Schlafende Engel

  • Diana
  • Erschienen: Januar 2005
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  • London: Macmillan, 2002, Titel: 'Loving Geordie', Seiten: 340, Originalsprache
  • München: Diana, 2005, Seiten: 445, Übersetzt: Nina Bader
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Jörg Kijanski
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2007

Ein Roman in bester englischer Krimitradition

Elswick, Newcastle upon Tyne, 1960: Der 15-jährige Leslie MacDonald gerät in seine bislang schwierigste Lebensphase. Gerade ist er mit der Schule fertig geworden und muss sich um einen Job kümmern, doch von den riesigen Industriefabriken will er nichts wissen. Viel mehr Alternativen gibt es allerdings nicht, denn Elswick soll dem Erdboden gleichgemacht, Leslies Heimat zerstört werden und einer neuen, modernen Bebauung mit Hochhäusern Platz schaffen. Als wären die Probleme damit nicht schon groß genug, bereitet ihm zunehmend auch seine Mutter Iris, von allen nur Scotch Iris genannt, Sorgen. Seit geraumer Zeit wirft sie immer wieder kleine Pillen ein, wirkt völlig abwesend und kümmert sich um ihre beiden Söhne nicht mehr. Stattdessen sichert sie sich ihren Lebensunterhalt durch zahlreiche Männerbekanntschaften, unter ihnen der einflussreiche und aufstrebende Politiker Mickey Robson.

Leslies Lebensschwerpunkt in dieser trostlosen Zeit ist sein jüngerer Bruder Geordie, ein Autist, der seine Umwelt nicht wahrnimmt und lediglich durch Voraussagen in die Zukunft sowie durch ein unglaubliches zeichnerisches Talent auffällt. Aufgrund seiner Behinderung wird Geordie von den meisten Einwohnern Elswicks gemieden und muss sich immer wieder dem Spot der "Zwillinge" aussetzen. Die beiden 13-jährigen Mädchen sind die Töchter von Robson, der sich diesen nicht mehr gewachsen fühlt, nachdem seine Frau die Familie verlassen hat.

Als Geordie mal wieder durch die Straßen zieht, um die abrissreifen Häuser auf seinem Malblock festzuhalten, findet er in einer der Ruinen die Leichen der ermordeten Zwillinge. Aus Sicht der Polizei ist der geistig zurückgebliebene Geordie sofort der Hauptverdächtige, doch bei seiner Festnahme gelingt ihm die Flucht. Leslie ist fest entschlossen, seinem geliebten Bruder zu helfen...

Atmosphärich dicht wie Ein Ort für die Ewigkeit

"Schlafende Engel" ("Loving Geordie") ist kein alltäglicher Krimi, sondern erinnert phasenweise an Val McDermids "Ein Ort für die Ewigkeit". Excellent gelingt es Andrea Badenoch die Atmosphäre der damaligen Zeit einzufangen und diese anhand eines überschaubaren Personenkreises zu beleuchten. Dabei entwickelt sich der eigentliche Krimiplot wie auch in dem genannten Buch von McDermid nur schleichend. Zwei Schritte vor, drei zurück und trotzdem kann man sich der fesselnden Situation kaum entziehen.

Immer wieder wechselt die Handlung zu den unterschiedlichen Figuren, die in ihrem Mikrokosmos eigene Probleme zu wälzen haben. Der drohende Umzug in eine unvertraute Umgebung trägt maßgeblich zu der düsteren Stimmung bei, die Bagger mit ihren Abrissbirnen sind ständig präsent. Fast ist man geneigt, sich die Ohren zuzuhalten, um ihrem Lärm zu entgehen. Die Figuren selbst sind ebenfalls hervorragend gelungen. Der Friseur Sammy Schnitzler, Iris Vermieter, beispielsweise driftet gedanklich immer wieder in die Vergangenheit ab, als er in Wien lebend mit seiner Familie vor den Nazis fliehen musste. Übrig blieben nur er und sein Sohn Ratty, der als Handlanger für den Politiker Robson die Drecksarbeit erledigt und nebenbei mit Drogen handelt. Rissen damals die Nazis alles nieder, so sind es jetzt die Bagger die alles in Schutt und Asche legen. Kein Wunder, dass der Friseursalon nicht mehr läuft und Schnitzler versucht, sich mit der Reparatur von Regenschirmen etwas nebenher zu verdienen.

Alle Personen in diesem Roman haben Probleme, vor allem aber Iris und Leslie. Ergreifend schildert Andrea Badenoch wie Iris, deren Mann 1945 kurz vor Kriegsende starb, just als diese mit Geordie schwanger war, immer stärker und immer schneller den Boden unter ihren Füßen verliert, bis sie letztendlich völlig herunter gekommen nur noch einen Ausweg sieht. Leslies Lage wurde eingangs bereits beschrieben und der Leser fiebert mit diesem Jungen mit, der allein auf sich gestellt, auch noch für seinen Bruder sorgen muss. Anders als bei John Grishams "Der Klient" wird der Jugendliche hier in seinem Verhalten durchweg glaubhaft porträtiert. Die Situation in den großen Fabriken wirkt beklemmend, kein Wunder, dass der sensible Junge dort nicht arbeiten möchte. Es ist ein wahrer Teufelskreis.

Zurück zum Krimiplot: Hier wird kaum erkennbar ermittelt, wenngleich sporadisch mal die örtliche Polizei Zeugen befragt und später sogar Beamte von Scotland Yard ihren Auftritt haben. Die Spannung erklärt sich vielmehr aus der allgemeinen Situation bzw. der Weiterentwicklung der Charaktere. Gab es im Krieg einen klaren Feind, so ist die Lage in Elswick nun deutlich verwirrender, denn niemand glaubt so richtig daran, dass der geistig zurück gebliebene Geordie ernsthaft als Doppelmörder der Zwillinge in Frage kommt. Doch wer war es dann? Verdächtige gibt es genug und so wird allein die Auflösung vielleicht dem ein oder anderen Leser "etwas zu weit hergeholt" vorkommen. Obwohl...

Alles in Allem ist "Schlafende Engel" ein Roman in bester englischer Krimitradition, dessen düstere Grundstimmung indirekt dadurch verstärkt wird, dass dies traurigerweise leider das letzte Buch von Andrea Badenoch ist.

Schlafende Engel

Andrea Badenoch, Diana

Schlafende Engel

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