Appleby's End

  • DuMont
  • Erschienen: Januar 2000
  • 4
  • London: Gollancz, 1945, Titel: 'Appleby´s End', Originalsprache
  • Köln: DuMont, 2000, Seiten: 252, Übersetzt: Manfred Alliè, Bemerkung: DuMonts Kriminal-Bibliothek; Bd. 1095
Appleby's End
Appleby's End
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Michael Drewniok
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2007

Das meint Krimi-Couch.de: Verbrechen als Farce mit Spannung und Witz

Eine Dienstreise führt John Appleby, Detective-Inspector bei Scotland Yard, in einen besonders abgelegenen Winkel der englischen Insel. Nachdem er nächtens auf einem winterkalten Bahnhof mitten im Nichts zu stranden drohte, nimmt er gern die Einladung des freundlichen Mr. Raven an, der ihn zu sich auf sein Landgut Long Dream Manor einlädt. Sein Gastgeber erweist sich als exzentrischer Zeitgenosse, der das alte Haus mit einer ganzen Schar künstlerisch veranlagter aber finanziell beklagenswert dastehender Ravens bewohnt.

Appleby ist abgelenkt, denn Judith Raven, eine junge und hübsche Bildhauerin, gefällt ihm außerordentlich. Judith hingegen will nicht glauben, dass es den Inspektor versehentlich nach Long Dream verschlagen hat; sie glaubt, er wolle sich einer bizarren Serie von Streichen widmen, die für Unruhe unter dem braven Landvolk sorgen. So wurde dem alten Heyhoe, der als Kutscher für die Ravens tätig ist, das Pferd von hinten aufgezäumt. Luke Raven fand einen Grabstein mit seinem Namen. Lord Mulberry Farmer kamen ein Schwein und ein wertvoller Jagdhund abhanden; an ihrer Stelle fand der erboste Edelmann jeweils eine Nachbildung aus Marmor. Hexen tollen durch die Wälder und stehlen Pflaumenkuchen.

Judith verrät Appleby, dass diese und weitere Übeltaten sämtlich dem Werk ihres Großvaters Ranulph Raven entnommen wurden, der einst die Geschichten und Legenden seiner ländlichen Mitbürger gesammelt und literarisch verarbeitet hat. Appleby nimmt die Angelegenheit auf die leichte Schulter, was sich abrupt ändert, als der alte Heyhoe tot aufgefunden wird: Man hat ihn bis zum Hals in eine Schneewehe eingegraben und erfrieren lassen - auch dies 'inspiriert' durch eine örtliche Überlieferung.

Da der Inspector nicht an Geister glauben mag, übernimmt er die Ermittlungen. Die Spuren weisen ins Haus Raven: Wer ist dort nicht nur kauzig, sondern auch schlau und rücksichtslos genug, wunderliche Possen zu treiben - und welche Absicht steckt wirklich dahinter ...?

Ein lustvolles Spiel mit den Konventionen

Mit dem ersten Satz musst du deine Leser packen: So lautet eine oft gehörter bzw. gelesener Leitspruch, dem sich auch die Verfasser moderner Kriminalromane verpflichtet fühlen. Das war in der vielleicht nicht immer guten aber alten Zeit offensichtlich anders: Appleby's End beginnt mit einer launigen Betrachtung der Schwierigkeit, mit der englischen Eisenbahn unterwegs zu sein. Dann lernt die Hauptfigur einen kauzigen Privatgelehrten kennen und lässt sich auf ein ausführlich wiedergegebenes, mit klassischen Zitaten und Anspielungen gespicktes Wortgefecht ein. Anschließend geht es auf eine turbulente Landpartie, die damit endet, dass Appleby und eine junge Dame auf dem Dach einer Kutsche sitzen, die einen Fluss hinab treibt, um schließlich in einem Heuschober zu landen. Dort erzählt sie ihm von obskuren Vorkommnissen, in die womöglich ihre verschrobene Sippe verwickelt ist, und endlich - wir befinden uns bereits auf Seite 54 - beginnt sich so etwas wie ein Kriminalfall aus der Handlung zu schälen.

Der "klassische Krimi" zeichnet sich nicht nur durch nostalgisch gefärbte Plots aus, sondern beeindruckt auch durch die Fähigkeit seiner Verfasser, trotz geradezu mutwilliger Verstöße gegen (kriminal-) literarische Konventionen nicht eine Sekunde Langeweile oder gar Verdruss aufkommen zu lassen. Michael Innes legt langsam und sorgfältig das Fundament für eine Geschichte, in der wir uns wie zu Hause fühlen, nachdem der Autor uns unmerklich ins Geschehen gezogen und mit den erforderlichen Grundinformationen ausgestattet hat.

