Bay, Unterschlupf finden. Was weder der gute Mr. Swann noch Annie und William anfangs ahnen: Sie haben es mit Profis zu tun, eben besagten Cops, die in Idaho ihre neue Heimat gefunden haben und die dort bislang herrschende strikt reglementierte, ländliche Weltordnung aus den Angeln heben. Und es ist gar nicht so einfach zu durchschauen, wem die Kinder Vertrauen dürfen und wer vielleicht doch etwas ganz anders im Schilde führt, als er vorgibt...

Der Plot von Stumme Zeugen klingt so betrachtet nach einer actionreichen Verfolgungsjagd, die Box vermeintlich stringent erzählt. Doch dem ist nicht so. Der Autor macht recht schnell weitere Handlungsstränge auf, führt unter anderem den alten Rancher Rawlins ein, der kurz vor dem Zwangsverkauf seines Guts steht oder den Ex-Cop Eduardo Villatoro, ein Latino, den es nach dreißig Jahren Bullen-Daseins ebenfalls von Kalifornien in den Norden gezogen hat - aus welchen Motiven allerdings, lässt Box im Unklaren.

Was durch diese Vielzahl von Charakteren unter der Oberfläche des Thrillers spürbar wird, ist ein US-interner Clash der Kulturen - gerade im Jahr der Präsidentschaftswahlen ein überaus beleuchtendes Thema. Hier die Großstädter, die frei nach dem Motto "been there, did that, done it" - Menschen, die also eigentlich alles erlebt haben - auf die leicht naiv wirkende, aber fest an ihren Werten festhaltende Landbevölkerung trifft. Wie schief dies gehen, macht Box anschaulich an vielen Einzelschicksalen fest - Rancher Rawlins ist nur einer dieser bemitleidenswerten Figuren.

Und Box punktet - angesichts des Erzähltempos leicht zu übersehen - mit einem weiteren Punkt, der Stumme Zeugen zu einem Erlebnis macht: Es mag an seinem Job in der Tourismus-Branche der Rockies liegen, eventuell auch an seiner indianischer Herkunft - jedenfalls hat C.J. Box ein absolutes Händchen dafür, die mächtige Natur Nord-Idahos in prägnante, bildhafte Sätze zu verpacken, die den Leser tatsächlich mit auf eine Reise in den Nordwesten der USA nehmen. Allein das ist große Klasse.

Unterschwellige Gesellschaftskritik hin, einleuchtende Charakterzeichnungen her - dies sind nur die I-Tüpfelchen, die aus einem guten Thriller einen sehr guten machen. Wer einen Thriller in die Hand nehmt, möchte selbstverständlich in erster Linie den Nervenkitzel spüren. Und den gibt es en masse. Stumme Zeugen packt von der ersten Seite, lässt bis zum Ende der viertägigen Hetze auf Annie und Williams nicht los und berührt auch in vielen Situationen emotional. Dass Tess Gerritsen Stumme Zeugen als einen "der besten Thriller des Jahres" auf dem Cover anpreist, kann stutzig machen - dass dies Harlan Coben genau so sieht, gibt diesem Attribut schon weitaus mehr Gewicht. Und beide haben sie recht - dieser Thriller ist tatsächlich einer der besten, die seit langem über den großen Teich zu uns hinübergeschwappt sind. Und von C.J. Box möchten wir alsbald mehr lesen.

Stumme Zeugen

C. J. Box, Heyne

Stumme Zeugen

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