Blutpreis

  • dtv
  • Erschienen: Januar 2007
  • 6
  • München: dtv, 2007, Seiten: 500, Übersetzt: Bela Stern
  • London: Hodder & Stoughton, 2005, Titel: 'The blood price', Originalsprache
  • München: audio media, 2008, Seiten: 6, Übersetzt: Michael Schwarzmaier, Bemerkung: gekürzt
Blutpreis
Blutpreis
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Bernd Neumann
67°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2007

Srebrenica und seine Nachwehen

Balthazar "Paul" Wood, 29, gebürtiger Kanadier, ist IT-Spezialist und arbeitet in San Francisco. Derzeit ist er "eine arbeitslose Lusche, die keinen Job findet und Eltern und Freundin auf der Tasche liegt". Als Computerprogrammierer findet er plötzlich ein neues Betätigungsfeld, viel schneller, als ihm lieb ist.

 

Das Taxi kam genau im falschen Moment. Wäre es zehn Sekunden früher aufgetaucht, hätte ich das Kind nicht gesehen. Zehn Sekunden später, und ich hätte dem Jungen nicht mehr helfen können. Ich wäre nicht in die ganze Sache verwickelt worden, und der Rest meines Lebens wäre komplett anders verlaufen.

 

 

Wer das liest, kauft. Was für ein gewaltiger Spannungsbogen, welche Erwartungshaltung im ersten Absatz! Also: weiter lesen!

Jon Evans führt uns in seinem zweiten Thriller mit Titelhelden Paul Wood zurück in das Bosnien im Frühling 2003. Wood will mit Lebenskameradin Talena Radovic nach dem Ende der Kriegshandlungen deren bosnische Schwester Saskia besuchen. Diese geplante Urlaubsstippvisite wird mehr und mehr zum Horrortrip. Trotz der Nato-Friedenstruppen regieren in Bosnien auch weiterhin Chaos und Gesetzlosigkeit.

Saskia entpuppt sich schnell als ist ein verstörtes Wesen, das unter der Brutalität und den Saufgelagen ihres Ehemannes leidet. Dragan, dieses "kranke Arschloch" und seine ehemaligen Heckenschützenfreunde, einst als "bosnische Tiger" gefürchtet, ballern dann nach reichlich viel Slivovitz schon mal auf offener Straße mit dem MG in Erinnerung an die guten alten Kriegszeiten heftig in der Gegend rum. Woods Eindruck, es nur mit "bosnischen Garagenganoven" zu tun zu haben, wird im Laufe der Handlung jedoch immer mehr zu einer fatalen Fehleinschätzung. Saskia würde diesem lauten Macho-Gedöns gern entfliehen, aber das ist unter den herrschenden Bedingungen leichter gesagt als getan.

Nepper, Schlepper, Bauernfänger

Durch Mitleid mit einem verzweifelten, weil einsam zurück gelassenen Jungen am nächtlichen Straßenrand gerät Paul Wood unbeabsichtigt in die Fänge einer Menschenhändlerbande. Hier trifft er auf das Duo Zoltan und Zorasa, und ihm wird klar:

 

"Die Frau und der Mann im Hintergrund waren Veteranen der Gewalt, hatten Dinge gesehen, über die ich lieber nichts Näheres erfahren wollte".

 

Chef der Menschenhändlermafia ist der Niederländer Sinisa, ehemaliger Nato-Blauhelm , mittlerweile aber blonder Pferdeschwanzträger. Dessen Machenschaften werden scheinbar von den bosnischen Behörden nicht nur geduldet, sondern unterstützt. Als dieser von den amerikanischen IT-Kenntnissen seines unerwarteten Besuchers Paul Wood erfährt, lässt er dessen Fähigkeiten antesten und bietet ihm danach einen gut bezahlten Job in der Organisation an. Paul sieht darin zwei große Chancen.

Die Beziehung zwischen Talena und Paul Woods dümpelt schon längere Zeit trostlos vor sich hin. Die mittlerweile 18-monatige Arbeitslosigkeit hat den Programmierer frustriert, ihn jähzornig und phlegmatisch werden lassen, was meistens in Streit mit anschließender Funkstille in ihrer Beziehung endet. Jetzt bietet sich ihm nach trostlosem Nichtstun wieder eine unerwartete Chance zur Selbstbestätigung. Und vielleicht könnte Sinisa der Fluchthelfer es mit seinen Beziehungen ja organisieren, Telenas Schwester aus den Klauen ihres Mannes zu befreien und eine Auswanderung nach Florida organisieren!

