Wolfsnacht
- Goldmann
- Erschienen: Januar 2006
- 7
- Oslo: Aschehoug, 2005, Titel: 'Ulvenatten', Originalsprache
- München: Goldmann, 2006, Seiten: 512, Übersetzt: Günther Frauenlob, Maike Dörries
Mit die beste Spannungsliteratur seit Monaten
Kristin Bye ist Starmoderatorin der Talkshow "ABC Debatt" beim norwegischen Sender ABC. An diesem Abend steht das Thema Tschetschenienkonflikt zur Diskussion. Sind die militanten Tschetschenen Freiheitskämpfer oder Terroristen? Zu dieser Talkrunde hat Kristin Bye einige Tschetschenen eingeladen, die in norwegischen Asylantenheimen ihr Leben fristen. Kaum ist Kristin Bye auf Sendung, werden diese Tschetschenen jedoch aktiv. Sie nehmen Kristin und ihre Gäste vor laufender Kamera zum Entsetzen der Zuseher als Geiseln, um ihre reichlich unrealistischen Forderungen durchzusetzen. Eine dieser Forderungen ist die Auslieferung eines tschetschenischen Asylanten namens Aslan Gairbekow. Doch dieser ist untergetaucht ...
Der Anführer der Terroristen kennt keine Skrupel. Er tötet im Sendesaal eine Geisel, denn er will Aslan Gairbekow unbedingt in seine Finger bekommen. Aslan war früher sein Spielkamerad, sein Kampfgefährte und ist jetzt sein Feind, denn bei der Umsetzung ihrer Ziele gab es Differenzen, die sogar den Tod der eigenen Familien zur Folge hatten.
Die norwegische Polizei und die norwegische Regierung versuchen die vermeintlichen Freiheitskämpfer hinzuhalten und auszutricksen, doch diese regieren mit eisiger Härte. Als sich dann auch noch der russische Geheimdienst in die Machtspiele rund um das Geiseldrama einmischt, beginnt der Kampf um das Leben der Geiseln immer prekärer zu werden ...
Tom Egeland hat mit seinem neuen Krimi Wolfsnacht bei Goldmann ein echtes Highlight abgeliefert. Auf 503 Seiten bringt der Autor, der als Nachrichtenchef beim norwegischen Sender TV2 in Oslo arbeitet, ein hochaktuelles Thema zur Sprache. Günther Frauenlob und Maike Dörries haben den Thriller so packend übersetzt, dass man nirgendwo im Lesefluss hängen bleibt.
Seit Jahren habe ich kein Buch mehr gelesen, das realistischer mit dem Problem einer Geiselnahme umgeht. Und genau diese Realitätsnähe steigert das beängstigende und bedrückende Gefühl, dass solche terroristischen Akte praktisch ohne jegliche Vorbeugungsmassnahme immer und überall passieren können und der Leser dann der Macht und Ohnmacht von Terroristen und Politikern ausgeliefert wäre.
Aber Tom Egeland schafft es nicht nur, die Situation innerhalb des Fernsehstudios und der politischen Hallen zu beschreiben, er versucht auch den Werdegang der Terroristen zu skizzieren, ohne dabei allerdings in ein Klischee zu verfallen oder die vermeintlichen Freiheitskämpfer in ihrem Streben nach Widerstand, Selbstbestätigung und idealistischem Befreiungsdrang zu verherrlichen. Wie es einem Nachrichtenchef geziemt, verhält er sich in der Beurteilung weitgehend neutral, und hier muss der Leser aufpassen, nicht selbst in das Stockholmsyndrom zu verfallen und ungewohnte Sympathien zu den Terroristen zu entwickeln.
Zusätzlich beschreibt Tom Egeland noch die zwiespältige Lage der Einsatzkräfte, die einerseits den Schutz der Geiseln zu gewährleisten haben, andererseits aber die Verbrecher möglichst schnell dingfest machen sollten, dabei aber von allen politischen Seiten massiv behindert werden und gleichzeitig zusehen müssen, wie wenig entscheidungsfreudig gerade die Führungskader in solchen Situationen sind. Die Angst vor einer Fehlentscheidung legt praktisch den gesamten Apparat lahm.
Dass auch noch andere Interessensgruppen ihr Süppchen mit diesem Terrorakt kochen, macht die gesamte Handlung nur noch spannender und verwirrender, als sie es ohnehin schon ist. Praktisch von der ersten Seite an lässt Tom Egeland den Leser nicht ausrasten und stellt ihn an die Seite der Geiseln, um mit diesen zu leiden. Die exzellente Zeichnung der handelnden Personen tut ein übriges, um die Identifikation mit den Hauptdarstellern leicht zu machen. Wobei besonders bei den Menschen aus Tschetschenien nicht immer leicht erkennbar ist, wer hier Täter und wer Opfer sein mag.
Wolfsnacht ist rundum stimmig und für meinen Geschmack das Beste, was mir in den letzten Monaten an Lektüre vorgesetzt wurde, deshalb empfehle ich das Buch jedem Freund von Spannungslektüre uneingeschränkt.
Tom Egeland, Goldmann
Deine Meinung zu »Wolfsnacht«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!