Stalins Geist

  • Random House Audio
  • Erschienen: Januar 2007
  • 3
  • Köln: Random House Audio, 2007, Seiten: 5, Übersetzt: Dietmar Wunder
  • München: Goldmann, 2009, Seiten: 364
Stalins Geist
Stalins Geist
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Robert Wouters
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2007

Warum Russland anders als in der Tagesschau ist

So jenseitig wie sein neuer Fall auf ihn zukommt, bleibt es nicht für Arkadi Renko. Im Gegenteil: Martin Cruz Smith setzt seinem Ermittler dieses Mal so richtig zu. In Renkos sechstem Fall sieht das Russland Putins nicht nur wegen Stalins Geist ziemlich alt aus.

Eine neue Partei stellt sich zur Wahl, Russlands Patrioten, und die können, wie sich zeigt, diese Erscheinung, nachts in der Moskauer U-Bahn, gut gebrauchen. Renkos Vorgesetzter Staatsanwalt Surin dagegen nicht. Deshalb schickt er Renko los, den Spuk zu beenden. Das kommt auch der ehemals allmächtigen Kommunistischen Partei entgegen. Zumindest dem Rest, der in Moskau heute noch davon übrig ist. Stalin gehört ihnen, er ist "die historische Lichtgestalt, die Russland international einst groß und unabhängig machte." Natürlich gab es dabei auch das eine oder andere unschuldige Opfer, aber na ja ...

Renko kann sich dieser Sehweise nicht anschließen. Denn sein Vater, General von Stalins Gnaden, hatte seinerzeit ziemlich viel mit dem Genossen zu tun. Und diese weiter gegebenen Erfahrungen haben Renko ein anderes Bild vermittelt. Zudem gibt es neben dem Geist von Stalin für ihn noch ein weiteres geschichtliches Problem. Das neue Russland unterscheidet sich vom alten auch vor allem darin, dass die Bevölkerung früher die Miliz angerufen hat, um ein Gewaltverbrechen zu melden. Und um dessen Aufklärung zu bitten. Heute ruft man die Miliz an, um einen Mord in Auftrag zu geben.

Diese Entwicklung setzt selbst den desillusionierten Renko in Erstaunen, was angesichts seiner Erlebnisse mit der Staatsmacht seit seinen Anfängen, noch vor der Perestroika, im Gorki Park, auf dem Polarmeer, in Havanna und zuletzt in Tschernobyl, dem Leser aber nur folgerichtig erscheint. Denn von der Sowjetunion ist heute nichts mehr übrig. Die neuen Millionäre und solche, die es werden wollen, haben den Staat in der Hand und gegen die war die Korruption unter den alten Kadern eine zahme Veranstaltung. So ist der neue Renko auch ein Geschichtsbuch. Anders als nach dem Großen Krieg, der die Nation wegen der immensen Verluste und des darauf folgenden, totalitären Regimes unmenschlich viel gekostet hat, gehen die modernen Verheerungen noch ein Stück weiter: Die Gesellschaft verliert ihre Identität und zerfällt in anarchistisches Chaos. Die Methoden für den Kampf um die Macht im Staat haben dagegen durchaus zeitgemäße, multimediale Züge. Denn wo es etwas zu gewinnen gibt, sind heute auch in Russland amerikanische Werbeprofis mit im Spiel. Die wissen, wie man einen Wahlkampf richtig inszeniert.

Und wie immer übernimmt Arkadi Renko dabei die Rolle des Spielverderbers, der mit seiner stoischen Art jedem in die Suppe spuckt. Den unter allen Umständen immer nur die Wahrheit interessiert. Das war schon im alten Regime unzeitgemäß. Und so folgen wir dem Ermittler in einen weiteren russischen Winter, der die Limousinen der Reichen und Mächtigen zwingt, hinter Schneepflügen her zu kriechen. Und der, wenn der Schnee im Frühjahr schmilzt, jede Menge Leichen hinterlässt. Zumindest da ist sich Renko sicher. Und er hat wirklich Glück, dass er diesmal nicht dazugezählt werden muss.

Denn Stalins Geist fordert viele Opfer. Unter den Schwarzen Baretten zum Beispiel, die als Eliteeinheit den Tschetschenien-Krieg als Helden überlebten, aber im winterlichen Moskau wie die Fliegen sterben. Von diesem Virus ist ihr Kommandant Isakow allerdings nicht betroffen. Der ist Spitzenkandidat der Russischen Patrioten und hält alle Fäden in der Hand. Vor allem in Twer, seinem Geburtsort in der Provinz, der im Vorfeld des Wahltags nicht nur als Kulisse eindrucksvoll inszenierter Abschlusskundgebungen fungieren soll. Denn nebenan wird auf einem abgeernteten Getreidefeld Russlands Vergangenheit aus einem Massengrab exhumiert, das mit den bedauernswerten Opfern zu Füllen, dem echten Stalin eine vordringliche Pflicht war. Womit sich der Bogen zur Gegenwart schließt. Und Renko erkennt, dass er zwar Stalins Geist in der Moskauer U-Bahn zur Strecke bringen und der Schnee des russischen Winters die Stadt Twer in einen "reinen und weißen Ort" verwandeln kann.Aber was die übrigen Geister der Vergangenheit - auch seiner eigenen - angeht, die Straßen voll davon sind.

Was wiederum gut ist, denn wir wollen ja lesen, wie Renko im nächsten Fall mit ihnen klar kommt. Was man in diesem Buch außer einer spannenden Handlung bis zum Schluss noch bekommt: Eine überzeugende Liebesgeschichte, tiefe Einblicke in die Strategie des Blitzschachs, die Information, was echte tschetschenische Teppiche kosten und welche Autos Moskauer Mafiosis heute fahren, eine Ahnung davon, warum die Moskauer ihre U-Bahn lieben und wie man einen Kopfschuss aus nächster Nähe überlebt. Und warum Russland anders als in der Tagesschau ist. Was allerdings an der Arkadi-Renko-Reihe am meisten verblüfft: Martin Cruz Smith ist Amerikaner, Sohn einer indianischen Sängerin und eines weißen Jazzmusikers, lebt im Mill Valley bei San Francisco mit seiner Frau und drei Kindern und beschreibt seit über fünfundzwanzig Jahren wie kein anderer den Wandel der russischen Gesellschaft. Schreiben wollte er eigentlich nie, aber von "irgendwas muss man ja leben". Martin Cruz Smith geht es finanziell heute sicher nicht schlecht, aber vor allem: Er schreibt richtig gut.

Stalins Geist

Martin Cruz Smith, Random House Audio

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