Die feine Nase der Lilli Steinbeck

  • Piper
  • Erschienen: Januar 2007
  • 22
  • München: Piper, 2007, Seiten: 352, Originalsprache
  • Hamburg: Hörbuch Hamburg, 2008, Seiten: 4, Übersetzt: Dietmar Mues
  • München; Zürich: Piper, 2009, Seiten: 346, Originalsprache
  • Hamburg: Osterwold Audio, 2010, Seiten: 4, Übersetzt: Dietmar Mues
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Bernd Neumann
96°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2007

Ein humoristisches Höhenfeuerwerk in sprachlicher Bestform!

Schon Einband, Titel und Autorenname versprechen pures Lesevergnügen, das dann auch bestätigt wird: Steinfest jongliert mit der Sprache wie einstmals Maradona mit dem Ball.

Nicht von ungefähr ist er zweifach ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis, der alljährlich herausragende und innovative Krimis aus der bunten und dicht besiedelten Spielwiese der Kriminalliteratur in die Prämierungsauswahl einbezieht. Mit seinem Krimi Die feine Nase der Lilli Steinbeck legt Steinfest nochmals einen drauf.

Dieses Werk hätte auch einen würdigen Platz auf der Phantastik-Couch verdient, so sehr verwischt sich die Grenze zwischen Dichtung und Wahrheit. Schon mal was von den Dodos gehört, dieser übergroßen, flugunfähigen Vogelrasse, welche auf der Insel Mauritius beheimatet dann in kürzester Zeit ausstarb? Oder vom streng geheimen Weltraumprogramm der französischen Regierung und dem unterirdischen Raketenstützpunkt auf Mauritius? Den Leser erwarten einige Überraschungen. Heinrich Steinfest versteht es in einer phantasievollen Handlung auf wundersame, unterhaltende Art und Weise, mit wenigen Worten seine zumeist skurrilen Hauptakteure so plastisch darzustellen, dass der Leser sie förmlich vor sich sieht, spürt, Schulter an Schulter.

Was dieses Buch weiterhin so liebenswert macht sind die Ausflüge ins scheinbar oberflächlich dahinplätschernde Philosophische, in das Reich seltsamster Lebenserfahrungen, egal, ob man sie teilt oder durch sie verstört wird. Und die knackigen Vergleichsparabeln frei nach dem Prinzip "von hinten durch die Brust ins Auge" sind schon grandios und haben die Wirkung einer gezüchteten Peperoni mit bisher ungeahntem Capsaicin-Anteil, die im ersten Moment noch recht zurückhaltend und dann so teuflisch heftig wird. Ähnlich überraschend und plötzlich sind die Morde und Todesfälle in diesem Krimi. Sie kreuzen den Weg von Handlung und Akteuren, wo der Leser nicht mit ihnen rechnet, ja regelrecht überrollt wird. Großartig, lieber Herr Steinfest!

Es beginnt so schön harmonisch. Oder: Trautes Glück, trautes Heim, tagaus, tagein...

Georg Stransky ist ein rundum zufriedener Mensch: der Universitätsprofessor verfasst nebenbei nicht nur Artikel, sondern ganze Bücher! Seine gut aussehende Frau ist nicht nur geschäftlich sehr erfolgreich, sondern ganz nebenbei noch eine Meisterköchin vor dem Herrn.

Tochter Mia, 15 und noch hübscher als die Gattin, legt Vater Georg Klassenarbeiten zur Unterschrift vor, die mit konstanter Regelmäßigkeit die Note "sehr gut" tragen - und das ohne sein Zutun und lästige Fragen nach einer Taschengelderhöhung. Zu allem Glück wohnt Familie Stransky auch noch in bester Lage, hoch oben über der Stadt:

 

So mancher hätte einen kleinen, versteckten Mord riskiert, um in dieser Gegend an eine Immobilie zu gelangen.

 

Die Villa ist ein Erbstück von seinen Eltern. Auch wieder Glück, ohne sein Zutun. Seine selbst gestellte Schlüsselfrage "Habe ich das eigentlich verdient?" wird von einem unerwarteten KLIRR!! der Wintergartenscheibe unterbrochen und stülpt das Leben von Georg Stransky rigoros um. Ab jetzt wird's temporeich, Schluss mit der beschaulichen Idylle.

Die perversen Spiele der durch Reichtum Gelangweilten

Georg Stransky, dieser bisher so glückliche und selbstzufriedene Familienmensch und Ornithologe mit dem Spezialgebiet Wasservögel, wird das scheinbar willkürliche Opfer einer Entführung, die er anfangs gar nicht als solche registriert, sondern mehr als ein Spiel mit versteckter Kamera einstuft. Welch folgenschwerer Irrtum dem Bildungsbürger Stransky damit doch unterläuft!

