Das Kind
- Droemer
- Erschienen: Januar 2008
- 109
- München: Droemer, 2008, Seiten: 400, Originalsprache
- Bergisch Gladbach: Lübbe Audio, 2007, Seiten: 6, Übersetzt: Simon Jäger
- München: Knaur, 2009, Seiten: 393, Originalsprache
- München: Droemer Knaur, 2012, Seiten: 400, Originalsprache
Sind aller guten Dinge wirklich immer drei?
Deutschlands Shootingstar am Psychothriller-Himmel heißt Sebastian Fitzek: Seine ersten beiden Werke (2006: Die Therapie, 2007: Das Amokspiel) wurden hoch über den grünen Klee gelobt, von Rezensenten ebenso wie von seiner mittlerweile großen Krimifangemeinde. Für beide Psychothriller sind die Filmrechte schon unter Dach und Fach, ja, Fitzeks Bücher werden im krimitraditionellen England erfolgreich verkauft. An Sebastian Fitzek (und seiner sehr sympathischen, ja fast familiären Homepage) geht kein Weg mehr dran vorbei. In seinem dritten Psychothriller, in der Erstauflage bei Droemer erstmals nicht als Taschenbuch, sondern mutig fest gebunden erscheinend, geht es gleich am Start rasant zur Sache:
"Als Robert Stern vor wenigen Stunden diesem ungewöhnlichen Treffen zugestimmt hatte, wusste er nicht, dass er damit eine Verabredung mit dem Tod einging."
Ein erster Satz, der es durchaus verdient hat, für die Zweitauflage von Thomas Wiekes "Der schönste erste Satz" berücksichtigt zu werden!
Und nahtlos weiter:
"Noch weniger ahnte er, dass der Tod etwa hundertdreiundvierzig Zentimeter messen, Turnschuhe tragen und lächelnd auf einem gottverlassenen Industriegelände in sein Leben treten würde."
Noch so ein Hammerding! Da spielt jemand mit der deutschen Sprache, und das auf verdammt hohem Niveau! Die Spannung ist in kürzester Zeit aufgebaut, der hoch geschätzte Leser kann sich ins Berliner Getümmel stürzen.
Robert Stern - erfolgreich unglücklich
Robert Stern ist ein angesehener Berliner Strafverteidiger. Als Seniorpartner von Langendorf, Stern und Dankwitz, den führenden Strafverteidigern Berlins, hat er - sehr zum Leidwesen von Polizei und Staatsanwaltschaft - schon so manchen Angeklagten erfolgreich vor dem sicheren Knast bewahrt.
Robert Stern ist erfolgreich im Job, familiär jedoch ist er traumatisiert, nachdem er seinen einzigen Sohn wenige Tage nach der Geburt durch plötzlichen Kindstod verloren hat. Seine damalige Frau ist wieder verheiratet und glückliche Mutter von Zwillingen, Stern jedoch lebt seitdem völlig zurückgezogen in einer noblen, aber spartanisch und unpersönlich eingerichteten Wohnung. Hinter einer sorgfältig aufgebauten Fassade teurer Anzüge aus edlem Zwirn und hochglanzpolierten Dienstwagen hat er sich abgeschottet. Stern ist mit seinen 45 Jahren ein vereinsamter, beziehungsloser Wolf, der seine ganze Energie auf den beruflichen Erfolg fokussiert hat.
Simon Sachs - ein Mandant im Turnschuhformat
So ist es eben nur allzu verständlich, dass er den per Telefon geäußerten Wunsch seiner ehemaligen Freundin, der Krankenschwester Carina Freitag, nicht abschlägt, die Mandantschaft für einen ihrer Bekannten zu übernehmen. Dieser Bekannte entpuppt sich beim Treffen auf einem gottverlassenen Platz in der Nähe einer verwahrlosten Bauruine als der Turnschuhe tragende zehnjährige Junge aus oben zitiertem zweitem Satz. Dieser aufgeweckte und sympathische Simon Sachs wird gequält durch einen inoperablen Hirntumor und durch Erinnerungen an ein früheres Leben, in dem er mehrere ausgewachsene Männer ermordet hat. Gesundheitlich dem Tode geweiht, belastet ihn diese Endschuld. Deshalb soll Starverteidiger Robert Stern sein Anwalt sein, um ihn nach geplanter Selbstanzeige bei der Polizei im Gerichtsprozess zu verteidigen und zugleich von der Last seiner Taten im vorherigen Leben zu befreien.Stern misst dem ganzen Hokuspokus des Simon Sachs keine Bedeutung bei.
