Bones, die Knochenjägerin. Tief begraben
- Blanvalet
- Erschienen: Januar 2007
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- New York: Simon & Schuster, 2006, Titel: 'Bones: Buried Deep', Originalsprache
- München: Blanvalet, 2007, Seiten: 223, Übersetzt: Patricia Woitynek
Die Schöne, der Schnüffler und der Knochenkünstler
In diesen heißen Herbsttagen hält sich Special Agent Seeley Booth vom FBI in Chicago auf, wo er hofft, endlich den Fall Gianelli zum Abschluss zu bringen. Vater Raymond und Sohn Vincent üben seit vielen Jahren ihr mafiöses Terrorregime aus, ohne dass sie jemals zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Nun hat sie ausgerechnet Stewart Musetti, ihr Auftragskiller, verraten und sich den Behörden gestellt. Booth und seine Kollegen haben sich allerdings zu früh gefreut: Aus seinem angeblich geheimen Versteck verschwindet Musetti mitsamt den vier FBI-Männern, die ihn beschützen sollten, spurlos. Die Gianellis werden wohl wieder einmal triumphieren, was Booth schier in den Wahnsinn treibt.
Nun wird ihm der Fall auch noch entzogen, denn ein Unbekannter legte ein "Geschenk" ausgerechnet vor dem FBI-Büro in Chicago ab: ein Skelett, dessen Knochen sorgfältig mit Draht fixiert wurden. Sind dies die Überreste des Überläufers Musetti? Booth will sicher gehen und fordert Dr. Temperance Brennan an. Die berühmte Anthropologin arbeitet für das Jeffersonian Museum in Washington, D. C., und hat dem FBI und Booth schon mehrfach hilfreich zur Seite gestanden.
Auch dieses Mal kann sie helfen, obwohl ihre Untersuchung für Schrecken und Missmut sorgt: Das Skelett setzt sich aus den Knochen von mindestens vier Menschen zusammen, die in einem Zeitraum von vier Jahrzehnten starben! Der potenzielle Mörder schickt einen Brief, in dem er sich seiner Taten brüstet und das FBI auffordert ihn zu fangen. Er erhöht den Einsatz, indem er wenig später einen weiteren Skelett-"Bausatz" auslegt.
Dank eines aufmerksamen Polizeibeamten kann ein Serienmörder gefasst werden, unter dessen Haus sich viele Leichen finden. So gilt dieser Fall als abgeschlossen, doch dann taucht ein drittes Skelett auf. Nichts ist wirklich geklärt, es gibt immer noch mehrere offene Fälle, von denen einer bis in die Ära des legendären Chicagoer Gangsterbosses Al Capone zurückreicht ...
Leichen kehren gern ins Tageslicht zurück
Die TV-Serie "Bones" gehört zu jenen heute sehr beliebten Pathologenkrimis, die ihr Stück vom "CSI"-Kuchen zu ergattern suchen, indem sie die Schraube in Sachen Mord & Totschlag noch einige Umdrehen anziehen. Nie sind es einfach "nur" Leichen, die der Forensikerin Temperance Brennan auf den Untersuchungstisch gelegt werden. Stets ist etwas seltsam oder bizarr, sehr gern präsentieren sich die Überreste optisch spektakulär, d. h. sind scheußlich anzusehen.
An das aus dem Fernsehen bekannte Schema hält sich Autor Collins, der abermals einen seiner überdurchschnittlichen "Romane zur Serie" vorlegt (statt eigenständige Werke zu verfassen, die seine Klasse eindrucksvoll unterstreichen). Wie es seine Art ist, kupfert er nicht die Vorlagen ab, sondern erweitert das vor allem in der Figurenzeichnung etwas stereotype Bild (s. u.) durch eigene Ergänzungen, die auch der Story sehr gut stehen.
Schon der Prolog stimmt auf eine mysteriöse Geschichte ein. Er führt zurück in die Jahre des II. Weltkriegs, die Chicago weiterhin als "Revier" des organisierten Verbrechens zeigen, das einst Al Capone in die Stadt gebracht hatte. Collins profitiert hier von seinen Recherchen zu einer eigenen Serie historischer Krimis um den Privatdetektiv Nate Heller, die sicherlich zum Besten gehören, was das Genre zu bieten hat.
Der Forderung nach möglichst kniffligen Mordfällen leistet der Autor Folge, indem er einen Serienmörder ins Spiel bringt, der Skelettpuzzles fabriziert. Damit sind ideale Voraussetzungen für den Auftritt von "Bones" Brennan gegeben, die zwar ständig darüber schimpft, dass man sie von dringlichen Eigenforschungen abhält, um sogleich mit Feuereifer an den Ermittlungen teilzunehmen.
