Die Kammer der toten Kinder
- Ullstein
- Erschienen: Januar 2007
- 23
- Paris: Le Passage, 2005, Titel: 'La chambre des morts', Seiten: 311, Originalsprache
- Berlin: Ullstein, 2007, Seiten: 329, Übersetzt: Ingrid Kalbhen
- Berlin: Ullstein, 2009, Seiten: 329
Schauermärchen in modernem Gewand
Taxodermie, das ist die Präparation von toten Tieren. Soviel "Allgemeinwissen" verlangt der Roman "Die Kammer der toten Kinder" von seinen Lesern. Und dieses schöne Fremdwort wird einem mit schöner Regelmäßigkeit über den Weg huschen. Mit einigen Vorschusslorbeeren - laut Verlag war das Buch wochenlang in den französischen Bestsellerlisten - kommt das Werk des Ingenieurs Franck Thilliez auf den deutschen Buchmarkt. Wer aufgrund des reißerischen Titels nun erwartet, es mit einem Roman über einen pädophilen Serienmörder zu tun zu bekommen, der irrt. Eine "Kammer der toten Kinder" kommt in dem Roman nicht vor, wohl aber eine "Totenkammer". Wieder einmal ein Beispiel dafür, dass ein Verlag lieber ein wenig enger am Originaltitel geblieben wäre und "Le chambre des morts" so übersetzt hätte, wie es Schüler in der 7. Klasse täten.
Die Idee des Autors klingt spannend. Zwei Arbeitslose Informatiker wollen sich an ihrem Ex-Arbeitgeber rächen und sprühen in düsterer Nacht Parolen an die Fabrikwände. Auf der Rückfahrt von ihrer Aktion rasen sie ohne Licht durch ein Industriegebiet und überfahren einen Mann, der mit einem Koffer voller Geld unterwegs zu einer Lösegeldübergabe war. Kurz entschlossen packen die beiden das Geld und den Toten in ihren Wagen und freuen sich ob des unerwarteten Reichtums. Doch nur wenige Meter vom Unfallort beobachtet der Entführer den Unfall und seine Geisel, ein kleines Mädchen, muss in dieser Nacht sterben.
Bei Geld endet die Freundschaft
Lucie Henebelle ist eine junge Polizistin, Mutter von Zwillingen, allein erziehend. Die beiden Mädchen rauben ihr jeglichen Schlaf und daher ist Lucie kurz vor Weihnachten glücklich, dass sich ihre Eltern verstärkt um die Kleinen kümmern können, da auf sie Dank des Urlaubszeit ihrer Kollegen ihr erster Einsatz in einer Mordkommission wartet - der Mord an jenem kleinen Mädchen, dessen Leiche wie eine Puppe hergerichtet wurde. Lucie ist begeistert von True Crime Literatur und Büchern über Profiling. Mit ihren Gedanken nervt sie sehr schnell ihre Kollegen, findet aber auch interessante und richtige Ansätze. Denn ein Wolfshaar im Rachen der Leiche weist den Weg zum Mörder.
Die anderen beiden Protagonisten sind Vigo und Sylvain, die beiden Arbeitslosen mit der fetten Beute. Zunächst ahnen sie nicht, dass der Entführer ihr Auto in der Unfallnacht gesehen hat. Sylvain, der selber Frau und Tochter hat, macht sich jedoch sehr bald Vorwürfe, sich derart skrupellos bereichert zu haben. Für Vigo, der dem Duft des schnellen Reichtums schon verfallen ist, wird er mehr und mehr zu einer Gefahr. Denn auf keinen Fall soll ihn der Freund um die Früchte des Glücks bringen. Und so reift bei Vigo ein tödlicher Plan.
Tiefer Griff in die Gruseltrickkiste
Schon das Buchcover stimmt die Leserschaft richtig ein: die Konturen einer Puppe, zart und zerbrechlich, lassen einen gruseligen Inhalt erwarten. Und tatsächlich, spätestens als Henebelle einen Tierarzt in einem Zoo befragen muss, aus dem nicht nur eine Wölfin geraubt wurde, läuft einem ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Es kommt aber noch besser: finstere Häuser mit unterirdischen Kellerverliesen und reichlich obskure Gestalten findet die jungen Kommissarin bei ihren Ermittlungen. Und natürlich hat es der Mörder längst nicht auf irgendein weiteres Opfer, sondern auf Henebelle abgesehen.
Interessanter Stoff. Und dennoch stellt sich leider keine rechte Begeisterung ein. Die Story mit den beiden arbeitslosen Freunden fängt sehr gut an, lässt aber sehr schnell genauso stark nach. Henebelle selber überrascht mit ihrem profunden Profiling-Wissen; aber kann sie den Leser auch überzeugen? Die Spuren, die sie verfolgt werden zusehends obskurer. Orte, die sie aufsucht und Personen, mit denen sie spricht, werden immer klischeehafter. Agent Starling lässt grüßen. Schade, da hätte mehr draus werden können.
Nach dem wirklich guten Einstieg rutscht "Die Kammer der toten Kinder" immer mehr ab zu einem Remake aus Schweigen der Lämmer und Brigitte Auberts Puppendoktor. Zwar durchaus unterhaltsam und teilweise auch fesselnd, aber eben nicht wirklich originell. Viel Effekthascherei und eine immer dünner werdende Story für einen Psychothriller, der nicht die Qualität besitzt, nachdrückliche Wirkung zu erreichen.
Franck Thilliez, Ullstein
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