Myrtille am Strand
- Shayol
- Erschienen: Januar 2006
- 1
- Paris: Pocket, 2003, Titel: 'Myrtille à la plage', Seiten: 248, Originalsprache
- Berlin: Shayol, 2006, Seiten: 194, Übersetzt: Richard Betzenbichler
Ein Tag am Meer
Ein französischer Autor gibt sein Debüt auf dem deutschen Buchmarkt. Olivier Mau dürfte hierzulande ein komplett unbeschriebenes Blatt sein. "Myrtille am Strand" ist Auftakt einer Trilogie, die Mau im Jahre 2003 verfasst hat und die in der noch jungen "Funny Crimes"-Reihe des Berliner Shayol-Verlages in deutscher Übersetzung erschienen ist. Nach "Aberysthwyth mon amour" von Malcolm Pryce und dem wunderbaren Wilder Winter von Joe R. Lansdale ist "Myrtille am Strand" erst der dritte Titel in dieser Reihe.
Ein Blick in den Einband lässt den Nichts ahnenden Leser zusammen zucken: Da ist ein junger Mann mit zerzausten Haaren abgebildet, der einen spitzen Schrei in die Kamera blinzelt. Ein Opfer des Wahnsinns? Die darunter stehende Biografie verrät mehr über den Autor: ganz offenbar haben wir es mit einem Nonkonformisten zu tun, der sich standhaft weigert, erwachsen zu werden. Aber das ist ja auch egal, solange er hier seine Mama zitieren kann, die ihm versichert, er sei der Beste. Der nächste Blick fällt auf seine Bibliografie und schon lauert die nächste Überraschung: Innerhalb von nur 10 Jahren hat es der Franzose auf eine zwei Seiten lange Liste von Romanen, Kurzgeschichten und Jugendbüchern gebracht. In Sachen Schreibtempo kann es Mau wohl mit einem Konsalik aufnehmen, aber gilt auch für ihn, dass sich Masse und Klasse gegenseitig ausschließen.
Leichen Pflastern ihren Weg
Myrtille ist Halbchinesin und Polizistin in Paris. Ihr frisch verstorbener Vater war ein erfolgreicher Schriftsteller und lebte mit seiner Tochter und zwei Enkeln in einer Villa am Cap, einem stinkreichen Vorort von Toulon. Myrtille kann ihre Schwester und die beiden Gören nicht ausstehen. Auch zu ihrem Erzeuger hatte sie 20 Jahre lang keinen Kontakt mehr. Nur um ihn auf seinem letzten Weg zu begleiten und anschließend der Testamentverlesung beim Notar beizuwohnen, hat sie sich auf den Weg nach Südfrankreich begeben. Doch kaum ist sie angekommen, wird sie am Flughafen Zeugin eines brutalen Überfalls auf die Boten eines Sicherheitsdienstes.
Nach einer Vernehmung durch Commandant Rembrandt, der sie fortan durch den gesamten Roman wie ein Berserker verfolgen soll, fährt sie zunächst zum väterlichen Anwesen, wo sie von ihrer Halbschwester aufs herzlichste angegiftet wird. Aber Myrtille ist kaum Ruhe gegönnt: Der Sarg soll unter die Erde gebracht werden, dann ist der Termin beim Notar und nach nur ein paar Stunden Ruhe steht ein großes Fest auf einem alten Schloss am Cap an. Doch das Testament birgt für die ungehaltene Pariser Polizistin eine große Überraschung: Sie ist von ihrem Vater als Haupterbin eingesetzt worden. Und der Werttransport, der am frühen Morgen am Flughafen überfallen wurde, war durch einen engen Freund auf Geheiß ihres Vaters veranlasst worden. Rembrandt verdächtigt Myrtille, aber auch noch eine Reihe anderer Gestalten am Cap, darunter ein verruchter tschetschenischer Waffenhändler, Strippenzieher in einer Reihe von gnadenlos brutalen Verbrechen zu sein.
Freude am blutigen Massaker
Man braucht schon eine ganz eigene Art von Humor, um über den Stoff, den Mau seinen Lesern hier vorsetzt, wirklich lachen zu können. Das düsterster schwarzer Humor und da darf man nicht die Leichen und Foltereien zählen, die da auf den rund 190 Seiten von Kugeln durchsiebt werden oder auf andere grausame Arten ihr letztes Lüftlein aushauchen. Tiefgang braucht man bei einer solchen Story natürlich nicht zu erwarten. Dafür ist auch gar kein Platz, wenn jeder auftretende Charakter ein düsteres Geheimnis hat und kaum einer davon den Tag überleben darf. Der morbide Wahn ist dabei streckenweise mit dem Autor durchgegangen und es treten ein paar Charaktere zu viel auf, die das Ende des Romans nicht erleben sollen.
Mit Romanen wie diesem hat die "Funny Crimes"-Reihe das Potenzial, schon bald Kultstatus zu erhalten. Myrtille am Strand" will sich in kein Muster pressen lassen, ist ungewöhnlich und - einen entsprechenden Sinn für Humor vorausgesetzt - auch unterhaltsam. Ein anderer Roman, bei dem binnen 24 Stunden so viele Charaktere sterben müssen, wird jedenfalls lange zu suchen sein.
Olivier Mau, Shayol
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