Marconis magische Maschine
- Scherz
- Erschienen: Januar 2007
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- New York: Crown, 2006, Titel: 'Thunderstruck', Originalsprache
- Frankfurt am Main: Scherz, 2007, Seiten: 448, Übersetzt: Gabriele Herbst
Vom drahtlosen Funk wird ihm der Strick gedreht
Guiglielmo Marconi und Dr. Hawley Harvey Crippen: Schon ihre Herkunft trennt sie buchstäblich durch Welten; der eine ist in Italien, der andere in den USA geboren. Auch in ihrem Werdegang sind sie grundverschieden. Marconi ist ein Erfinder, der sich dem drahtlosen Funk verschrieben hat. Seit 1894 experimentiert er wie besessen, und es gelingt ihm, die Entfernung zwischen Sender und Empfänger kontinuierlich zu steigern. Er geht nach England und wird berühmt, doch gleichzeitig wächst die Widerstand gegen den 'Ausländer', der gern als Scharlatan hingestellt wird.
Crippen lässt sich zum homöopathischen Mediziner ausbilden und arbeitet für eine lange Reihe eher windiger Firmen, die rezeptfreie "Patentmedizinen" auf den Markt werfen. Schon in jungen Jahren trifft er eine verhängnisvolle Entscheidung und heiratet eine Frau, mit der es keine Gemeinsamkeiten gibt. In den nächsten Jahrzehnten machen sich die selbst ernannte Künstlerin und der unglückliche, allzu duldsame Gatte das Leben zur Hölle. Auch ein Umzug nach London bringt keinen Frieden. Scheidung ist in dieser Ära verpönt, der Druck wächst - und dann lernt Crippen die junge Ethel kennen. Seine Liebe wird erwidert, Gattin Cora misstrauisch. Keinesfalls will sie ihren Ruf sowie ihren Status als finanziell versorgte Ehefrau verlieren.
Der Druck wächst, Crippen steckt in der Klemme, die ihn 1910 einen verhängnisvollen Entschluss fassen lässt: Cora muss verschwinden! Der Arzt kennt sich mit Giften aus, aber er unterschätzt die Polizei. Nach und nach wird eine grausige Mordtat aufgedeckt. Mit seiner Geliebten will sich Crippen in die USA absetzen, wo sich ihre Spuren in dem riesigen Land verlieren werden. Die Reise per Schiff dauert nur wenige Tage, die das Paar in Verkleidung hinter sich zu bringen hofft.
Aber Crippen hat den Fortschritt gegen sich: Nach Jahren unermüdlicher, von Fehlschlägen begleiteter Versuch gelang es Marconi, den drahtlosen Funk ohne Entfernungsbeschränkungen zu realisieren. Seither werden immer mehr Schiffe mit Funk ausgerüstet. Auch an Bord der "SS Montrose", mit der Crippen und Ethel reisen, gibt es eine Station. Als Kapitän Kendall die wahre Identität seiner Passagiere erkennt, lässt er mit Hilfe des Funks eine neue Ära der Kriminalgeschichte beginnen ...
Die Geschichte und Erik Larson bringen sie zusammen
Forschung und Wissenschaft werden seit jeher gern nach der Alltagstauglichkeit ihrer Ergebnisse bewertet. Die Naturwissenschaft bietet in dieser Hinsicht die besseren Möglichkeiten. Noch immer ist es gelungen, aus der Arbeit von Chemikern, Physikern oder Astronomen wirtschaftlichen oder militärischen Nutzen zu schlagen.
Guiglielmo Marconi wird von denen, die misstrauisch auf das schwer kontrollierbare Treiben in teuren Labors blicken, besonders leicht ins Herz geschlossen, denn der Erfinder des drahtlosen Funk, der die Kommunikation zwischen Kontinenten und Meeren möglich machte, war nicht einmal ein Wissenschaftler, sondern ein Autodidakt, der seine Erfolge aufgrund unermüdlicher Versuche nach dem Prinzip Versuch & Irrtum erzielte. Außerdem stand für Marconi von Anfang an fest, dass er mit seiner Schöpfung reich und berühmt werden wollte.
Was ihn heute zum Helden einer globalisierten und kommerziellen Forschung machen würde, bereitete ihm zu seiner Zeit kurioserweise Schwierigkeiten, denn Ende des 19. Jahrhunderts sah der 'wahre' Wissenschaftler sich ausschließlich seiner Arbeit verpflichtet, deren Ergebnisse zwecks Überprüfung den Kollegen mitzuteilen war. Marconi sperrte sich konsequent gegen diese Tradition und betrachtete diese Kollegen stattdessen als Konkurrenten.
Schon dieser 'menschliche' Aspekt verleiht Marconi Biografie Spannung, resultieren aus seinem Charakter und seinem Werk doch zahlreiche Auseinandersetzungen und Intrigen, die eines Thrillers würdig sind. Gleichzeitig fesselt die Darstellung einer Technik, die nicht mit spektakulären Effekten sparte: Gleich mehrfach ließ Marconi in unwirtlichen Regionen gewaltige Teststationen mit himmelhoch ragenden Masten und bizarren Antennengebilden errichten, die wie dem Titelblatt eines Science-Fiction-Romans nachgebildet wirkten.
