Freak
- Ullstein
- Erschienen: Januar 1984
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- New York: Dodd, Mead, 1983, Titel: 'Freak', Seiten: 213, Originalsprache
- Frankfurt am Main; Berlin; Wien: Ullstein, 1984, Seiten: 208, Übersetzt: Sigrid Gent
- Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein, 1993, Seiten: 207, Übersetzt: Sigrid Gent
Der einarmige Mann und die blinde Gerechtigkeit
Sein aktueller Fall führt den einarmigen Privatdetektiv Dan Fortune aus New York in die Stadt Chatham im US-Staat New Jersey. Ian Campbell, Inhaber einer erfolgreichen Software-Firma, beauftragt ihn mit der Suche nach seinem Sohn. Der 26-jährige Alan, der für die Firma arbeitete, hat eine größere Bargeldsumme veruntreut und ein Haus verkauft, das ihm der Vater zur Verfügung gestellt hatte. Kurz zuvor hatte der Sohn geheiratet. Die lebenslustige Helen Kay ist einige Jahre jünger als ihr Gatte und charakterlich das absolute Gegenteil des verschlossenen Alan. Der Verdacht liegt nahe, dass sie ihn dazu überredet hat mit ihr zu verschwinden. Im leeren Haus fand der Vater nur einen Zettel, auf dem das Wort "Freak" mehrfach geschrieben stand.
Fortune beginnt zu recherchieren. Nicht nur er hat die Spur aufgenommen. Gleich zwei Personen, die er befragen möchte, findet er ermordet vor. Einmal ist Fortune sogar Zeuge der Bluttat, wird jedoch vom Täter niedergeschlagen und in eine Abstellkammer gesperrt.
Angeschlagen setzt der Detektiv die Fahndung fort. Er findet eine Freundin von Helen Kay, die ihn bereitwillig über den Aufenthaltsort der Campbells informiert, und kann das Paar ausfindig machen. Alan und seine Frau geben zunächst vor, aus einem langweilig gewordenen Leben ausgebrochen zu sein. Dann täuschen sie Fortune und flüchten, was dem Detektiv bestätigt, dass sie ihm nicht die ganze Wahrheit erzählt haben. Bevor er sie ein zweites Mal stellen kann, nehmen ihn die anderen Verfolger in die Zange - vier Berufskriminelle, die Fortune darüber informieren, dass sie Alan und Helen Kay entführt haben und nur gegen ein hohes Lösegeld freilassen werden.
Fortune hat guten Grund zu glauben, dass dies nicht wahr ist. Alle haben sie ihn betrogen - der Vater, der Sohn, die Schwiegertochter, die Gangster. Allein macht sich der Detektiv an die Verfolgung. In einem uralten Bordell in der Wildnis kommt es zum Showdown aller Beteiligten ...
Der Lohn ist karg, Desillusionierung gibt's gratis
Der Detektiv als einsamer Wolf, der bei seinen Ermittlungen in Schwierigkeiten gerät: Selten wurde ein Klischee so auf die Spitze getrieben wie in diesem Roman. Ein grotesk aufgetakelter, sich in tarantinoesken Tiraden ergehender Gangsterboss, dem wichtige Körperteile von einem Bären abgebissen wurden, eine Geisterstadt, dessen Zentrum ein tadellos erhaltene Bordell darstellt, sind nur die Spitzen einer Absurdität, die der Leser nie einzuschätzen weiß: Meint Michael Collins das alles ernst oder will er uns an der Nase herumführen?
Die Unsicherheit weiß er jedenfalls gut zu erhalten, denn "Freak" wirkt zwischen diversen Seltsamkeiten immer wieder wie ein Lehrbuch zur Illustration des klassischen Detektivromans. Der Fall ist Routine, und Dan Fortune trifft als Schnüffler auf die übliche Schar potenzieller Verdächtiger. Wir beobachten ihn bei seiner Arbeit, die mühsam und reich an Sackgassen aber arm an Erfolgen ist. Zäh und unter Einsatz seiner Erfahrungen nähert sich Fortune seinem Ziel, doch immer ist die Gefahr von Rückschlägen akut. Dieses mühsame 'Drei Schritte vor - zwei zurück' macht seit jeher den Reiz dieses Genres aus. Collins ist Profi genug, den Prozess der Wahrheitsfindung spannend zu gestalten, obwohl Fortune viele Seiten nichts tut außer das Gummi von Schuhen und Autoreifen abzunutzen.
Es kommt eben auf die Art der Darstellung an. "Freak" gehört zu den Krimis ohne literarischen Anspruch. Collins will unterhalten und leistet gute Arbeit für Leser, die exakt das erwarten. Nur unter dieser Prämisse kann ein berufsmäßiger, nicht übermäßig gut bezahlter Autor zwei bis vier Romane pro Jahr auf den Markt bringen - Kurzgeschichten nicht eingerechnet -, wie es Collins (alias Dennis Lynds) viele Jahre praktiziert hat und praktizieren musste. Der Plot ist nüchtern kalkuliert, die Sprache einfach, das Tempo beachtlich.