Menschenschmuggel auf olympischem Goldmedaillen-Level

Sinisa erklärt als seine eigentliche Mission, Menschen aus armen Ländern in reiche zu schleusen. Zwar illegal, aber nicht unmoralisch. Er empfindet sich in vergleichbarer Position wie "Ärzte ohne Grenzen", "Amnesty International" oder UNICEF: Menschen von Gefahr, Hunger, Angst, Verzweiflung und unvorstellbarer Armut zu erlösen, sie in Länder zu bringen, wo sie eine Chance auf ein besseres Leben erhalten. Dem geht der ehemalige Bagpacker und Weltenbummler Ron Wood auf dem Leim und stürzt sich in die Programmierarbeit. Er ahnt nicht, dass er eine Marionette ist, um für Sinisa ein todsicheres Internetkommunikationssystem aufzubauen. Hier sollen Sinisas Geschäftspartner und gemeinsam arbeitende Organisationen in einer ungeahnten und vorher nie da gewesenen Transparenz vernetzt werden, von Schreibtisch und aus sicherer Position. Er will zum uneingeschränkten Monopolisten der Branche Menschenhandel werden, deren Jahresumsatz sich weltweit auf mittlerweile 10 Mrd. Dollar beläuft.

Erst sehr spät erkennt Ron Wood die schlimmen Absichten und Hintergründe seines holländischen, scheinhumanistischen Arbeitgebers. In einer wilden Hatz von Bosnien über Jugoslawien nach Albanien zu den Kanaren bis hin in das mittelamerikanische Belize nach Mexiko gipfelt das ganze Spektakel im legendären Black Rock City mit einem fulminanten Countdown.

Massaker von Srebrenica ein bleibendes Mahnmal gebaut

Jon Evans legt mit Blutpreis einen wiederum unterhaltsamen und spannenden, flüssig geschriebenen Thriller vor.
Als ehemaliger Rucksacktourist kennt er viele exotische Ecken dieser Welt wie seine Westentasche. Davon profitiert der schillernde Krimi ebenso wie von seinem Beruf als IT-Consult.

Beachtenswert ist dieser Thriller vor allem deshalb, weil er es schafft, mit der Leichtigkeit eines Eric Ambler den verworrenen Bosnien-Krieg verständlich und sehr, sehr bedrückend darzustellen. Hier geschahen unglaubliche Gräueltaten, und viele der damaligen Kriegsverbrecher versuchten, auf illegalem Wege in die Anonymität der Karibik geschleust zu werden. Das macht wütend und nachdenklich.

Der Völkermord von Srerebica im Juli 1995 kostete 8000 Bosniaken auf bestialische Art das Leben, tausende Leichen wurden mit Bulldozerkräften in Massengräbern verscharrt, spätere Umbettungen sollten die Gräueltat verschleiern.

In ganz anderer Stimmung manifestiert Evans aber zugleich mit dem Finale in Black Rock City den wohl letzten verbliebenen Wallfahrtsort der Flower-Power-Hippie-Künstlergemeinde auf ewig in der Kriminalliteratur.
In dieser Salztonebene der Wüste Nevadas findet alljährlich ein Kunstfestival statt, das acht Tage andauert und traditionell am Labour Day mit dem "Burning Man" endet (eindrucksvoll zu sehen auf dem Coverfoto v. Brian K. Herman). 1986 aus einer Liebeskummerbierlaune mit zwanzig Teilnehmern entstanden, lockt dieser Event alljährlich um die 40 Tausend Menschen aller Nationen an.

Und wie Jon Evans diese glitzernde Scheinwelt mit ihren absonderlichen Kunstwerken schildert wirkt so unglaublich authentisch, dass wir sicher sein können: Er hat dieses wohl skurrilste Happening auf unserem Planeten als Rucksacktourist schon vor Jahren (garantiert) genüsslich erkundet.

Blutpreis

Jon Evans, dtv

Blutpreis

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