In diesem Spiel, bei dem Stransky nun das mittlerweile 8. Puzzlesteinchen verkörpert, geht es um Sieg oder Niederlage auf höchstem Level, also um Leben oder Tod. Die Regeln sind eindeutig: Das Spiel wurde erdacht von zwei konkurrierenden Parteien und ist begrenzt auf maximal zehn Wettkampfrunden. "Spielstein" ist jeweils ein gekidnappter Deutscher, der irgendwann geschäftlich in Athen zu tun hatte und von einem Dr. Antigones ohne dessen Wissen als Kandidat ausgewählt wird. Das auserwählte Opfer wird nichts ahnend irgendwo an einem mittels Würfel ermittelten unbekannten Fleckchen Erde vom neutralen Schiedsrichter ausgesetzt.

Jetzt beginnt die wilde Hatz der beiden konkurrierenden Gruppen: Die eine versucht den Entführten aufzuspüren und wohlbehalten nach Hause zu bringen, die andere versucht das zu verhindern, indem sie den Gekidnappten liquidiert.
Letzteres ist bedauerlicherweise schon siebenmal passiert, Stransky ist der nächste Abschusskandidat. Die Luft für die bisher erfolglosen Menschenretter wird langsam dünn, denn nach der zehnten Entführung ist das Spiel endgültig beendet. Schließlich wird auch der verrückteste Thrill irgendwann geprägt von langweilender Routine.

Das erinnert an "Hardcore-Mensch-ärgere-dich-nicht" im Zeitalter des allgemeinen Werteverfalls, an ballernde Computerspiele mit hohem Echtheitsfaktor und brillanter Grafik...

Offensichtlich sind die von den Menschenrettern angeheuerten Bodyguards, dieses "Söldnergesindel", ohnehin im Umbringen sehr viel besser als im Bewahren von Leben. Das scheint auch die Ursache des Dilemmas im weltweiten Sicherheitsgewerbe zu sein, fabuliert Steinfest:

 

Als würde man eine Lachszucht unter Mitarbeit von Seeadlern betreiben. Schwierig, äußerst schwierig

 

Den beiden gegnerischen Parteien, die sich diesen obskuren "Wettkampf" ausgedacht haben, geht es dabei weniger um ihre Opfer als um das Prinzip, raffiniert und fintenreich zu sein, schneller und schlauer als die Gegenpartei.
Gearbeitet wird mit allen erdenklichen Haken und Ösen. Geld spielt keine Rolle, die finanzielle Absicherung ist Grundlage für qualitativ hochwertigsten Einsatz von Spezialisten und Material. Ein Spiel ohne Grenzen, ohne Gefühle, ohne Tabus.

Die Kriminalpolizei wird eingeschaltet, um Stransky eher zu finden als seine mörderischen Gegenspieler und ihn dann mit der ganzen Routine beim Aufspüren vermisster Personen unbeschadet in den Schoß des trauten Familienreiches zurückzuführen. Wie gesagt: das ging schon siebenmal in die Hose, also muss jetzt Lilli Steinbeck ran.

Lilli Steinbeck, die Laura Croft der Kripogilde

Lilli Steinbeck ist die überaus sympathische, unbestechliche Ermittlerin, Expertin in Fragen des Menschenraubs, Hoffnungsträgerin auf dem Wege zum spurlos verschwundenen Ornithologen. Heinrich Steinfest schafft ähnlich wie mit seinem einarmigen Ermittler Markus Cheng, der in drei früheren Krimis Leser und Juroren erfreute, eine weitere Lichtgestalt der deutschsprachigen Kriminalliteratur:

Lilli ist ein äußerst attraktives, zierliches Frauchen mit hübsch anzusehenden Beinen bis kurz unter die Achsel, modisch up do date und unbemannt:

 

Sie gab Männern das Gefühl, ihre Anzüge würden schlecht sitzen

 

Ihre Schönheit kann auch die zertrümmerte Nase nicht beeinträchtigen, welche als Resultat einer brachialen Beziehungsauseinandersetzung übrig geblieben ist, bei der neben der Nase auch sämtliches Geschirr zu Bruch ging.
Eine ihrer Grundprinzipien besteht darin, pünktlich abends um neun ins Bett zu gehen, allein, versteht sich, um dann angestrebte 12 Stunden lang zu schlafen:

 

So toll war das Leben wirklich nicht, um mehr als die Hälfte des Tages bei Bewusstsein zu bleiben

 

Vielleicht ist das die Voraussetzung für ihre Fähigkeit, nervig quäkende Kinder in erholsamen Dauerschlaf zu versetzen, ohne dabei auf eigene mütterliche Erfahrungen zurückgreifen zu können. Ihre Adoptivtochter ist glücklicherweise schon der Pubertät entwachsen.