Die Plots der TV-Serie zeichnen sich nicht durch besonderen Realismus aus, was der Unterhaltsamkeit wenig Abbruch tut. Collins bleibt auch hier in der Spur, ist jedoch Profi genug, die Gesetze der kriminalistischen Logik zu wahren. Das Ergebnis ist ein Roman, der als Krimi wesentlich überzeugender wirkt als die meisten Fernseh-Episoden. Dabei setzt uns Collins ziemlich starken Tobak vor, der die Grenze zum reinen Horror mehr als einmal schrammt. Vor allem die finale Abrechnung mit dem Mörder lässt an Schauerlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Brennan und Bones - eine Figur mit zwei Autoren
Max Allan Collins präsentiert mit "seiner" Temperance Brennan eine Figur, die nicht seinem Hirn entsprungen ist. Das ist für ihn, der schon mehrere TV-Serien für Romane adaptiert hat, nicht neu, doch dieses Mal klinkt er sich in eine Reihe ein, die bereits in Buchform Bestseller-Geschichte geschrieben hat. Temperance Brennan ist eine Schöpfung der Schriftstellerin Kathy Reichs und als solche seit 1997 auf den Buchmärkten der westlichen Welt omnipräsent. Während Collins seine "Bones"-Romane zur Fernsehserie schreibt, verfasst Reichs selbst weitere Brennan-Abenteuer.
Das ermöglicht den Vergleich zwischen beiden Versionen und ist spannend, da sowohl Reichs als auch Collins zu den Großen des Genres Kriminalroman gehören. Allerdings stellt sich rasch heraus, dass die Gegenüberstellung schwierig wird. Die Temperance Brennan der Reichs-Romane ist mit der "Bones" aus dem Fernsehen nicht wirklich identisch. Literatur und Film/Fernsehen sind unterschiedliche Medien mit eigenen Regeln. "Bones" ist daher eine deutlich simplifizierte Brennan-Version. Auch sie wird von diversen Selbstzweifeln und Problemen geplagt, doch diese bleiben der spannenden Handlung, die möglichst viele Zuschauer bannen soll, eindeutig untergeordnet.
Die Nachahmung übertrifft das Original
An dieses Konzept hält sich Collins, und zumindest Ihr Rezensent hält das für eine gute Entscheidung, denn Kathy Reichs ist nicht die psychologisch begabte Verfasserin, für die sie sich hält. Sie stürzt "ihre" Brennan in Irrungen & Wirrungen, die in dieser Intensität einfach langweilen, weil sie nie das Niveau einer Seifenoper übersteigen. Collins hält sich an das zuschauerkompatible Modell der "Bones"-Brennan und gibt ihm nur dort Tiefe, wo es die Handlung fördert.
Allerdings zwingt ihn das Korsett der Vorlage an anderer Stelle zu Kompromissen. Eine Grundkonstante der "Bones"-Serie ist die Konzentration auf das Paar Booth und Brennan. Ihr Verhältnis lässt sich mit dem alten Sprichwort "Was sich liebt, das neckt sich" erschöpfend beschreiben. Tatsächlich werden in "Bones" entsprechende Pseudo-Gags und dramatische Verwicklungen (vor allem im Vergleich mit den "CSI"-Serien) ebenso zahlreich wie plump eingesetzt, dass daraus einerseits Lächerlichkeit und andererseits Verdruss entsteht. Collins arbeitet die Wesenszüge der beiden Hauptpersonen wesentlich behutsamer heraus und kann auf diese Weise einigen Schaden ausbügeln, den diese in ihren Fernseh-Inkarnationen nahmen.
Die Nachahmung übertrifft sogar die Interpretation des Originals
In einem Punkt konnte sich Collings den Fallstricken der Vorlage entziehen: "Tief begraben" spielt in Chicago und damit weit entfernt von Brennans Forschungszentrale in Washington. Nur am Rande tauchen deshalb die nervenden weil klischeehaft überzeichneten Sidekicks der Serie - die kupplerische Gesichtsrekonstrukteurin Angela Montenegro, der verschwörungssüchtige Jack Hodgins, der Genietrottel Zack Addy und der pompöse Museumsleiter Goodman - auf. Dem Roman kommt das auf jeden Fall zugute. "Tief begraben" setzt als Thriller zwar trotzdem keine Maßstäbe. Dennoch ist dieses Buch nicht nur für den "Bones"-Fan, sondern auch für den "normalen" Krimifreund gut lesbar, weil spannend, planvoll konstruiert und mit routinierter Meisterschaft geschrieben.
Max Allan Collins, Blanvalet
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