Der Zauberer

  • Scherz
  • Erschienen: Januar 1958
  • 2
  • Originalausgabe erschienen unter dem Titel „Patrick Butler for the Defense“

    - New York : Harper & Brothers 1956. 278 S.

    - London : Hamish Hamilton 1956. 236 S.

    - Bern - Stuttgart - Wien : Alfred Scherz Verlag 1958. Übersetzt von Hans M. Tilgen [keine ISBN]. 192 S.

    - Hamburg : Xenos Verlag 1976 [als „Der Tod eines Zauberers“]. Übersetzt von Hans M. Tilgen [keine ISBN]. 159 S.

    - Bern - München - Wien: Alfred Scherz Verlag 1977. Übersetzt von Hans M. Tilgen. ISBN-10: 3-502-50620-0. 143 S.

Der Zauberer
Der Zauberer
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Michael Drewniok
65°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2021

Fauler (Mord-) Zauber um einen falschen Magier

In der kleinen, feinen Londoner Kanzlei „Prentiss, Prentiss & Vaughan“ führt Jung-Anwalt Hugh Prentiss unter der strengen Fuchtel seines stets unzufriedenen Onkels Charles ein ruhiges, aber langweiliges Leben. Auch sein Privatleben bietet keine Überraschungen mehr, seit sich Hugh mit der schönen und regelstrengen Helen Dean verlobt hat. Für Abwechslung sorgen nur seine geliebten Kriminalromane, sein Kollege und Jugendfreund James Vaughan und Patrick Butler, der als Anwalt vor allem die eindeutig Schuldigen verteidigt, damit in der Regel erfolgreich ist und keine Gelegenheit auslässt, Richter und Staatsanwälte vor die Köpfe zu stoßen.

Unverhofft wird Hugh in einen Mordfall verwickelt, als sich ein exotischer Klient in seinem Büro vorstellt: Omar von Ispahan ist ein prominenter Zauberkünstler persischer Herkunft, der um juristischen Beistand bittet. Nur einen Moment lässt Hugh ihn allein, um James um Rat zu fragen. Als die beiden Anwälte nach dem Klienten sehen, liegt dieser mit einem Dolch im Leib sterbend vor ihnen.

Nachdem James ihm klargemacht hat, dass er einen perfekten Hauptverdächtigen abgeben wird, beschließt Hugh  Patrick Butler um Rat zu fragen. Auf dem Weg dorthin erregt er das Misstrauen der Polizei, die ihm von nun an auf den Fersen ist. Butler ist dies gerade recht, da er auch die Ordnungsmacht gern düpiert. Begleitet von der unkonventionellen Lady Pamela de Saxe und der besorgten Helen, beginnt für Butler und Prentiss eine an Missverständnissen und Zwischenfällen reiche Verfolgungsjagd, die dem armen Hugh das Abenteuer seines Lebens und die Erkenntnis beschert, dass die Imagination den Aufregungen der Realität nicht annähernd gewachsen ist …

Harte Zeiten für alte Meister

In den 1950er Jahren lief die Zeit der klassischen Rätselkrimis ab. Als Subgenre verschwand der „Whodunit“ bekanntlich nie, und Autor/innen wie Agatha Christie mussten um Prominenz und Verkaufszahlen nicht fürchten. Generell driftete der Rätselkrimi jedoch in eine Nische, wo sich der harte Kern jener sammelte, die es weiterhin liebten, quasi Seite an Seite mit dem Verfasser auf Verbrecherjagd zu gehen.

Viele Altmeister suchten den Anschluss an die Krimi-Gegenwart. Damit war nicht unbedingt jener „Hardboiled“-Thriller gemeint, der in die Seelentiefen und Schattenseiten des menschlichen Wesens vordrang, dabei Hässliches zum Vorschein brachte und detailfreudig beschrieb. Solche Drastik war John Dickson Carrs Sache nicht. Sein Metier war das Bizarre oder Geheimnisvolle und seine möglichst überraschende Auflösung.

Allerdings ließ nach dem Zweiten Weltkrieg die Faszination scheinbar verfluchter Schlösser, die sich mit spinnwebgeschmückten Mordzimmern aus endlosen Nebelfeldern erhoben, erst einmal nach. Die Wirklichkeit rückte in den Vordergrund, Kriminalgeschichten spielten in modernen, nüchternen Kulissen. Zudem drängte die Frau, bisher entweder hübsches, hilfloses Opfer oder verschrobene Detektivin ohne ‚weibliche‘ Züge, an die Seite des männlichen Helden.

Krimi-Komödie der Irrungen und Wirrungen

Mit seinen weiblichen Figuren hatte Carr generell wenig Glück. Vor dem Zweiten Weltkrieg lag er noch im Trend mit seinen nach außen hin unternehmungslustigen Frauen (bzw. „Mädchen“), die spätestens nach Klärung des Krimi-Rätsels vor der Vermählung standen. Ein Leben ohne Mr. Right war eine Grundsätzlichkeit, von der Carr nicht ablassen konnte oder wollte. Als er 1956 den Zauberer veröffentlichte, war solche Eindimensionalität keine Option mehr. Carr musste sich etwas einfallen lassen - keine leichte Aufgabe für einen Schriftsteller, der ohnehin auszubrennen und sich zu wiederholen begann.

