Haus ohne Spuren
- Lübbe Audio
- Erschienen: Januar 2007
- 5
- Reykjavík: Mál og menning, 1998, Titel: 'Engin spor', Originalsprache
- Bergisch Gladbach: Lübbe Audio, 2007, Seiten: 4, Übersetzt: Wunder, Dietmar
- Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 2009, Seiten: 365
Familiendrama, made in Island
Auf Island, größte Vulkaninsel der Welt, leben je Quadratkilometer 3 (in Worten: Drei!) Einwohner; auf 40 km2 vereinsamen sich im Schnitt zwei bis vier Häuser. Das klingt nach friedlichem Natur-Relaxing.
Jedoch in Reykjavik, dem Schauplatz von "Haus ohne Spuren", leben knapp 40 Prozent der Gesamtbevölkerung. Hier lässt Ingolfsson seine Protagonisten leben, lieben und morden.
Eigentlich ist A. Indridason mit seiner Kommissar Erlendur - Reihe der isländische Krimi-Papst. Lange stand er einsam und unerschütterlich in der kargen Insel-Krimilandschaft. Mit Victor Arnar Ingolfsson weht uns jetzt ein frischer nordatlantischer Wind entgegen.
Sein Krimi "Das Rätsel von Flatey", 2004 nominiert für den Nordic Crime Award, war auch in Deutschland ein überaus gelungenes und erfolgreiches Debüt.
Der als Ingenieur beim isländischen Straßenbauamt tätige Ingolfsson legt uns mit "Haus ohne Spuren" einen weiteren Krimi von der spannenden Insel der Gletscher und Geysire vor.
Der Autor verweist ausdrücklich auf die freie Erfindung der Namen, Personen und Begebenheiten, lehnt Ähnlichkeiten als nicht beabsichtigt und rein zufällig ab.
Das fällt dem Leser äußerst schwer, zu glaubwürdig, schlüssig und nachvollziehbar ist die Story. Noch dazu, wenn eine Landkarte der Hauptschauplätze und ein Stammbaum der Familie Kieler, den Hauptakteuren des Buches, vorangestellt sind. Das schafft familiäre Authentizität, der Leser fühlt sich schnell heimisch an Kielerschen Herd.
Island - Insel ohne Schienenstrang
Zum Verständnis: Der Tourismus bildet für die grüne Insel den zweitgrößten Wirtschaftszweig, Tendenz steigend. Erreichbar ist Island nur per Flugzeug oder Schiff.
In Island selbst gibt es keine schiffbaren Flüsse, keine Autobahnen und - man höre und staune - bis heute (2007) keine Eisenbahn! Letzteres ist unvorstellbar, aber wahr. Hier setzt Ingolfssons Familiensaga an.
Ein Haus ohne Spuren
Reykjavik, 18. Januar 1973: Der allein lebende Historiker und langjährige Bankangestellte Jacob Kieler junior (48) wird erschossen in seiner Reykjaviker Villa von seiner Haushälterin aufgefunden. Ein einsamer und qualvoller Tod, denn die eigentliche Todesursache lautet "Verblutung durch nicht tödliche Schusseinwirkung".
Es fehlt jegliche Spur, und der Hergang der Tat ist dem Ermittlerteam völlig unerklärlich, auch, weil es keine Jacob Kieler feindlich gesinnten Personen gibt.
Die Familienvilla Birkihlid mutiert zum "Haus ohne Spuren".
Bei den Recherchen stellt sich dann verwirrender weise heraus, dass der Vater des Toten, der Ingenieur und isländische Eisenbahnvisionär Jacob Kieler senior, im Juli 1945 auf exakt die gleiche Weise umgebracht wurde.
Zufall oder Serienmord, was steckt hinter den beiden identischen Morden, die zeitlich durch fast 30 Jahre voneinander getrennt sind?
Das Tagebuch des Jacob Kieler
Zum Glück hat Jacob Kieler senior zu seinem im Jahre 1910 bestandenen Abitur von seinem Vater, einem begüterten Reykjaviker Unternehmer, ein Tagebuch geschenkt bekommen: Hier sollte er das wichtigste im Leben notieren und späteren Familiengenerationen hinterlassen.
Jacob studiert anfangs in Dänemark Ingenieurwissenschaften, aber in Deutschland und Amerika unterlag er der Faszination der Eisenbahn. Es wurde sein Lebenstraum, mit Hilfe der Staates oder ausländischer Finanziers in Island eine Eisenbahnlinie in Nord-Süd-Richtung aufzubauen. Damit hätte er den Kielers ein Denkmal gesetzt.
