Eisesstille

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2007
  • 5
  • Mailand: Rizzoli, 2005, Titel: 'Ghiaccio sottile', Seiten: 346, Originalsprache
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2007, Seiten: 408, Übersetzt: Olaf Matthias Roth
Eisesstille
Eisesstille
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Thomas Kürten
76°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2007

Ganz oben in der Krimiwelt

Die wohl härteste Herausforderung unter den wenigen 8000ern für einen Bergsteiger ist der Kinsoru in Nepal. Zumindest beschreibt Piero degli Antoni diesen Giganten aus Fels und Schnee in seinem Roman Eisesstille als einen beinahe unbezwingbaren Feind jeglichen Lebens. Der Autor, der als Journalist für eine italienische Zeitung arbeitet und über den ansonsten - zumindest im deutschsprachigen Internet - nur wenig zu erfahren ist, scheint selber ein entfesselter Fan des Bergsteigens im Hochgebirge zu sein, wie sonst ließe sich ein so leidenschaftlicher Roman erklären mit einem Schauplatz, der zumindest in der Krimiwelt ganz weit oben angesiedelt ist.

Ein Berg, ein Zelt, eine Leiche im ewigen Eis und sechs Bergsteiger, die nach dieser Leiche suchen. Vor rund 10 Jahren starb der erfahrene französische Alpinist Jean-Luc Leblanc bei der Besteigung des Kinsoru. Sein Bruder Michel, der sich gemeinsam mit ihm auf den Weg zum Gipfel gemacht hatte, konnte sich aufgrund von Sauerstoffmangel und Höhenkrankheit selber nur knapp über die Rückseite des Berges in ein entlegenes Dorf retten und gab an, sich an nichts erinnern zu können. Jean-Luc blieb verschollen, bis ihn nach 10 Jahren ein indonesischer Bergneuling zufällig nach einer Lawine in eisigen Höhen entdeckte.

Sobald diese Nachricht die Runde macht, machen sich sechs Menschen mit unterschiedlichen Intuitionen auf, um die Leiche zu bergen. Da sind Fiona Simmons, Londoner Klatschreporterin, zusammen mit ihrem Fotografen Iaan Svalbard auf der Suche nach der Sensationsnachricht. Die beiden werden geführt vom Nepalesen Tenzing, der die Leblanc-Brüder früher oft begleitete und auch Gipfel in Europa mit ihnen bestieg. Dummerweise hat Fiona Platzangst, weswegen die Seilschaft ein eigentlich viel zu großes Zelt mitführt. Für die Story erweist sich das aber als reinster Glücksfall, denn kaum warten sie ein Weilchen auf über 7000 Metern Höhe auf einen Wetterumschwung, da kommen auch schon der Österreicher Hans von Reichlin und sein Kasachischer Weggefährte Anatoli Boroda auf mehr als nur ein Süppchen vorbei. Unter Bergsteigern hilft man sich (wenigstens vordergründig) und im Zelt ist ja nun wirklich genug Platz.

Die fünf stellen schnell fest, dass sie mit dem gleichen Motiv auf den Berg gestiegen sind und nun ein gewaltiges Problem haben: sie warten auf das letzte Schönwetterfenster der Saison und mit der letzten Funknachricht hat das Basiscamp verkündet, nach maximal einer Woche die Zelte (im wahrsten Sinne des Wortes) abzubrechen. Hans war Chef der Seilschaft, die vor 10 Jahren als erste den Kinsoru im Winter bezwingen wollte, als Jean-Luc und Michel ihren Kameraden nachts enteilten und ihnen Ruhm und Ehr entrissen. Auch Anatoli kannte die Leblanc-Brüder damals schon seit vielen Jahren, scheint aber wie Hans auf beide nicht gut zu sprechen zu sein. Als vor Ablauf des zweiten Tages ein weiterer, einsamer Bergsteiger das Camp im ewigen Eis erreicht droht die ohnehin schon angespannte Stimmung in Gewalt zu kippen: Es ist Michel Leblanc persönlich, der sich auf der Suche nach seinem toten Bruder ein zweites mal auf den tödlichen Berg traut.

Die Luft im inzwischen recht engen Zelt knistert langsam aber sicher gewaltig. Der Autor versteht es meisterhaft, diese Spannung über 400 Seiten leise am köcheln zu halten. Immer wieder kleinere Andeutungen und Halbwahrheiten, gegenseitiges Misstrauen. Davon lebt dieser Roman genauso wie von den besonderen klimatischen Bedingungen am Kinsoru und dem Einfluss der extremen Höhe auf den menschlichen Organismus. Erhöhtes Schlafbedürfnis sowie verminderte Kraft und Ausdauer plagen die 6 Menschen in ihrem Zelt. Um sie herum tobt ein furchtbarer Schneesturm und es gehen Lawinen ab. Diese packende Atmosphäre ist das größte Plus an diesem Roman.

Dennoch ist es für den Leser immer wieder erstaunlich, wenn auf derart engstem Raum einer der sechs gänzlich unbemerkt von den anderen an den Rucksäcken hantieren, Gaskartuschen verschwinden lassen kann oder sogar in seine volle Montur schlüpfen und das Zelt verlassen kann. Dann fragt man sich, wie Amateure wie Fiona und Iaan es bei extremsten Wetterbedingungen bis auf über 7000 Meter Höhe schaffen können. Nun gut, es ist eben ein Roman und kein Tatsachenbericht. Dies merkt man auch an den vielen Kapitelübergängen, in denen Piero degli Antoni verzweifelt einen Cliffhanger sucht, um den Leser nahtlos zum lesen des nächsten Kapitels zu verführen. Nicht oft kann man diese Kapitelenden als gelungen bezeichnen, immer wieder wirken sie ein wenig holzig.

Dies ist aber schon alles an Kritikpunkten. In erster Linie ist Eisesstille ein tolles Bergdrama. Wer sich für subtile und unterschwellige Spannung interessiert, wird an diesem Roman seine hellste Freude haben. Wenn hin und wieder Einzelheiten im Sinne des Fortschreitens der Handlung gedehnt werden, so kann das am Gesamtbild insgesamt keinen Schaden ausrichten. Und der Italiener hat außerdem ein weiteres geschafft: Wieder einmal ist ein weißer Fleck auf der Krimi-Landkarte verschwunden, diesmal sicherlich der höchstgelegene.

Eisesstille

Piero Degli Antoni, Rowohlt

Eisesstille

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