Als dieser sie dann aber im moderigen Keller der Bauruine tatsächlich wie vorausgesagt zu einer schon halbverwesten Männerleiche mit gespaltenem Schädel führt, wird er nervös. Diese Verunsicherung steigert sich ins unerträgliche, als er am Abend im Postkasten ein Video entdeckt, was seinen Sohn Felix lebend zeigt, obwohl er damals vor zehn Jahren knapp 48 Stunden nach der Geburt starb. Was passierte damals in der Kinderklinik wirklich, woher stammte das Video?
Eine entstellte Männerstimme befiehlt dem erfolgreichen Strafverteidiger, innerhalb einer Woche den Mordhinweisen von Simon Sachs nachzugehen, aber keinesfalls die Polizei einzuschalten, wenn er sein tot geglaubtes Kind jemals wieder sehen möchte.Diese Woche wird für Stern zu einem Höllentrip: grausige Dinge kommen ans Tageslicht, extreme Dinge, die er bei aller Berufserfahrung nicht für möglich gehalten hätte...
Mangel: Protagonisten nur mit blasser Ausstrahlung
Sebastian Fitzek ist ein grundsolider und spannender Krimi gelungen, der uns in den morbiden Untergrund Berlins führt. Jedes Kapitel seines dritten Krimis endet anfänglich mit einem Cliffhanger, ohne danach die ursprünglich vorhandene Erzähl- und Handlungsebene zu wechseln. Das ist flott lesbar, das Aufspüren der Mordopfer ist spannend und mitunter sehr skurril. Die Hauptkapitel beginnen jeweils mit Zitaten von Persönlichkeiten der Weltgeschichte und regen den Leser an, über die Wiedergeburt, über ein mögliches Leben nach dem Tode nachzudenken. Gut recherchiert und clever gemacht.
Bei allem Positiven ist eine gewisse Leblosigkeit der positiven Protagonisten des dritten Fitzek-Krimis nicht von der Hand zu weisen. Irgendwie gelingt es einfach nicht, sich in deren Haut zu versetzen, mitzuleben, mitzuleiden, mitzulieben.
Das passt wesentlich besser bei der Schilderung des knarzigen, nörgeligen und sich selbst bemitleidenden Vater von Strafverteidiger Robert Stern und mehr noch bei Sterns einstigen Mandanten und mittlerweile Kumpel namens Borchert, der nicht nur das "Kreuz im Format eines Breitbandflachbildschirmes", sondern als Besitzer mehrer Großraumdiskotheken und Pornoläden bestes Insiderwissen über die Machenschaften im Berliner Underground hat. Gewisse Ähnlichkeiten mit Bubba, dem ungestümen Helfer und Draufhauer des Ermittlerduos P.Kenzie/A.Gennaro von Dennis Lehane drängen sich auf.
Und noch etwas Bemerkenswertes: Die Milieuschilderung des Treffens von Borchert mit dem asozialen Penner Harry unter einer Berliner Autobahnbrücke in dessen verkeimtem Wohnwagen ("Der Handel", S. 209-214) ist ein an die Nieren gehendes Kapitel und ein Highlight nicht nur des vorliegenden Krimis, sondern der deutschsprachigen Kriminalliteratur überhaupt. Hier stellt Sebastian Fitzek seine journalistischen Wurzeln und seine Beobachtungsphantasie eindrucksvoll unter Beweis.
Über den angekitschten Schluss des vorliegenden Psychothrillers werden sich bei den Leserkommentaren sicherlich die Geister scheiden. Vielleicht hätte hier Sebastian Fitzek bei seiner gewaltigen Armada der Freunde, Partner, Helfer und Berater vor Veröffentlichung Rücksprache halten sollen...
Sehr lobenswert ist auch die in der deutschen Krimiliteratur beachtliche PR-Neuerung, dass jedem Buch der ersten Auflage ein Gratis-Downloadgutschein für das ungekürzte Hörbuch beigefügt ist. Das könnte Nachfolger finden und irgendwann zur Tradition werden.
Sebastian Fitzek, Droemer
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