Creepers

  • Knaur
  • Erschienen: Januar 2006
  • 67
  • London: Headline, 2005, Originalsprache
  • München: Knaur, 2006, Seiten: 428, Übersetzt: Christine Gaspard
  • Berlin: Argon, 2007, Seiten: 6, Übersetzt: Stefan Kaminsky
  • München: Knaur, 2011, Seiten: 428
Creepers
Creepers
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2006

Katz- und Mausspiel im schwankenden Turm

Sie nennen sich "Creepers": Männer und Frauen, die es lieben, sich in möglichst alte, lange verlassene Tunnel, Gebäude und andere Großbauwerke einzuschleichen, wo sie zwischen bröckelnden Mauern nach Relikten vergangener Zeiten suchen. Robert Conklin, unorthodoxer Professor für Geschichte, ist der Anführer dieser Gruppe, die aus seinen Studenten Vincent Vanelli, Cora und Rick Magill besteht.

Zu ihrer aktuellen Tour hat Conklin den Reporter Frank Balenger eingeladen, denn sie gilt einem ganz besonderen Ziel: Ashbury Park, einst eine blühende Kleinstadt im US-Staat New Jersey, ist schon lange eine Ruinenstätte, über der sich wie eine antike Maya-Pyramide das Paragon-Hotel erhebt. 1901 hat es der exzentrische Millionär Morgan Carlisle entworfen und errichten lassen. Siebzig Jahre hat er das Penthouse des Hotels nicht verlassen, bis er in der letzten Nacht seines 92-jährigen Lebens daraus geflohen ist und sich umgebracht hat.

Das Paragon übertrifft alle Erwartungen der Creepers. Carlisle hat es außen schwer gesichert und innen wie ein Museum erhalten. Doch Wind und Wetter haben dem Bau stark zugesetzt; Treppen und Böden sind durchgefault, Wände drohen einzustürzen. Mutierte Ratten und wilde Katzen haben sich eingenistet. In den Zimmern finden die Creepers beunruhigende Relikte, Gucklöcher in den Wänden und Geheimgänge.

Schlimmer noch: Die Gangster Todd, Mack und JD haben die Aktivitäten der Creepers bemerkt und sind ihnen gefolgt. Mit brutaler Gewalt nehmen sie die Gruppe gefangen. Um ihr Leben zu retten, verrät Conklin seinen eigentlichen Plan: Im Paragon liegt ein Goldmünzenschatz versteckt, den er zusammen mit Balenger, der kein Reporter ist, zu heben plante. Nun wollen sich die Gangster die Taschen voll stopfen, doch weit kommen sie nicht, denn in dem düsteren, leeren Hotel ist noch eine dritte Partei heimisch. Der mysteriöse "Ronnie" gedenkt nicht, seine "Gäste" entkommen zu lassen, und er hatte viel Zeit, seine grausigen Fallen aufzustellen...

Handwerkliches Geschick ersetzt erfolgreich Originalität

Ein weitläufiges, heruntergekommenes, von der Außenwelt isoliertes, mit Todesfallen gespicktes und von gern aus dunklen Winkeln springenden Mordgestalten bevölkertes Areal, durch das sich eine Gruppe entschlossener Abenteurer bis zum Ausgang kämpfen muss: Schon die Unterhaltungsliteratur und der Film kennen diesen ebenso einfachen wie wirkungsvollen Plot, doch richtig zur Geltung gebracht hat ihn erst ein neues Medium: das PC-/Konsolengame, welches den Spieler in die Rolle des Jäger oder potenziellen Opfers versetzt.

Umgekehrt haben viele dieser Games den Weg zurück gefunden, wurden verfilmt und in Romane verwandelt. In der Regel offenbaren diese Franchiseprodukte vor allem die Dürftigkeit der eigentlichen Grundidee und eine daraus resultierende Handlung, die sich auf digitales Rennen, die Lösung diverser Rätsel & das Killen von Monstern, Untoten oder Außerirdischen beschränkt.

Eine solche Simpel-Story steht oder fällt mit ihrer Kulisse. David Morrell ist mit seinem Paragon-Hotel auf der sicheren Seite. Ihm gelingt es, das alte Gebäude quasi zu "personifizieren", indem er ihm eine Geschichte bzw. eine Biografie auf den "Leib" schreibt und es wie ein schwarz beseeltes Spukhaus wirken lässt. Doch Creepers ist kein Horrorroman, höchstens ein Mystery-Thriller, wobei die Geheimnisse sich letztlich als sehr diesseitig erweisen. (Dies ist kein Spoiler, sondern einfach eine Information für Leser, die sich vor der Lektüre fragen, welchem Genre sie dieses Buch zuordnen können.)

