Chicago 1933

  • Bastei Lübbe
  • Erschienen: Januar 1985
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  • New York: St. Martin, 1983, Titel: 'True Detective', Originalsprache
  • Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 1985, Seiten: 361, Übersetzt: Jürgen Langowski
Chicago 1933
Chicago 1933
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Michael Drewniok
100°1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2007

Ein integrer Detektiv als Spielball von Politik und Verbrechen Kriminelle Vergangenheit ohne Glorienschein

Anfang der 1930er Jahre hat die Großstadt Chicago einen weithin üblen Ruf, der nur zu begründet ist, da die Behörden mindestens so kriminell sind wie das organisierte Verbrechen. Zwar sitzt Al Capone seit einiger Zeit hinter Gittern, doch er zieht von dort weiterhin an den Fäden. Sein Imperium verwaltet Frank Nitti, der dafür sorgt, dass der Dollar weiterhin rollt.

Nun hat ausgerechnet Bürgermeister Anton Cermak, der korrupteste Beamte der Stadt, dem Verbrechen den Kampf angesagt. Chicago wird Stätte der Weltausstellung von 1933. Den zahlreichen Besuchern aus aller Welt soll eine "saubere" Stadt präsentiert werden. Cermak geht auf für ihn typische Weise vor: Er stellt einen Killertrupp aus ihm hörigen Polizisten zusammen und lässt sie die lästigen Gangster einfach umbringen.

Zuerst erwischt es Nitti. Doch unter den Beamten, die ihm eine Todesfalle stellen, befindet sich der ahnungslose Nate Heller, ein Mann, der sich nicht kaufen ließ. Er soll als Sündenbock dienen, falls etwas schief geht - und genau das geschieht: Obwohl von drei Kugeln getroffen, überlebt Nitti das Attentat.

Der angewiderte Heller schmeißt seinen Job hin und eröffnet eine Privatdetektei. Die Vergangenheit kann er aber nicht abschütteln. Cermak persönlich bedrängt ihn darüber zu schweigen, was er gesehen hat. Immerhin hegt Nitti keinen Groll gegen Heller. Er gedenkt den Kampf gegen Cermaks Chicago aufzunehmen und den Bürgermeister auszuschalten. Das kommt im Gefängnis Capone zu Ohren, der diesen Plan für Wahnsinn hält und um sein Reich bangt. Der listige Schurke heuert Heller an: Der Detektiv soll Cermak beschatten und vor dem Killer schützen, den Nitti auf ihn angesetzt hat. Nur Heller kennt dessen Gesicht, denn er ist ihm vor Jahren schon einmal begegnet. Doch Cermak reist nach Florida, um sich dort mit US-Präsident Roosevelt zu treffen. Die Stadt wimmelt vor Presse und neugierigen Bürgern. In dieser Menge kann sich ein Attentäter gut verbergen, und so kommt es zur Katastrophe, die für Heller zum Auftakt eines ganz persönlichen, tragisch endenden Rachefeldzugs wird ...

Der historische Kriminalroman (oder besser: Historienkrimi, da er die Vergangenheit in der Rückschau nur als Kulisse benutzt; im Angelsächsischen gibt es den wunderbar treffenden Ausdruck "period piece") erfreut sich im 21. Jahrhundert weiterhin großer Beliebtheit. Dass dies so ist, verdankt dieses Subgenre zu einem nicht geringen Teil Max Allan Collins, der sich Mitte der 1970er Jahre daran machte, es auf ein Niveau zu heben, das weit über das Spiel mit der Geschichte hinausging, wie es bisher üblich war. Collins' Figuren definieren sich nicht über drollige Hüte oder exzessives Zigarettenrauchen - sie stehen mit beiden Beinen fest in ihrer Zeit, deren aus heutiger Sicht exotische Gegenwart sie als völlig normal empfinden.