Jedoch waren die Kriegswirren immer wieder verbunden mit unverhofften Rückschlägen bei Realisierung seiner Mission.
Detailliert gibt sein Tagebuch den Ermittlern über den steinigen Weg zu ersten Erfolgen vom Juni 1910 bis Januar 1932 in 12 stattlichen Bänden Aufschluss. Allerdings befinden sich zusätzliche 7 Tagebücher - aus welchen Gründen auch immer - unter Verschluss im Safe der Familienvilla.
Der Safeschlüssel ist (natürlich) anfangs nicht auffindbar, da vom Sohn, dem Historiker Jacob Kieler junior sorgsam versteckt.
Dieser Jacob Kieler junior nimmt die Familientradition sehr ernst. Nichts wird weg geworfen, alles akribisch archiviert und komplette Zimmer in der Villa gleichen dem Museum einer begüterten Familie, seit Jahrzehnten unberührt.
Der letzte Eintrag im Band 19 endet am 08. Juli 1945 mit dem knappen Eintrag: "Morgen kommt Matthias".
Matthias ist der Bruder von Ingenieur Jacob Kieler. Er war lange Jahre in Deutschland als Cellist tätig, unverheiratet und kinderlos und hat in seinem deutschen Kammerdiener zugleich einen langjährigen Begleiter gefunden.
Fünf Tage nach dem Tagebucheintrag wird Jacob Kieler ermordet.
S. 363: "Man wird diese Familie nur schwer vergessen können"
Der unwiderstehliche Reiz und Charme des Buches besteht in der Verquickung der beiden Mordfälle, die von einer so langen Zeitspanne getrennt und so sehr identisch sind.
Dass die Tagebucheinträge parallel zu den Ermittlungen der Reykjaviker Kripo ständig offen gelegt werden, ist auch und gerade für den Leser eine gelungene Methode auf dem Weg zur Lösung des Falles, der dann von einem starken Team in komprimierten 6 Tagen erfolgreich abgeschlossen wird.
Und was ist das doch für ein sauber gezeichnetes Ermittlerteam um den seit 35 Jahren verheirateten Halldor, sympathischer Chef der Sonderkommission für Gewaltverbrechen!
Johann, dem Amerika erfahrene forensische Spurensicherer, zielgerichtet und streng wissenschaftlich orientiert auf der Suche nach Indizien und Beweisen; Johann mit der "ungewöhnlichen Fähigkeit, sich an Fingerabdrücke fast genau so gut wie an Gesichter erinnern zu können" (S. 131).
Und dann ist da noch Hrefna, 33, ehemalige Streifenpolizistin und allein erziehende Mutter einer mittlerweile fünfzehnjährigen Tochter. Hrefna, zerbrechlich, sensibel und für den Job als Ermittlerin einfach zu sehr Frau statt Kerl.
Nur der zur jähzornigen Schikane neigende Egill fällt als schwarzes Schaf aus der seriösen Reihe. Er missbraucht seine Ermittlerposition schon dann und wann einmal für seine eigenen Spielchen...
Mit diesem Ermittlerteam präsentiert Ingolfsson einen interessanten Einblick in moderne Spurensicherung, Ballistik und beispielhaftes Teamwork. Das ist spannend, auch ohne gravierende blutige Schlachten.
Das Team geht dabei betulich nordisch zu Werke, nichts scheint es aus der Ruhe zu bringen bei den Vernehmungen von Zeugen und Verdächtigen in immer netter, vertrauter, Island typischer Du-Anrede.
Sehr schön dargestellt ist auch der Fakt, wie der starrsinnige und Eisenbahn Besessene Jacob Kieler senior im zähen Ringen um potentielle deutsche Geldgeber die nationalsozialistische Bewegung idealisiert, mit ihr kokettiert und anbändelt. Erst die Offenbarung der grausamen Massaker an seinem musischen Bruder scheinen ihm die Augen zu öffnen.
Tathergang und Ablauf der beiden identischen Morde ist die einzige Schwäche im "Haus ohne Spuren" und wirkt fürs 20. Jahrhundert reichlich konstruiert. Ähnlichkeiten mit einem Klassiker der "Looked Rooms" - Kurzgeschichten vom Altmeister E.A. Poe bereits 1841 aufgeschrieben (und mehr darf an dieser Stelle einfach nicht verraten werden!!!) sind all zu offensichtlich, um als Ingolfsson-Ursprungsrecht durchzugehen...
Viktor Arnar Ingólfsson, Lübbe Audio
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