Erik Larson verlässt sich indes nicht auf die Anziehungskraft der Marconi-Saga. Er sucht sich ein Ereignis, das auch dem technisch absolut abholden Leser die historische Bedeutung der drahtlosen Kommunikation vor Augen führt. Womöglich fürchtet er, dass diese im 21. Jahrhundert so selbstverständlich geworden ist, dass der Zeitgenosse die Pioniertat Marconis nicht zu würdigen weiß.
Der Autor geht damit ein Risiko ein, denn die Wege von Guiglielmo Marconi und Dr. Crippen haben sich nie gekreuzt. "Marconis magische Maschine" spiegelt das wider:
Die Technik als Katalysator der Kriminalistik
Die 'Handlung' spielt auf zwei Zeitebenen. Marconi erzielte seinen Durchbruch kurz nach der Jahrhundertwende. Die Jagd auf Crippen fand 1910 statt. Da waren Marconis eigentliche Schlachten im Grunde geschlagen, der drahtlose Funk zur akzeptierten Errungenschaft geworden. Dass Crippens Flucht vereitelt werden konnte, ist nachweislich dem Einsatz des Funks zu verdanken. Trotzdem stellt dieser Kriminalfall in der Geschichte der drahtlosen Kommunikation nur eine Episode dar. Larson spitzt seine Darstellung dagegen konsequent auf dieses Ereignis zu. Die Kapitel, in denen der Verfasser zwischen Marconi und Crippen 'springt', werden immer kürzer: Larson inszeniert das große Finale. Das wirkt bemüht, zumal er ansonsten zwei quasi isolierte Lebensgeschichten erzählt.
Diese Zweiteilung übernimmt er aus " The Devil in the White City" (dt. "Der Teufel von Chicago"), seinem Bestseller aus dem Jahre 2003, in dem er Leben und 'Werk' der Zeitgenossen Daniel Hudson Burnham und Herman Webster Mudgett gegenüberstellt: der eine ein Architekt, der sich darum bemüht, die Stadt der Zukunft zu bauen, der andere ein Serienkiller, dem im modernen Stadtleben die Möglichkeiten erkennt, seinem Mordtrieb nachzugeben.
Burnham und Mudgett waren Zeitgenossen und leben in derselben Stadt. Ihre Lebenswege ließen sich verweben. In "Marconis magische Maschine" muss Larson eher kleben. Marconi spielte in Crippens Leben keine Rolle, und Crippen bewegte sich in anderen Kreisen als Marconi. Die Technik bildet den eigentlichen Berührungspunkt - eine Tatsache, die Larson anscheinend für nicht publikumstauglich genug hielt.
Die nur bedingt überzeugende Verknüpfung der Marconi- und Crippen-Viten irritiert. Sie schmälert freilich nicht den Informations- und Unterhaltungswert dieses Buches. Larson ist ein exzellenter Sachbuch-Autor: Er recherchiert aufwändig und kleidet die Fakten in eine Sprache, die auch den Laien schwierige technische Sachverhalte problemlos erfassen lässt. Marconi und Crippen bewegen sich durch einfühlsam und anschaulich geschilderte Welten, denn Larson bezieht die politische und kulturelle Realität der Vergangenheit jederzeit in seine Darstellung ein. Zum Verständnis historisch bedingter und deshalb heute oft schwer oder gar nicht verständlicher Sachverhalte trägt diese Einbettung nachhaltig bei.
Überhaupt bedient sich Larson eines Stils, der die Lektüre zum Vergnügen macht - ein Kompliment, das selbstverständlich die Übersetzerin einschließt. Larson schreibt lebendig, reiht nie trockene Fakten, sondern wählt aus dem Wust der zeitgenössischen Überlieferung zentrale bzw. relevante Ereignisse. Für Abwechslung sorgen gut ausgewählte Anekdoten, die den Fakten Leben einhauchen. Vor publikumswirksamen Tricks schreckt Larson ebenfalls nicht zurück: Im Vorwort schreibt er: "Ich bitte den Leser meine Leidenschaft für Abschweifungen nachzusehen. Wenn Sie beispielsweise über ein Stück menschliches Fleisch mehr erfahren, als Ihnen lieb ist, dann entschuldige ich mich im Vorhinein, auch wenn ich gestehen muss, dass es nur eine halbherzige Entschuldigung ist." Wer würde da nicht neugierig? Die Erwartungen werden nicht enttäuscht, wenn wir detailfreudig erfahren, auf welche groteske Weise der sanfte Dr. Crippen seine Gattin in "ein Stück menschliches Fleisch" verwandelte. Niemand wird anschließend behaupten, ein Sachbuch müsse zwangsläufig langweiliger als ein Roman sein ...
Erik Larson, Scherz
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