Allerdings kommen sicherlich alle Lesergruppen auf ihre Kosten. Die gemeinsame Schnittmenge aller von Morrell zum Einsatz gebrachten Elemente bildet die schlichte aber hochspannende Geschichte. Wie das alte Paragon ist sie reich an Sackgassen und geheimen Gängen. Immer wieder findet Morrell einen Kniff, die Handlung auf einen neuen, unerwarteten Kurs zu bringen. Natürlich darf man nicht zuviel erwarten: Creepers ist "nur" Unterhaltung und wird zudem durch seine Kulisse sowohl belebt als auch eingeschränkt: Auch ein verwunschenes Hotel bietet nur ein beschränkte Anzahl möglicher Ereignisvarianten.

Dennoch gilt es mit eingeschaltetem Hirn zu lesen, denn der Verfasser liefert viele Informationen aus der Geschichte des Paragon nicht nur der unheimlichen Stimmung wegen. Das Gebäude gilt ihm als Kulminationszentrum einer 100-jährigen Geschichte voller Geheimnisse und Schrecken. Das Hotel ist für Morrell nicht einfach ein Ort, an dem Menschen übernachten, sondern auch eine Sammelstätte menschlicher Schicksale, die das gesamte Spektrum menschlicher Gefühle (und Perversionen) abdecken.

Die seltsame Lust, durch Ruinen zu waten

"Urban Exploration" nennt sich das merkwürdige Hobby, dem die Creepers nachgehen. Es ist authentisch; wie der Verfasser in seinem Nachwort ausführt, gehen ihm weltweit viele tausend Männer und Frauen nach. David Morrell ist selbst ein "Creeper". Schon in seiner Kindheit zogen ihn aufgelassene Stätten, in denen einst Menschen lebten und arbeiteten, magisch an. Diese Neugier ist schwer zu deuten; es ist wohl eine Mischung aus Neugier und Voyeurismus, der die meisten Creepers umtreibt. Sie selbst machen quasi archäologischer Motive geltend, formulieren sich gar einen absurden Ehrenkodex, der ihnen nur das Schauen gestattet. Nichts darf vor Ort verändert oder gar mitgenommen werden.

Ob dies wohl der Realität entspricht? Autor Morrell thematisiert den schmalen Grad zwischen ehrlicher Neugier und echtem Diebstahl, auf dem die Creepers sich bewegen; ein bisschen Einbruch ist auch noch dabei. Professor Conklin ist abgerutscht. Der Grund ist banal: Er steckt in Geldnot. So wandelt er sich vom verehrten akademischen Paulus rasch zum diebischen, verräterischen Saulus - und er steht damit nicht allein. Auch Creeper sind halt nur Menschen. Vince, Cora und Rick nehmen selbst nicht nur aus "wissenschaftlichem" Interesse an Conklins Expeditionen teil. Sie leben in einer komplizierten, nicht offen eingestandenen Dreiecksbeziehung und können nur auf neutralem Boden - hier im Paragon Hotel - zusammenkommen. Vince ist außerdem privat unzufrieden und braucht seine kleine Fluchten durch fremde Gebäude. Balenger ringt mit einem Trauma und schließt sich dem Streifzug aus finanziellen Erwägungen an.

Wenigstens ehrlich sind Todd, Mack und JD: Sie wollen das Paragon ausrauben. Diese Figuren gleiten arg ins Klischee ab; hier meinen wir die typischen Vorzeigestrolche zu sehen, die Hollywood in seinen Filmen einzusetzen pflegt. Sie reden und handeln wie kleine Tarantinos und ersetzen Intelligenz durch Gewalt. Dass sich die Creepers mit den Gangstern zusammenschließen müssen, um gemeinsam dem gruseligen Ronnie zu widerstehen, ist ebenfalls eine allzu einfache Lösung.

Wer dieser Ronnie ist, wird dem gewieften Thrillerfreund nicht wirklich lange verborgen bleiben. Morrell spielt fair; er lässt Ronnie keineswegs aus dem Nichts auftauchen, sondern bereitet sein Erscheinen logisch nachvollziehbar vor. Man muss halt darauf achten, welche Spuren der Verfasser legt. Erneut erweist sich manche scheinbare Sackgasse nachträglich als Teil der Handlung!

Manchmal ist Spaß Begründung genug

Unterm Strich ist Creepers ein rasanter Thriller, der einfach nur unterhalten will und dafür schamlos aber intelligent bekannte Bestandteile diverser Genres - Krimi, Horror, Action- und Katastrophenthriller - zu einem eleganten Ganzen zusammenfügt, dessen Güteklasse auch durch folgende Reaktionen belegt wird: Mit Höchstgeschwindigkeit arbeitet man sich als Leser durch die Seiten, um sich an einer Handlung zu erfreuen, die - sobald das Buch gelesen ist - sogleich in Vergessenheit gerät. So sichert sich das Hirn Platz für neue, unterhaltsame Trivialitäten...

Creepers

David Morrell, Knaur

Creepers

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