Die Quelle der Furcht

  • Lübbe
  • Erschienen: Januar 1999
  • 1
  • Bergisch Gladbach: Lübbe, 1999, Seiten: 319, Übersetzt: Cécilie G. Lecaux
Die Quelle der Furcht
Die Quelle der Furcht
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Michael Drewniok
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2007

Dem Schwarzen Mann entkommt man nie wirklich

Paul Graves hat eigentlich gute Gründe zufrieden zu sein. Als Schriftsteller konnte er nicht nur seiner wahren Berufung folgen, sondern ist auch noch sehr erfolgreich als Autor einer beliebter Serie historischer Thriller, deren dämonischer Held ein sadistisches Verbrecher-Genie ist, das die Polizei stets zu narren weiß.

Aber der zweite Blick auf Paul Graves zeigt einen unsicheren, übervorsichtigen und von tausend fixen Ideen beherrschten Mann, dessen Werk zudem um das Trauma seiner Jugend kreist: Als kleiner Junge musste er nicht nur hilflos mit ansehen, wie seine Schwester von einem Psychopathen gequält und ermordet wurde, sondern wurde von diesem perfide gezwungen, sich an dieser Untat zu beteiligten - ein Verbrechen, das nie aufgeklärt wurde. Seither wird Graves von den Dämonen seiner Erinnerung und scheinbaren Schuld gejagt. Wieder und wieder hat er die Ereignisse von einst Revue passieren lassen und versucht, sich in den Täter hinein zu denken, hat viel Literatur zum Thema Serienmord studiert und mit Fachleuten gesprochen. So hat er sich Inzwischen autodidaktisch zum versierten "Profiler" mit einem sechsten Sinn für diese schlimmste Form des Verbrechens entwickelt.

Diese Fähigkeit will sich Allison Davies, Leiterin der bekannten Künstlerkolonie Riverwood, zu Nutze machen. Sie lädt Graves ein, und dieser nimmt gern in dem Irrglauben an, ein Wochenende auf dem Land ausspannen zu können. Tatsächlich sieht er sich zu seinem Schrecken mit einer Idee konfrontiert, die ebenso fix wie die eigene ist: Graves soll für Davies den Mord an ihrer Jugendfreundin Faye Harrison aufklären - ein Verbrechen, das inzwischen mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegt.

Obwohl er eine Vergangenheit fürchtet, die viele alte, nie verheilte Wunden aufreißen könnte, erklärt sich Graves bereit, in die Geheimnisse von Riverwood einzutauchen. Dieser Ort wird von seinen Besuchern und Bewohnern als das Paradies auf Erden gepriesen, und Faye Harrison war einer seiner Engel. Doch Graves muss nur leicht an der polierten Oberfläche kratzen, und zum Vorschein kommt ein ganz anderes Bild - eine zunächst traurige Geschichte von Lügen, verdrängten Problemen und verletzten Gefühlen, hinter der sich eine weitere Wahrheit verbirgt, die zurückführt in die Zeit des deutschen Nazi-Terrors, dessen Täter und Opfer nur scheinbar Geschichte sind ...

Ein Meister seines Faches als Geheimtipp

Zwischen Kino und Fernsehen gibt es ein Zwischenreich, genannt "Direct-to-Video" (bzw. heutzutage DVD), dessen Bewohner ein Schattendasein in den Regalen der Videotheken dieser Welt fristen müssen. Das Budget ist mittelmäßig, die Schauspieler sind es ebenfalls (wenn man Glück hat), und das Drehbuch bemüht sich in der Regel, die Zuschauer nicht durch Originalität zu verschrecken; es ist wohl bei der anvisierten Klientel auch das Beste.

Ein Leben zwischen Himmel und Hölle führen in gewisser Weise auch jene Schriftsteller, denen es aus manchmal unerfindlichen Gründen nie gelingt, ihre Geschichten außerhalb des Taschenbuches zu veröffentlichen. Das ist schade, denn wie ihre vor und hinter der Kamera aktiven Schicksalsgenossen entgeht dem Publikum dadurch so mancher Rohdiamant, die in einem Berg tauben Gesteins unentdeckt bleibt.

Thomas H. Cook ist so eine unbekannte Größe. Zumindest in Deutschland wollte es ihm nicht gelingen, die Grenzen des Taschenbuch-Ghettos zu sprengen. Der beste Weg, bekannt und von der Kritik zur Kenntnis genommen zu werden, ist jedoch ein Auftritt zwischen festen Buchdeckeln, was wenig über den "Wert" eines Werkes aussagt, sondern ihm schlicht die bessere Möglichkeit bietet, in einem Meer von Neuerscheinungen entdeckt zu werden.

