Feuereifer

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2007
  • 5
  • New York: Putnam, 2005, Titel: 'Fire Sale', Seiten: 402, Originalsprache
  • München: Goldmann, 2007, Seiten: 448, Übersetzt: Sybille Schmidt
  • München: Goldmann, 2009, Seiten: 445, Übersetzt: Sybille Schmidt
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Michael Drewniok
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2007

Globalisierung und Terror - Globalisierung ist Terror

Die South Side gehört zu jenen Vierteln der Stadt Chicago, in die sich der brave Mittelstandsbürger ungern verirrt. Armut, familiäre Gewalt, Massenarbeitslosigkeit und Kriminalität gehören zum Alltag der Bewohner, die vom Establishment als Verlierer und Faulpelze abgestempelt werden.

Eine, die es geschafft hat, der South Side zu entfliehen, ist Victoria Iphigenia Warshawski, die eine kleine Detektei besitzt und selten an die Vergangenheit denkt, bis diese sie eines Tages einholt: Eine Lehrerin ihrer alten Schule, der Bertha Palmer High, bittet sie als Trainerin des weiblichen Basketball-Teams einzuspringen. Vic, unter deren harter Schale das Herz einer Idealistin schlägt, lässt sich überreden.

Sie übernimmt in der South Side sogar einen Fall ohne Bezahlung: Eine der unterbezahlten Arbeiterinnen der Hinterhoffirma "Fly the Flag" berichtet von diversen Sabotageakten, die in letzter Zeit verübt wurden. Frank Zamar, der Eigentümer, leugnet dies freilich und fordert Vic auf ihre Arbeit einzustellen; seine deutlich erkennbare Angst lässt die erfahrene Detektivin jedoch erkennen, dass hier etwas faul ist.

Die finanzielle Not des ihr anvertrauten Basketball-Teams lässt Vic nach Sponsoren Ausschau halten. Sie recherchiert, das vor vielen Jahrzehnten William "Buffalo Bill" Bysen zu den Schülern der Bertha Palmer High gehörte. Heute ist Bysen Herrscher der gigantischen "By-Smart"-Kette, die Filialen überall in den USA besitzt und gerade zum Sprung nach Europa ansetzt. Allerdings ist Bysen ein bigotter, rassistischer und chauvinistischer Kapitalist der ganz alten und im Zeitalter der Globalisierung wieder aktuellen Schule. Wer für "By-Smart" arbeitet, wird gegängelt und ausgebeutet.

Vic kann Bysen erreichen, weil sie die Aufmerksamkeit von Enkel William III, genannt "Billy the Kid", erregen kann. Der junge Billy hat ein großes Herz für die Unterprivilegierten. Als er von seinem Vater, dessen Brüdern und sogar vom verehrten Großvater attackiert wird, taucht er unter, woraufhin William II. Vic engagiert ihn zu suchen. Billy weigert sich jedoch in den Schoß der Familie zurückzukehren und droht düster mit der Aufdeckung einer Verschwörung. Bevor Vic nachhaken kann, besucht sie "Fly the Flag" gerade dann, als die Firma in die Luft fliegt. Verletzt und von der Polizei beargwöhnt setzt Vic ihre Ermittlungen fort, doch jene, die um ihr schmutziges Geheimnis fürchten, hecken mörderische Gegenmaßnahmen aus ...

Krimi mit Botschaft: ein Auslaufmodell?

In den frühen 1980er Jahren gehört Sara Paretsky zu den treibenden Kräften bei der Definition eines neuen Subgenres des Kriminalromans. Weibliche Detektive hatte es zwar schon früher gegeben, doch sie waren eindeutig in der Minderzahl, wurden in der Regel als kuriose Ausnahmen oder bloße Abziehbilder ihrer männlichen Kollegen charakterisiert. Mit Marcia Muller, Linda Barnes oder eben Paretsky wurden nunmehr Schriftstellerinnen aktiv, die sich als Feministinnen und Frauenrechtlerin sahen, doch ihre Ansichten nicht politisch, sondern literarisch propagierten. Völlig richtig rechneten sie damit, von einem breiteren Publikum zur Kenntnis genommen zu werden, wenn sie ihr/e Anliegen in unterhaltsame Geschichten integrierten statt verbissen und humorfrei zu predigen.

Sara Paretsky schuf mit V. I. Warshawski keine Galionsfigur des Feminismus', sondern gönnte ihr ein wesentlich breiteres geistiges Spektrum. Warshawski behält stets den Blick fürs Ganze, wobei ihr ein Studium und ein berufliche Erfahrung ermöglicht, diesen auch hinter die Kulissen zu richten. Dort findet sie bei ihrer Arbeit, was sie in Vertretung von Paretsky ebenso empört: politische Machenschaften, ungelöst bleibende, weil "oben" ignorierte wirtschaftliche und soziale Missstände, Verdummung und Unterdrückung im angeblichen Namen Gottes. Auch "Feuereifer" bietet erneut einen schauerlichen Cocktail drastisch geschilderter Ungerechtigkeiten, aus denen sich eine an Spannung stetig zunehmende Handlung entwickelt.

