Im Fadenkreuz der Angst

  • List
  • Erschienen: Januar 1994
  • 7
  • New York: Bantam, 1993, Titel: 'Point of impact', Seiten: 451, Originalsprache
  • München; Leipzig: List, 1994, Seiten: 463, Übersetzt: Bernhard Josef
  • München: Goldmann, 1996, Seiten: 509
  • Leipzig: Festa, 2014, Titel: 'Shooter', Seiten: 640, Übersetzt: Patrick Baumann
Im Fadenkreuz der Angst
Im Fadenkreuz der Angst
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Michael Drewniok
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2007

Kaltblütiges Morden auf große Distanz

Bob Lee Swagger war einer der blutjungen Amerikaner, die für die USA und scheinbar für eine gerechte Sache in den Vietnamkrieg gezogen sind. In Asien hat er dem Marinekorps alle Ehre gemacht, doch Anerkennung und Ehre durfte er dafür nicht erwarten: Swagger ist ein Scharfschütze. Als "Bob der Knipser" konnte er 87 bestätigte "Abschüsse" verzeichnen, bis die Kugel eines noch geschickteren Vietkong-Heckenschützen seiner Laufbahn ein Ende setzte.

Im Zivilleben stürzte Swagger tief und kehrte nie wirklich aus dem Krieg zurück. Töten will er zwar nicht mehr, aber Waffen sind noch immer sein Leben, und seine Treffsicherheit hat eher noch zugenommen. In Blue Eye im ländlichen West-Arkansas führt Swagger ein zurückgezogenes Leben und wird von den Bürgern in Ruhe gelassen.

Swagger ist der einsame amerikanische Waffennarr par excellence. Das macht ihn zum wertvollen Instrument für die düsteren Pläne des skrupellosen Colonel Raymond Shreck. Der hoch dekorierte, doch sang- und klanglos in den Ruhestand geschickte Soldat ist ein verbitterter aber erfolgreicher Mann mit einer eigenen Firma, die vorgeblich Sicherheitsdienste aller Art anbietet. "RamDyne Security" ist aber auch Shrecks Sammelbecken für eine handverlesene Schar rücksichtsloser, zu allem entschlossener Söldner - und Anlaufpunkt für jedes korrupte und machtgierige Regime dieser Welt, das sich seiner Gegner gewaltsam entledigen will. Zum Teil gedeckt von der CIA, hat RamDyne zuletzt in El Salvador eine Reihe übler Terroraktionen inszeniert, die exzessive Gräueltaten bewusst nicht ausschlossen.

Auch Swagger kann der Verlockung nicht widerstehen, als RamDynes "Berater" endlich wieder sein immenses Fachwissen unter Beweis zu stellen. Stattdessen muss Swagger mit zwei Kugeln im Leib und dem gesamten Polizei- und Geheimdienstapparat auf den Fersen erkennen, dass er der Sündenbock für ein internationales Komplott geworden ist. Aber auch Shreck muss sich sorgen, denn Swagger wird sich rächen. Allein gegen ein scheinbar übermächtiges Verfolgerheer zu stehen, ist nicht neu für ihn. Wenn Swagger ehrlich sein soll, fühlt er sich sogar wie neugeboren, als er beginnt, RamDyne aus dem Hinterhalt - wie in alten Zeiten - aufzurollen ...

Der Mann im Hinterhalt

Shooter ist ein bemerkenswerter Thriller. Kompromisslos ignoriert Autor Stephen Hunter beinahe jede Regel, die sein Werk für ein möglichst breites Massenpublikum tauglich machen könnte. Stattdessen setzt er auf ein Publikum, das die Moral der Spannung unterordnet oder - der Gedanke erschreckt - sich moralisch mit Bob Lee Swagger identifiziert.

Gewalttätig ist die Welt, in der sich James Hunters Protagonisten bewegen. Das gilt für die "Bösen" genauso wie für die "Guten". Bob Lee Swagger, der "Held", ist kein angenehmer Charakter. Hat der Wolf anfangs noch Kreide gefressen, kehrt er schon sehr bald zu dem zurück, was er am besten kann: Töten auf große Entfernung.

Die Existenz von Scharfschützen ist in allen Kriegen belegt, seit Waffen erfunden wurden, mit denen sich Projektile - Speer- und Pfeilspitzen, später Metallkugeln - über weite Strecken verschießen lassen. Sie sind nützlich aber nicht einmal bei jenen beliebt, die dem Militärischen gegenüber üblicherweise aufgeschlossen sind. Der Widerwille speist sich aus der Natur des "Snipers": Schalte so viele deiner Gegner aus, wie es dir möglich ist, ohne dich selbst dabei in Gefahr zu bringen, und richte dein Augenmerk dabei auf jene, die jenseits der eigenen Linien die Entscheidungen treffen. Es ist in der Tat schwierig, etwas Heldisches darin zu finden, ahnungslose Menschen aus dem Hinterhalt niederzuknallen.

Spannung aus amoralischem Treiben

Stephen Hunter wählt als zentrale Figur einen Mann, der genau dies getan hat. Er geht sogar noch weiter: Bob Lee Swagger haben seine Erlebnisse in Vietnam nur marginal geläutert. Tatsächlich ist er als Zivilist mehr denn je eine menschliche Zeitbombe, der in seiner Hütte, die einer vom Feind dauerbelagerten Festung gleicht, mehr Waffen und Munition lagert als eine mittelgroße Guerillatruppe.