Lilli Steinfest ist eine unerschrockene Frau, die auch in völlig abgedrehten Situationen eine grandiose Abgeklärtheit beweist (z.B. beim versuchten, gewaltsam erzwungenen Oralverkehr mir einem in Paprikapaste getauchten toten Fisch, den ein als Batman maskierter Wüstling urplötzlich aus seinem Hosenschlitz zaubert!...). Lilli ist cool.

Die wilde Hatz von Athen in den Jemen und rund um die Welt. Oder: Räuber und Gendarm im neuzeitlichen Gewand

Schnell findet Lilli dank ihrer feinen Klingonennase bei der Suche nach Stransky die richtige Spur.
Nebenbei: Ihr Chef Friedo "Baby" Hübner, unter Kollegen und in seiner Abwesenheit so genannt nach dem kleinen Wildschwein aus dem Marionettenspiel der Augsburger Puppenkiste "Katz und Maus", hält sich diskret zurück. Zu heiß, die Sache.

Vor Ort wird ihr der fettleibige Kette rauchende und kurzatmige Kallimachos zur Seite gestellt, bei dem man "das Wasser in den Beinen förmlich rauschen hört" und der sich nur schwitzend und mühsam mit Gehwägelchen oder Stock im Schneckentempo fortbewegen kann. Sein gefürchteter Nimbus beruht auf seiner scheinbaren Unverletzlichkeit in früheren Pistolenschlachten mit Banditen, die er alle eine einzige Schramme überlebte.

Er ist bei der ihrer Suche nach Stransky eher hinderlich als fördernd, aber eine herrliche gestaltete Nebenfigur innerhalb der Story.

Auf einer parallelen und nicht minder amüsanten Erzählebene lernen wir die Gegenspieler, die Jäger von Georg Stransky kennen, behaftet mit dem Ruf, schon siebenmal erfolgreich vernichtet zu haben. Menschenleben, wie gesagt.

Chef der Brutalos ist - Esha Ness, eine Frau, ein "attraktives Ungeheuer", ein Suberweib (im früheren Leben vermutlich Mammutjägerin), welche ständig ihren fünf Monate alten Buben namens Floyd (vermutlich künstliche Befruchtung, eventuell gar Windbestäubung?) durch die Gegend schleppt und dabei Salat speisend en passe' die tödlichen Instruktionen zur Liquidation von Georg Stransky erteilt. Sie ist gefürchtet, so dass ein jeder in ihrem Umfeld bemüht ist, es ihr recht zu machen.

Ihre Befehle richtet sie vorrangig an Henri Desprez, einen kleinen, knallharten Hund, als Legionär gestählt durch Mord und Totschlag.

Desprez hält Folter für "rückständig, persönlich motiviert, pathologisch und vor allem unökonomisch". Desprez liquidiert gnadenlos und schnell, das hat ihm den Job im Geheimdienst gekostet. Jetzt arbeitet er nach altbewährten Prinzipien ("Alles in der Welt, was mehr als dreimal gesagt und getan wurde, war eine Peinlichkeit") für jene hübsche, vom Ungeheuer mimikrierte, durchs Wasser schwebende Nixe namens Ness.

Skurrile Typen garantieren genüssliches Lesvergnügen

Lilli Steinbeck ist ein Lesegenuss für Gourmets der deutschen Sprache, für Langsamleser, Gaumendenker, die Satz für Satz genüsslich im Hirn zergehen lassen - und die es aushalten, aus dem nicht enden wollenden Bonmot-Bombardement ihr Zwerchfell bis an die Leistungsgrenze strapazieren zu lassen, und zwar auf angenehmste Weise.

Die unterschiedlichen Erzählebenen (Stransky und der gewandelte Finne Joonas Vartalo als Gejagte, Esha Ness und Henri Desprez als Jagende, Lilli Steinbeck und der behäbige Kallimachos als Rettungshelfer) wechseln anfangs Kapitelweise, ohne dass man Schwachpunkte und langweilige Aussetzer befürchten muss. Lilli Steinbeck ist aus einem Guss, ein überaus gelungener Krimi.

Das einzig verstörende ist der minimalisierte, hetzende Epilog, der die gehoffte Fortsetzung auf zwei Folgekrimis a la Markus Cheng so ziemlich aussichtslos erscheinen lässt. Lilli, wir würden dich nach diesem kurzen Gastspiel sehr vermissen!

Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Heinrich Steinfest, Piper

Die feine Nase der Lilli Steinbeck

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