Idealismus in einer gleichgültigen Welt

Obwohl V. I. Warshawski seit einem Vierteljahrhundert ermittelt und dabei - wie die Bewohner ihrer kleinen privaten Welt - offensichtlich nicht gealtert ist (der anhängliche Mr. Contreras oder Doktor-Übermutter Lotti Herschel müssten inzwischen an die 100 Jahre zählen), ist sie geistig nie stehen geblieben. Das betrifft nicht nur ihr Handwerk - Vic arbeitet längst mit Handy und Notebook -, sondern auch ihre Einstellung. Nach wie vor ist sie sehr dünnhäutig, wenn sie in die eigentlich unnötig schattigen Zonen des Alltagslebens gerät.

In "Feuereifer" flackert ihr Zorn auf, weil die ihr anvertrauten Schülerinnen ihre Zukunft durch frühe Schwangerschaften, die Mitgliedschaft in einer Gang oder Schulflucht auch deshalb versauen, weil sie nicht gegen ihr Schicksal aufbegehren: Der Impuls, der die jungen Frauen der Warshawski-Generation zum Widerstand gegen verkrustete Normen trieb, ist im 21. Jahrhundert erloschen. Das erkennt sie, ohne deshalb in Erinnerungen an "ihre" Zeit zu schwelgen. Stattdessen überdenkt sie ihre Strategie, um trotzdem hilfreich zu sein. Auch sonst ist Warshawski kein verbitterter Blaustrumpf, sondern eine selbstbewusste Frau mit sehr alltäglichen beruflichen und privaten Problemen, die weit über das Suchen, Finden und Festhalten von Mr. Right hinausgreifen. Die Freunde des "Lady Thrillers" werden an V. I. Warshawski kaum Freude haben.

Triumph der Gierigen und Gleichgültigen?

Die Bysens sind natürlich mehr als eine schrecklich unnette Familie. Als Figuren mögen sie sarkastisch überzeichnet wirken. Die unschöne Alternative ist freilich, dass sie der Realität entsprechen: Eine Gruppe selbstgerechter, psychisch beschädigter Heuchler, die eine Gunst der Stunde nutzten, um sich Macht und Einfluss in einem Maß zu verschaffen, das sie überfordert. Die Bysens verkörpern, was Paretsky über die Wirtschaftsstruktur der Gegenwart denkt: Hinter modernen Konzernen stehen wie zu allen Zeiten Menschen konservativen Denkens, das sich allein um die Mehrung von Vermögen dreht, die als Zahl ausgedrückt nur mehr abstrakt wirken.

Eigentum verpflichtet, so spricht die Kirche, die alle Bysens so eifrig besuchen. Was unter Menschenhilfe fällt, bestimmen allein sie, denn sie zahlen schließlich dafür. Die Kirche hat damit offenbar keine Schwierigkeiten, und so fließen breite Ströme von Bysen-Geld in afrikanische Missionsprojekte, Anti-Abtreibungs-Gruppen und andere fromme Werke, während die Menschen, die für "By-Smart" arbeiten, skrupellos ausgebeutet und zudem als Schmarotzer diffamiert werden, weil sie dank der Hungerlöhne in einem Teufelskreis des Elends gefangen sind, der sie andererseits als hilflose Masse leicht lenkbar bleiben lässt; ein Gedanke, den jeder Bysen selbstverständlich weit von sich weisen würde. Sie müssen sich - auch das ist nicht nur US-amerikanische Tradition - die Finger nicht selbst schmutzig machen. Dafür bezahlen sie Lakaien, von denen sie nur hören wollen, dass ihr Wille geschehe. Das Wie interessiert sie nicht.

Was klingt wie ein Nachhall von Marx & Engels, ist nur zu real. Paretsky führt es uns am Beispiel des Bysen-Konzerns vor, der wie ein Krake sein Fangarme um die ganze Welt schlingt und sich seinen Weg mit dem Zauberwort "Globalisierung" bahnt: Mit der Drohung, die Produktion ins Ausland zu verlagern, werden inländische Arbeitskräfte zermürbt und zu Konzessionen gezwungen, die sie, die ohnehin keinen finanziellen Spielraum haben, noch tiefer in die Not stürzen. Die South Side von Warshawskis Heimatstadt verwandelt sich in eine trostlose soziale Wüste, deren Bewohner unter Aufgabe jeglicher Solidarität um ihr bisschen Leben kämpfen.

Wie Armut Menschen nicht nur zerstört, sondern in Bestien verwandelt, verdeutlicht Paretsky auf denkbar deprimierende Weise: Wie Sisyphus bemüht sich Warshawski zu helfen, doch denen sie den kleinen Finger reicht, greifen ihre ganze Hand; sie lassen nicht mehr los, ziehen Warshawski eher mit sich in den Abgrund: Endlich kümmert sich jemand um sie, und das muss brutal ausgenutzt werden, denn wer weiß, ob so etwas noch einmal geschieht. Dankbarkeit ist ein Luxus, den sich in der South Side niemand leisten kann. Wie ein Hamster im Rad rennt Warshawski von Notfall zu Notfall, geht finanziell und gesundheitlich zugrunde dabei und kann es doch niemandem recht machen. Die Verwandlung von Menschen in Bestien ist wohl das größte Verbrechen der Bysens dieser Welt. Es bleibt auch in diesem Krimi - sehr realistisch - unbestraft.

Feuereifer

Sara Paretsky, Goldmann

Feuereifer

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