Die dabei entstandenen Werke wirken indes nicht simpel, sondern geradlinig. Kein Firlefanz, sondern der reine Krimi läuft auf knappen 200 Buchseiten ab. Dennoch vermag Collins seinem Roman eine individuelle Note zu geben. Dan Fortune ist ein Mann der unteren Mittelschicht. Seine Herkunft kann und mag er nicht verleugnen, und aufgrund harter Erfahrungen (s. u.) hat er sich einen wachen Blick für die unschönen Seiten des "american way of life" bewahrt, den er - noch als "Daniel Fortunowski" geboren - längst als Illusion entlarvt hat. Wenn er beruflich unterwegs ist, führt es ihn hinter die glitzernden Fassaden dorthin, wo diejenigen leben (müssen), die von der Regierung, den großen Konzernen, vom Leben überhaupt abgekoppelt wurden. Dan Fortune und damit Michael Collins glauben durchaus an den "Amerikanischen Traum". Sie sind jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass er verraten wurde und in falsche Hände geriet. Die Bitternis dieser Erkenntnis schimmert auch in "Freak" immer wieder durch und verschafft dem Roman letztlich eine gesellschaftskritische Ebene
Collins pfropft diese Passagen der Handlung niemals auf, sondern integriert sie. Fortunes Weltsicht wird dem Leser nicht aufgezwungen. Für solche Zurückhaltung ist man dankbar, denn man erkennt den Profi, der mit seinen Ansichten nicht hausieren geht. Im Vordergrund steht die Geschichte. So soll es sein.
Durchhalten ist einfacher als aufgeben
Dan Fortune gehört zu den klassischen Figuren des "private-eye"-Krimis. Schon der 'normale' Privatdetektiv ist ein angeschlagener, vom unschönen Erlebnissen und Erfahrungen gezeichneter Mann, der mit großer Neugier, Pflichtbewusstsein und einem ausgeprägten Gewissen geschlagen ist, was ihm in der rauen, kalten Alltagswelt stets von Nachteil ist.
Der Detektiv muss sich folgerichtig eine Nische schaffen, in der er vor sich und der Welt existieren kann. Für Fortune ist das besonders wichtig, denn das in seiner Branche gern an den Tag gelegte große Maul kann er sich nicht leisten. Seit er in jungen Jahren beim Versuch, ein Frachtschiff zu plündern, einen Arm verlor, fehlt ihm die Fähigkeit, sich gegen eventuelle Attacken körperlich zu wehren. Fortune kann schlecht Auto fahren, eine Waffe laden, sich mit Verdächtigen balgen. Wird es brenzlig, muss er sich jeden Schritt genau überlegen. So wirkt er bedächtig, wo er eigentlich vorsichtig ist.
Seine Abseitsposition hat er verinnerlicht. Ian Campbell behandelt ihn wie einen Dienstboten, Murdoch und seinen Spießgesellen geht er jedes Mal in die Falle und wird von ihnen auch schon einmal in einen Abstellraum geschoben, wenn er bei einem Mord stört. Fortune begehrt nicht auf; er erwartet es nicht anders. Es macht ihm auch wenig aus, er verlangt nicht viel vom Leben und kommt zurecht. Seit einiger Zeit ist er nicht mehr allein - eine angenehme Abwechslung in seinem sonst frauenlosen und auch sonst einsamen Leben.
Was Fortune allerdings umtreibt, das ist sein Talent als Detektiv. Er schätzt sich mit der üblichen Nüchternheit zwar als durchschnittlichen Schnüffler ein, aber hier kokettiert er ein wenig mit seinem Ruf, und das weiß er auch. Sogar die Murdoch-Gang bestätigt ihm mehrfach seine Fähigkeiten. Hat Fortune einen Fall übernommen, bringt er ihn zu Ende. Widerstand wird vom ihm nicht gebrochen aber ausgetrickst. Als er dieses Mal seine Suche abschließt, sind sechs Menschen tot, und sein Auftraggeber liegt im Krankenhaus und sieht einer Anklage entgegen. Kein Wunder, dass er dem Detektiv wütend ankündigt, er könne auf seine Bezahlung lange warten ... Das ist Fortunes Welt, wie Autor Michael Collins 2000 eine Sammlung von Storys um seinen einarmigen aber moralisch gesunden Anti-Helden betitelte.
Wer sich hinter dem "Freak" des Titels verbirgt, scheint klar, sobald Jasper Murdoch die Szene betritt. Er ist einer jener Kriminellen, wie sie Jahre später Quentin Tarantino so vorzüglich zu charakterisieren begann: völlig verrückt und gleichzeitig charismatisch, das Hirn verstopft mit angelesenem, nie verstandenen aber gern zu Gehör gebrachten Halbwissen - eine menschliche Zeitbombe, deren Reaktionen man nie vorhersagen kann, was Murdoch zu einem brandgefährlichen Gegner macht. Aber auch in diesem Punkt wartet Collins mit einer Überraschung auf, die wiederum perfekt ins Konzept von Fortunes Welt passt und diesen Roman elegant abrundet, ohne sein Finale durch einen überkandidelten Twist zu riskieren: Nicht nur in diesem Punkt könnten die aktuellen Thriller-Seller von Michael Collins lernen.
Dennis Lynds, Ullstein
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