Collins gelingt in "Chicago 1933" das Kunststück, seinen Lesern genau diesen Eindruck zu vermitteln. Er hat sich intensiv in die Historie der Stadt eingearbeitet - in einem Nachwort zählt er nur einen Teil der Werke auf, die er zu diesem Zweck studierte - und kennt sich aus. Sein Wissen drängt er uns jedoch nie auf; er lässt es unaufdringlich einfließen und schafft dadurch die einmalige Atmosphäre, die diesen Roman zu einem Pageturner werden lässt. "Chicago 1933" wirkt absolut authentisch, zumal Collins sich einen Plot ausgedacht hat, der sich so nur in dieser Vergangenheit abgespielt haben könnte.

Der Aufwand hat sich gelohnt. Collins' Chicago der 1930er Jahre ist kein Abklatsch der alten "Untouchables"-Serie, in der die Szene von ratternden Tommy-Guns, übertrieben elegant gekleideten Mobstern und blutigen Bandenkriegen bestimmt wurde. Das organisierte Verbrechen scheute zu allen Zeiten allzu großes Aufsehen. Die Kriminalität fand auf dieser Ebene hinter den Kulissen statt. Einmalig ist Collins' Geschick in der Darstellung einer komplexen Schattenwelt, in der Polizei, Justiz und Verwaltung einer Millionenstadt ebenso kriminell sind wie die Gangster, die sie nur angeblich jagen, während sie tatsächlich Hand in Hand mit ihnen arbeiten. Scheinheiligkeit und erkauftes Schweigen bestimmt den Alltag in Chicago, der deshalb nicht weniger brutal ist als es die Presse gern dramatisiert.

Chicago als Symbol für eine ungerechte Welt

Chicago ist eine Stadt der Widersprüche, die durch die Weltwirtschaftskrise noch betont werden. Riesige Slumsiedlungen entstehen, bevölkert von den Armen und Arbeitslosen, die den reichen Visionären an der Spitze der Gesellschaftspyramide geradezu verhasst sind, weil sie noch stärker als die Gangster das behauptete Bild einer modernen Metropole trüben. Man verdrängt sie, statt sich ihrer anzunehmen. Stattdessen tritt man die Flucht nach vorn an und lässt in Chicago eine Weltausstellung stattfinden. Während die Lehrer seit Monaten nur noch mit Wechseln "entlohnt", werden viele Dollarmillionen in die gigantische Kulisse einer "sauberen" Stadt der Zukunft gepumpt, die nach wenigen Monaten wieder abgerissen wird. Diese Weltausstellung steht für Collins als Symbol für einen Ort und eine Epoche, in der die Welt aus den Fugen geraten ist.

Schon in diesem ersten Teil der Nate-Heller-Serie fungiert der Detektiv nicht nur als Kriminalist, sondern auch als fiktiver Chronist, den der Verfasser an Brennpunkte der realen Geschichte schickt. Es hat wohl nie einen Insider wie Heller gegeben, der "zufällig" stets dort auftauchte, wo der Krieg zwischen Anton Cermak und Frank Nitti in seine nächste Runde ging. Collins erfindet ihn, was sein Recht als Schriftsteller ist, so wie er auch das (zum Zeitpunkt der Niederschrift von "Chicago 1933") nie wirklich aufgeklärte Rätsel um Cermaks Tod "löst". Es spricht für ihn und sein Quellenstudium, dass seine Version überaus plausibel wirkt.

In diesem Hexenkessel wirkt ein Privatdetektiv - der klassische "Schnüffler" - sogar im Jahre 1933 reichlich anachronistisch. Nate Heller ist trotz seiner persönlichen Integrität (s. u.) kein Mann mit einer Mission. Er will als Ermittler arbeiten und damit sein Geld verdienen. Nur dem Willen des Verfassers "verdankt" er es, dass er dabei ständig auf dünnes Eis gerät. So steht denn Heller, der Detektiv, nie im Mittelpunkt des Geschehens, sondern Heller, der Spielball und Zeuge von Ereignissen, die er in der Regel nicht bestimmen kann.