Cook hatte nicht das Glück, was ihn weiterhin zu einem Dasein als Geheimtipp für Thriller-Leser verdammt. Es gibt Schlimmeres, aber schade ist es doch, denn dieser fleißige Mann leistet weitaus bessere Arbeit als so mancher vom Glück und von tüchtigeren Agenten gepushte Autorenkollege. Sucht man nach einer Schublade, so könnte man Cook z. B. zum viel gerühmten James Patterson stecken, der in einem direkten Vergleich übrigens längst nicht so gut abschneiden würde.

Trügerisch sachte Geschichte mit "Nachbrenner"

Vielleicht ist der gute Eindruck, den Die Quelle der Furcht beim Leser hinterlässt, der gedämpften Erwartungshaltung geschuldet, die der Anblick eines völlig gesichtslos gestalteten Taschenbuches auslöst - oder eben nicht. Wohlwollend nimmt man zunächst zur Kenntnis, dass hier zwar in Sachen Plot das Pulver nicht gerade neu erfunden, aber immerhin gut gemischt wird. Die Geschichte entwickelt sich langsam und wenig spektakulär, doch sie ist gut erzählt und wirkt bis zum ersten Finale völlig überzeugend. Dann beginnt Cook leider, der Handlung eine völlig neue Richtung zu geben; eine Spezialität dieses Verfassers, die an Jeffery Deaver erinnert, der bei diesem Manöver ebenfalls regelmäßig ins Schleudern gerät.

Hier müssen die Nazis wieder einmal aus der Mottenkiste heraus, aber Cook ist eben Cook, und so findet er doch einen nicht allzu holprigen Weg, die Geschichte zu ihrem eigentlichen Ende zu führen. Sogar ein drittes Finale gelingt ihm, das mit einer echten Überraschung aufwarten kann und daher nicht verraten werden soll. Es hat nur mittelbar mit der eigentlichen Thriller-Handlung zu tun, löst aber den zweiten Handlungsstrang düster und konsequent auf: Die Quelle der Furcht ist auch die Geschichte eines getriebenen Mannes, der einst gleichzeitig Opfer und Täter eines schaurigen Verbrechens wurde und nun an der nie bewältigten Erfahrung allmählich zugrunde geht. Überaus geschickt, weil stets nur mit Andeutungen arbeitend, die in blitzlichtartige Erinnerungsfetzen gekleidet werden, beschwört Cook ein Ereignis herauf, das umso intensiver wirkt, da es jeder Leser quasi selbst in seiner Vorstellung erschaffen muss.

Schuld ist nicht gleich Schuld

Sehr überzeugend versinnbildlicht Cook gleichzeitig das eigentümliche Phänomen der "Schuld des Opfers", das sich sein Überleben in einer Krise, die anderen das Leben kostete, nicht verzeihen kann. Allerdings ist es kein wirklich guter Einfall, Riverwood in die Kulisse eines gar zu didaktisch und einfach geratenen Exkurses über Schuld und Sühne verwandeln; wie wahrscheinlich ist es denn, dass sich ausgerechnet hier die Darsteller eines Dramas über den Weg laufen, das viele Jahre früher und jenseits eines Weltmeeres in einem deutschen Konzentrationslager begann? Wahrscheinlich ist man als Deutscher in diesem Punkt sensibler, was die NS-Thematik angeht (hoffe ich), während die Amerikaner in diesem Punkt seit jeher (zu) wenig Berührungsängste zeigen; schwer zu entscheiden, was der richtige Weg ist, aber zumindest Die Quelle der Furcht wäre auch ohne Nazis gut über die Runden gekommen.

Viel besser gelungen ist Cook das Porträt eines Schriftstellers, den nicht nur die Schrecken der Vergangenheit zum Schreiben zwingen, sondern jener seltsame, tief sitzende, schwer zu lokalisierende oder gar zu erklärende Drang, sich vor ein weißes Blatt Papier zu setzen (bildlich gesprochen) und es mit Buchstaben zu füllen, die nicht nur Worte, sondern eine Geschichte ergeben. Man glaubt Cook selbst in diesem Paul Graves zu erkennen, der die Welt nicht einfach "nur" sieht wie die Mehrzahl seiner Mitmenschen, sondern das, was ihm ins Auge sticht, in Bilder und Worte gießt: der Schriftsteller funktioniert als lebendige und des Denkens fähige Einheit von Kamera und Wiedergabegerät - eine ungewöhnliche, aber intelligente und sehr einprägsame Metapher, die den insgesamt positiven Eindruck unterstreicht, den diese Lektüre hinterlässt.

Die Quelle der Furcht

Thomas H. Cook, Lübbe

Die Quelle der Furcht

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