Keinen Moment lässt der Verfasser die Vermutung aufkommen, diese Geschichte spiele in der Realität. Bereits die wunderlichen Namen der Ortschaften, die Appleby mit der Bahn passiert, machen deutlich, dass er sich quasi immer tiefer in ein Märchenland begibt. "Long Dream Manor" heißt das Haus der Ravens, und tatsächlich scheint die Gegenwart hier durch Abwesenheit zu glänzen. Höchstens in einem Nebensatz wird hin und wieder über Unwichtigkeiten wie der gerade zu Ende gegangenen II. Weltkrieg gesprochen (oder ist es Weltkrieg Nr. 1?). ansonsten reist man mit Pferd und Wagen und wohnt in Häusern ohne Strom oder Zentralheizung.

Der Umgebung entspricht das kriminelle Geschehen. Seltsame Streiche steigern sich bis zum Mord, der freilich ebenfalls eher komisch als erschreckend wirkt und Innes die Gelegenheit für schwarzhumorige Einlagen bietet. Eine plausible Erklärung für das eigenartige Treiben darf der Leser erwarten, denn Innes hält sich trotz aller Schelmereien in einem Punkt streng an den Kodex des klassischen Krimis: keine Geister und keine Geheimgänge! Anders ausgedrückt: Die üblichen Hinweise auf den Täter (oder die Täterin) sind in den Text eingearbeitet; der Leser muss sie nur finden! Leicht macht es ihm der Verfasser aber nicht ...

Seltsame Figuren für ein surrea-listiges Kriminalstück

Die Ravens: eine Familie mit bedenklich engen verwandtschaftlichen Beziehungen - sogar der einem offenbar aus einem Gruselfilm-Genlabor entsprungene Hausdiener Heyhoe gehört der Sippe an, die seit Jahrhunderten ausschließlich alltagsuntaugliche und -unwillige (Lebens-) Künstler hervorgebracht hat. Die Zeichnung der Ravens grenzt mit ihren unzähligen Grillen hart an die Karikatur; allein Innes' schriftstellerisches Talent, das mit echtem Humor einhergeht, vermeidet Peinlichkeiten und sorgt stattdessen für gute Unterhaltung. (An dieser Stelle ist einmal mehr die Übersetzung durch Manfred Allié zu loben.)

Dem Inspektor, der sich seiner Normalität manchmal fast schmerzlich bewusst ist und der die Ravens heimlich um ihren Nonkonformismus beneidet, verfällt vor allem dem Zauber der lebhaften Judith, die - es wundert angesichts des kunstvoll aber britisch zurückhaltend inszenierten Liebesgeplänkels zwischen Appleby und Judith kaum - schon lange vor dem Finale verlobt ist. Bei näherer Betrachtung ist jedoch auch Appleby kein 'typischer' Polizist, sondern verhält sich eher wie ein Privatdetektiv. Er verfügt über ein gewisses Vermögen und geht - ein echter britischer Gentleman - keiner Arbeit, sondern vor allem seinem Privatinteresse nach, das der Kriminalistik gilt. Deshalb hat Appleby auch kein Problem damit, das Recht dort ein wenig zu beugen, wo es nach seiner Entscheidung solcher Nachhilfe bedarf.

Die Nachbarn sprechen gern über die Schrulligkeiten der Ravens, was seinerseits als Witz zu verstehen ist, da sie selbst mindest ebenso sonderbar sind - und das auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Lord Mulberry ist ein Feudalherr der knurrigen aber goldherzigen Sorte, die Polizisten Pike und Mutlow wirken keine Sekunde so, als könnten sie einen Kriminalfall lösen, Stallknecht Billy glänzt mit haarsträubenden Ansichten der englischen Unterschicht. Lokomotivführer Grope hält seinen Zug gern auf offener Strecke für ein Schwätzchen an. 'Normale' Menschen gibt es in dieser märchenhaften Grafschaft offensichtlich nicht. Die Ausnahme ist John Appleby - und den quält der 'Zufall', in einem Landstrich gelandet zu sein, dessen Bahnhof ausgerechnet "Appleby's End" heißt. Erst als er sich akklimatisiert hat und sich auf diese seltsame Welt einlassen kann, findet er das lose Ende, das ihn zur Lösung des Rätsels führt. Es ist der Handlung angemessen, d. h. bizarr - und Verfasser Innes setzt den perfekten Schlusspunkt mit einer finalen Volte, die den modernen Twist-Knotern ebenso beiläufig wie deutlich zeigt, wie man so etwas richtig macht.

Anmerkung:

Die Wortschöpfung "surrea-listig" wurde dem Roman entnommen - ein hübscher Hinweis darauf, dass nicht einmal die Protagonisten vorgeben, sie seien etwas anderes als die Figuren eines fiktiven Krimis.

Appleby's End

Michael Innes, DuMont

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