Überhaupt: Waffen! Shooter besitzt eine Ereignisebene, die man als Hymne auf die Kunst verstehen kann, mit Faust- und Langfeuerwaffen Unglaubliches anzustellen. Das muss auf den europäischen Leser wesentlich provokanter wirken als auf das amerikanische Publikum, das ja in seiner Mehrheit das Recht des Bürgers auf seinen eigenen Schießprügel (oder deren zwei oder drei) gegen alle Widerstände weiterdenkender Zeitgenossen erbittert verteidigt. Hunter schwelgt in technischen Daten, Fachtermini und betont sachlich gehaltenen Darstellungen dessen, was Bob Lee Swagger mit einer Waffe in der Hand zu leisten vermag: das Gewehr als Stradivari des Scharfschützen.

Hoch anzurechnen ist Hunter der Verzicht auf scheinheilige Rechtfertigungsversuche. Um seinen Kritikern vorab den Wind aus den Segeln zu nehmen, hätte er in jedem zweiten Satz einfügen müssen, wie schrecklich es doch ist, wenn Kugeln fliegen, und dass er nur deshalb so präzise und ausführlich darüber berichte, um Anklage gegen die daraus resultierende Gewalt zu führen. Aber "Shooter" ist (abgesehen von der unglaublich rasanten und hochspannenden Handlung) auch deshalb als Thriller so überragend, weil Hunter auf jegliche Anbiederung oder moralisierende Bücklinge verzichtet: In diesem Buch spielen neben den Figuren Waffen eine entscheidende Rolle; es ist daher erforderlich, mit besonderer Aufmerksamkeit zu verfolgen, wie sich dies auf den Gang der Geschehnisse auswirkt - und Punkt.

Die Schlüsse aus dem, was Hunter dem Leser präsentiert, muss dieser selbst ziehen. Der Autor ist zu klug, sein Publikum mit vorgestanzten Friede = Freude = Eierkuchen-Klischees einzulullen. Wer die Waffe zieht, kann durch die Waffe umkommen: Wieviel Wahrheit in diesem Kalenderspruch liegt, setzt Hunter wirksam in explosive Bilder um. Für diese Liebe zur Waffe, die er auch öffentlich verteidigt, hat Hunter viel Kritik eingesteckt. Zum Recht des (US-) Bürgers auf Selbstverteidigung steht er weiterhin. Dass ´Notwehr'-Schüsse ständig unschuldige Pechvögel treffen, ist nach Hunter menschliches Versagen und ein Preis, den man für das System zahlen muss.

Das Wesen des Hinterwäldlers

Über den Tanz um den Fetisch Waffe vernachlässigt Hunter keineswegs das Innenleben seiner Protagonisten. Shooter ist ein Thriller ist, der primär der Unterhaltung dient; hier die formale Brillanz und inhaltliche Tiefe eines E. L. Doctorow oder Norman Mailer zu verlangen - an dieser Stelle eher willkürlich als Beispiele gewählt, weil beide sich nicht zu ´schade' waren, außer hehrer Kunst auch kluge Thriller zu schreiben -, zeugt von arger Ignoranz. Im Rahmen seines Talents und der gewählten Form hat Hunter auch in diesem Punkt nichtsdestotrotz vorzügliche Arbeit geleistet.

Nach mehr als 600 Seiten liebt man Bob Lee Swagger genauso wenig wie zu Anfang, aber man versteht ihn immerhin besser, ohne dass Hunter die "Rambo"-Klischees vom armen, an Leib und Seele verwundeten, für seinen aufopfernden Dienst schnöde vom eigenen Land verratenen Vietnam-Veteranen allzu aufdringlich bedient. Gut gezeichnet sind auch die übrigen Figuren, Polizisten, Geheimdienstleute und Shrecks Meuchelmörder eingeschlossen. Selbst primitive Schlagetots wie Jack Payne, Shrecks roboterhafte rechte Hand, bekommen ein Profil.

So unerfreulich dies den Gandhis dieser Welt in den Ohren klingen mag: Es gibt Menschen, die mit der Gewalt und von der Gewalt leben und sich eines gesunden Nachtschlafes und eines erfüllten Daseins erfreuen. Das ist nicht erfreulich aber Realität. Man erfährt in den Nachrichten darüber und hat sich gefälligst damit auseinanderzusetzen. Stephen Hunter spielt virtuos mit der unterbewussten Angst, die den "normalen" Zeitgenossen ob dieser Tatsache bewegt.

Des Jägers Wiederkehr

Stephen Hunter wartet hierzulande noch auf ein geneigtes Publikum. Nur zwei seiner vielen Romane wurden 1996 bzw. 1997 veröffentlicht. Nicht einmal die durchaus erfolgreiche Verfilmung des ersten Bob-Lee-Swagger-Romans, den Antoine Fuqua 2007 als Shooter mit Mark Wahlberg in der Titelrolle inszenierte, führte zu einer Neuauflage oder gar Fortsetzung der Serie.

Zu allem Überfluss war die Erstausgabe von Shooter - erschienen als Im Fadenkreuz der Angst - wie das spätere Taschenbuchausgabe gekürzt; offenbar fand der Verlag Hunters quasi literarischen Abschüsse für ein deutsches Publikum zu drastisch. Erst zwei Jahrzehnte später erschien Shooter neu übersetzt und ungekürzt, dazu schön gestaltet und sauber gebunden. Bleibt zu hoffen, dass es nicht bei diesem ersten Band bleibt.

Im Fadenkreuz der Angst

Stephen Hunter, List

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