Mit den Wölfen heulen, ohne ihnen zu dienen

Wie beschreibt man einen integren Mann, ohne ihn als langweiligen Gutmenschen dastehen zu lassen? Der Schurke wirkt in der Regel interessanter als der Held. In "Chicago 1933" treten viele Schurken auf, und es sind wahrlich einprägsame Gestalten! Dennoch kann sich Nate Heller als Hauptperson behaupten. Autor Collins investiert viel Arbeit in sie und kreiert in den ersten Kapiteln eine Heller-Biografie, die bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Wir erfahren, woher dieser Nate Heller stammt und wie er zu dem wurde, was er ist: ein Mann, der von unten kommt und nach oben will, ohne dabei kriminell zu werden.

Diese Vorarbeit zahlt sich aus. Nate Heller ist keine Figur mehr, sondern ist Mensch geworden - ein Mensch, den wir sympathisch finden, obwohl oder weil er weder naiv noch ohne Fehler ist. Heller ist in Chicago aufgewachsen, einer Stadt, die ihm nie etwas geschenkt hat. Die allgegenwärtige Korruption ist für ihn eine traurige Selbstverständlichkeit. Er will nicht mit ihr leben, aber er kann es, ohne sich allzu sehr zu verbiegen. Das ist ein ständiger Tanz auf dem Drahtseil, bei dem er immer wieder ins Straucheln gerät, denn Heller verschlägt es wie schon gesagt stets dorthin, wo es gefährlich ist. Spätestens seit dem Vorfall, den ihn zur Kündigung veranlasste, ist er als "true detective" ein Mann zwischen den Welten: Er muss sich Cermak und seine Schergen vom Leib halten und pflegt Umgang mit Frank Nitti und Al Capone, ohne sich in deren Organisation einzureihen. Darüber hinaus ist sein bester Freund ausgerechnet Elliot Ness, jener "Unbestechliche", der Capone aus dem Verkehr zog.

Heller muss diplomatisch sein, darf niemanden ernsthaft verärgern, sich aber gleichzeitig nicht vereinnahmen lassen. Gleichzeitig versucht er sich auf dem Höhepunkt der schlimmsten Wirtschaftskrise aller Zeiten eine neue Existenz aufzubauen. Heller ist ein politisch gebildeter Mann, der genau erkennt, dass diese Krise primär die Unschuldigen und Hilflosen trifft, während jene, die sie verantwortet haben, unbeschadet daraus hervorgingen, weil ihnen das Gesetz, das sie eigentlich treffen müsste, praktisch gehört. Dieses Wissen verbittert Heller und gibt ihm die Kraft seinen eigenen Weg zu gehen.

"Chicago 1933" als Definition des Historienkrimis

Der Historienkrimi ist berühmt für sein "name-dropping". Auch Nate Heller kreuzt den Weg vieler realer Personen der Zeitgeschichte. Collins integriert diese Begegnungen nahtlos in die Handlung. Wenn Heller Al Capone, Frank Nitti, Anton Cermak, Franklin D. Roosevelt, den Schauspieler George Raft, den Boxer Barney Ross, den Journalisten Walter Winchell, den Sportreporter (und späteren US-Präsidenten) Ronald Reagan und andere Prominente trifft, wirkt das nie forciert und wird nie übertrieben. Sie gliedern sich in das Gesamtensemble ein, das neben ihnen problemlos bestehen kann. Wer sich sämtliche Pluspunkte noch einmal vor Augen führt, wird sofort verstehen, wieso die "Private Eyes Writers of America" diesen Roman 1984 mit dem "Shamus Award" auszeichneten. "Chicago 1933" ist ein wunderbares Buch, und die Traurigkeit darüber es ausgelesen zu haben, wird glücklicherweise ersetzt durch die Vorfreude auf weitere fabelhafte Nate-Heller-Romane.

Chicago 1933

Max Allan Collins, Bastei Lübbe

Chicago 1933

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