In seinen späten Romanen begann Carr mit Genre-Formen und -Inhalten zu experimentieren. Meist entstanden dabei Werke, die heute veraltet und manchmal peinlich wirken. Im Zentrum stand weiterhin eine mysteriöse Straftat - gern das ‚unmögliche‘ Verbrechen im von innen verschlossenen Raum -, deren Auflösung der Autor bis zum Finale geschickt und (hoffentlich) spannend verschleppte. Doch der Weg dorthin beschrieb nicht mehr die reine Suche nach Motiv, Tathergang und Täter, sondern wurde zunehmend durch krimifremde Elemente begleitet bzw. verwässert.

Mit Der Zauberer versuchte Carr sich an einer Kriminalkomödie, wobei ihm offensichtlich die „Screwball Comedy“ der 1930er Jahre vorschwebte: Trinkfeste Männer und Frauen liefern sich rasante Wortgefechte, während sie in absurde Situationen geraten. Humor mag keine Kunst sein, doch auf jeden Fall ist sie ein kompliziertes Handwerk. Carr hatte sich bisher darauf beschränkt, Detektive wie Dr. Gideon Fell, Sir Henry Merrivale und Henri Bencolin hart an der Grenze zur Karikatur agieren zu lassen; alternde und kugelbäuchige, aber lebenslustige und kluge Exzentriker, die sich geschickt in ihrer Außenseiterposition eingerichtet hatten das Establishment aushebeln konnten, ohne von ihm verstoßen zu werden.

Holterdiepolter & Hokuspokus

Mit Patrick Butler hatte Carr erstmals 1949 versucht,  seine Trias der unbeweglichen, auf das Wort reduzierten „armchair detectives“ durch einen jüngeren, ungestümen und sogar kampfstarken Ermittler zu ergänzen. In Das umgekehrte Kreuz  musste dieser sich Auftritt und Ruhm noch mit Gideon Fell teilen. Der ist dieses Mal außer Landes, weshalb Butler den Fall des erstochenen Zauberers an sich reißt.

Bei der Ermittlung ist Carr die Bewegung wichtiger als Handlungslogik und - ein Verstoß gegen eigene, vormals wunderbar beherrschte Konventionen - Krimi-Stimmung. Hektik und Chaos sollen Ersatz schaffen, sorgen jedoch eher für Verwirrung. Glücklicherweise blitzt zwischendurch immer wieder Carrs Meisterschaft - oder Routine - auf. So bereitet die Flucht der Helden aus einem dunklen, von der Polizei umstellten Theater echte Lesefreude.

Leider stellt Carr mit Hugh Prentiss einen überaus naiven ‚Helden‘ ins Zentrum, der vor allem damit beschäftigt ist, es seiner leicht beleidigten, stets in ‚kompromittierenden‘ Momenten auf der Bildfläche erscheinenden Verlobten recht zu machen oder die Zudringlichkeiten einer überspannten Adelstochter abzuwehren. Dies erinnert an jene unverwüstlichen Verwechslungs-Komödien, die (Boulevard-) Theater gern auf den Spielplan setzen, wenn sichere Einkünfte wichtiger als die Kunst sind. Folgerichtig ist Hugh ein Tropf mit gutem Herzen, der sich immer wieder von seinem Mephistopheles Patrick Butler aus der Patsche retten lassen muss, denn der weiß, wie die Frauen ticken: „Wenn man haargenau errät, was im Kopfe einer Frau vor sich geht, wird sie noch zehnmal wilder, als sie zuvor war.“ Als Lebemann weiß Butler, wie man sie  zur Raison bringt; notfalls gibt er ihnen einen ordentlichen Klapps auf das Hinterteil. Ansonsten gilt: „Ich ziehe reife Frauen vor. Frauen werden erst nach fünfunddreißig klug, selbst wenn sie vorher akademische Würden errungen haben.“

Fadenscheiniges & Übertünchtes

Ungeachtet des vordergründigen Getöses fallen dem Leser deutliche Plot-Schwächen auf. So ist es völlig unerheblich, dass ein persischer Bühnenmagier ermordet wird. Carr will nur Exotik für ein Verbrechen suggerieren, das sich letztlich als recht schnöde Übeltat entpuppt. Um Butler und seine Gefährten außer Gefecht zu setzen, denkt sich der Schurke einen lächerlich überkomplizierten Hinterhalt aus. Zeitweise gerät der Plot völlig außer Sicht. Carr treibt das Geschehen einfach mit episodischen Einschüben voran, die man problemlos überspringen kann.

Erst im Finale wird es wieder klassisch, obwohl die Auflösung enttäuschend banal wirken mag: Carr entscheidet dieses Mal, die faktisch einzige Möglichkeit zu wählen, ohne sich einen der wunderbar bizarren und komplexen Mordpläne auszudenken, für die er bekannt war.

Das alles macht aus Der Zauberer keinen schlechten = nicht lesenswerten Roman. Es ist der Kontrast, der vor allem jene Leser enttäuscht, die Carr in seiner großen Zeit kennengelernt haben. Dem Versuch, sich ‚modern‘ zu geben, lag offenkundig kein echter Plan zu Grunde. Das Ergebnis vertreibt die Zeit. Im Gedächtnis wird sich Der Zauberer mit seinen müden Tricks freilich nicht festsetzen können.

Fazit

Ungewöhnlich ‚actionreicher‘ Rätsel-Krimi, der unter einer aufgepfropften Lovestory sowie humorarmen Klamauk-Einlagen leidet, bevor der Verfasser im genreüblichen Finale sämtliche Rätsel eher routiniert als überraschend auflöst: zufriedenstellend.

Der Zauberer

John Dickson Carr, Scherz

Der Zauberer

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