Gottes vergessene Stadt
- Ullstein
- Erschienen: Januar 1990
- 2
- New York: Mysterious Press, 1989, Titel: 'The fourth Durango', Seiten: 312, Originalsprache
- Frankfurt am Main, Berlin: Ullstein, 1990, Titel: 'Gottes vergessene Stadt', Seiten: 306, Übersetzt: Bernd Holzrichter
- Berlin: Alexander Verlag, 2006, Titel: 'Gottes vergessene Stadt', Seiten: 350, Übersetzt: Bernd Holzrichter
- Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein, 1992, Seiten: 306, Übersetzt: Bernd Holzrichter
Von Spazierstöcken und Ölmillionen
Eine Geschichte, erzählt mit einer ungeheueren Lässigkeit und versehen mit einem staubtrockenen Humor: Gottes vergessene Stadt ist ein heimliches Meisterwerk, geschrieben von einem ganz Großen seiner Zunft. Ross Thomas hat mit diesem, seinem vorletzten Roman, sein exzellentes Können unterstrichen, mit dem er sich unter den Krimiautoren seiner Zeit und auch heute höchsten Respekt verdient hat. Herrlich beschriebene Protagonisten und eine absurde, jedoch zugleich nicht gänzlich unglaubwürdige Geschichte machen Gottes vergessene Stadt zu einem wahren Hochgenuss.
Jack Adair war Oberster Richter in einem Bundesstaat der USA. Verwickelt in einen Betrugsskandal, wurde er schließlich zu einer Haft von 15 Monaten verurteilt. Er übersteht diese Haft nur, weil er sich den Schutz des Knacki-Bosses erkauft hat. Am Tage seiner Entlassung jedoch erfährt er, dass unter den Gefangenen ein Gerücht von einer hohen Prämie auf seinen Kopf kursiert und dass sein "Schutzengel" unmittelbar vor seiner Freisetzung ermordet wurde. Jack wird von seinem Schwiegersohn Kelly Vines abgeholt und ins nicht allzu weit entfernte Durango gefahren. Eine Kalifornische Küstenstadt, die das beste Klima, aber auch den hässlichsten Strand von ganz Nordamerika hat. Eine sterbende Stadt, in der nicht mal mehr 10.000 Einwohner leben und dessen Bürgermeisterin sowie der Polizeipräsident zur allgemeinen Aufbesserung der öffentlichen Finanzlage schon mal Flüchtigen Unterschlupf gegen Bezahlung gewähren.
Der Hinterhalt
Adair jedoch ahnt, dass das Abtauchen nicht reichen wird. Er wird verfolgt und seine Widersacher sind ihm dicht auf den Fersen. Er will ihnen eine Falle stellen, um sich ein für alle mal wieder sicher in seiner Haut fühlen zu dürfen. Bürgermeisterin und Polizeipräsident sollen das Gerücht streuen, für eine Million Dollar den Aufenthaltsort von Jack Adair zu verraten. Doch kaum sind die beiden in Durango angekommen, beginnt eine Mordserie. Es kommt letztlich darauf an, dass Adair und Vines rechtzeitig erkennen, wer ihnen da nach dem Leben trachtet.
Auf beinahe jeder Seite des Romans lässt der Autor erkennen, mit welcher Liebe und Hingabe er hier seinen Figuren, seiner Geschichte Leben eingehaucht hat. Das geht von dem antiken Spazierstock, in dessen Hals ein Versteck für ein Reagenzglas voller bestem Bourbon eingebaut ist, über die Geschichten, die Vines und Adair im Zusammenhang mit einem großen Betrugsfall in der Ölindustrie erlebt haben (u.a. der Selbstmord von Adairs Sohn, der der Mexikanischen Polizei einige Rätsel aufzugeben scheint: "... und dann steckte er sich die Pistole in den Mund und drückte zwei mal ab. Ein ganz klarer Selbstmord.") bis hin zu den Beschreibungen der Stadt Durango und ihren verschrobenen Einwohnern. Hier steht das einzige "Holiday Inn" westlich von Beirut, das rote Zahlen schreibt. Muss noch mehr dazu gesagt werden?
Die pure Erzähllust
Bei all den genialen Ideen, die Ross Thomas in diesen Roman einbaute, hat er auch nicht vergessen, einen kritischen Blick auf politische und gesellschaftliche Themen zu werfen. So stellt er ganz unverblümt klar, wie schädlich die Verknüpfung von richterlichen Ämtern und politischen Wahlen für die Rechtsprechung und Demokratie in einem Bundesstaat ist. Ebenso prangert er die Geschäftemacherei von privaten Sanatorien und die unzureichende Versorgung in staatlichen Einrichtungen des Gesundheitswesens an. Und er zeigt mit einer gehörigen Portion von Galgenhumor den Teufelskreis der Finanzierung der öffentlichen Hand auf, wenn durch sinkende Einwohnerzahlen und damit verbundene, geringere Steuereinnahmen die wesentlichen Einrichtungen des gesellschaftlichen Lebens in einer Stadt nicht mehr unterhalten werden können.
Sie glauben, das alles braucht mindestens 700 Seiten, um es in einem Roman verarbeiten zu können? Großer Irrtum. Das alles, eine stimmige Story und ein ungemein hohes Unterhaltungsniveau vereint der Roman "Gottes vergessene Stadt" auf gerade mal 350 Seiten. Und diese haben es wirklich in sich. Die Freude des Erzählers überträgt sich filterlos auf seine Leser. Mein nächster Urlaub kann nur nach Durango führen. Dort wird die zehnminütige Stadtrundfahrt für mich auf dem Pflichtprogramm stehen. Und dann treffe ich entweder im Holiday Inn oder in der Blue Eagle Bar die skurrilen Typen und halte Ausschau nach einem Mann mit Spazierstock mit abschraubbaren Griff. "Gottes vergessene Stadt" macht Lust auf mehr. Wer in Amerika ein wirklich großer Autor genannt werden will, muss sich an Ross Thomas messen lassen.
Ross Thomas, Ullstein
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