Die diamantene Kutsche
- Aufbau
- Erschienen: Januar 2006
- 11
- Moskau: Zacharov, 2003, Titel: 'Almaznaja kolesnica', Originalsprache, Bemerkung: Erschienen in zwei Bänden
- Berlin: Aufbau, 2006, Seiten: 745, Übersetzt: Ganna-Maria Braungardt
So faszinierend-exotisch kann ein historischer Agenten-Krimi sein
Die diamantene Kutsche ist wohl der Abschluss einer schon legendären Kriminalroman-Reihe mit dem russischen Kult-Helden Erast Petrowitsch Fandorin. Boris Akunin kombiniert zwei ganz unterschiedliche Abenteuer. Einerseits erlebt der 22-jährige Vizekonsul in Japan, was unter "ehrbaren" Ganoven und japanischer Lebensart zu verstehen ist, andererseits schlägt sich der 51-jährige Agent mit Sabotageakten japanischer Spione während des verlustreichen Krieges gegen Japan herum. Der Roman ist mit seinen gut 750 Seiten der Umfangreichste, möglicherweise auch der Beste, denn der Leser folgt dem sympathischen Detektiv in sehr unterschiedliche Abschnitte seines ereignisreichen Lebens.
Flash Back in die Vergangenheit
1905 steht es nicht gerade gut um das russische Reich, man befindet sich im Krieg mit Japan, der alles andere als günstig verläuft. Die desolate allgemeine Versorgungslage erschwert bereits den Nachschub an die Truppen in die Mandschurei. Fandorin arbeitet als Chefingenieur des Verkehrswesens und ist für die Sicherheit der Transporte zuständig. Nach einem Bombenattentat auf die Tesoimenitski-Brücke verfolgt Fandorin den japanischen Saboteur. War alles nur ein Ablenkungsmanöver? Wird bereits ein weitaus größerer Coup, ein Anschlag auf die transsibirische Eisenbahn, vorbereitet, der den Verlauf des Krieges endgültig für die Japaner entscheiden kann?
Fandorin bekommt es mit einem Meisterspion zu tun, der Verwandlungskünste und Tricks einsetzt, die ihn an die der legendären, japanischen Schattenkrieger erinnern. Ihren Methoden ist der russische Detektiv in seiner Zeit als russischer Vizekonsul in Yokohama, Japan, im Jahr 1878 schon einmal begegnet.
Fandorins Lehrzeit im Land der aufgehenden Sonne
Yokohama ist weitaus weniger japanisch, als Fandorin erwartet hat, denn das Land nähert sich bereits der westlichen Welt an. Der Vizekonsul bekommt sofort alle Hände voll zu tun, denn der russische Kapitän Blagolepowa starb unter mysteriösen Umständen. Ist es möglich, einen Menschen mit einem Fingerdruck am Hals zu ermorden? Die Spuren führen zu einem möglichen Attentat auf Minister Okubo, der eine politische Annäherung Japans zu Russland unterstützt. Planen japanische Traditionalisten eine Rebellion?
Fandorin ermittelt gemeinsam mit dem Chef der Munizipalpolizei, dem Amerikaner Lockstone und dem Inspektor der japanischen Polizei, Asagawa. Die Arbeitsweisen in diesem multikulturellen Team könnten unterschiedlicher nicht sein. Der junge Diplomat lernt, dass in Japan selbst die Verbrecher einen Ehrencodex haben und die Unterscheidung von Gut und Böse nicht so einfach ist. Fandorin erlebt hautnah eine exotische Kultur mit vielen Extremen und erliegt dem Jojutso, der japanischen Kunst der Leidenschaft. Die Zeit in Japan soll für den 22-jährigen Fandorin die spannendste in seinem Leben werden.
Das Ende des Russischen Reiches
Das erste, relativ kurze Buch, spielt 1905 in Russland, am Anfang vom Ende des Zarenreichs. Das Land ist wirtschaftlich am Ende, verliert den Krieg gegen Japan und die Zarenherrschaft wird schließlich von der Russischen Revolution niedergeschlagen.
Gewohnt kompetent und mit der Erfahrung aus jahrelanger Agententätigkeit ermittelt der 51-jährige Fandorin den Anschlag auf den russischen Eisenbahntransport, der Täter scheint ihm dennoch immer einen Schritt voraus zu sein. Diese Jagd eines Saboteurs wäre eigentlich eher unspektakulär, hätte man als Leser, genau wie der Hauptprotagonist, nicht ständig das Gefühl, aufs Glatteis geführt zu werden. Die Lösung dieses Rätsels erfordert eine ausgiebige Reise in Fandorins japanische Vergangenheit.
Das Ende des traditionellen Japans
Japan befindet sich seit Mitte des 19. Jahrhundert auf dem Weg in die Moderne (Meiji-Restauration). Umfassende Reformen wurden eingeleitet, die Shogun-Dynastie abgeschafft und schließlich eine konstitutionelle Monarchie eingeführt. Akunin nimmt mit der Geschichte über den Mord an einen japanischen Minister Bezug auf die Satsuma-Rebellion der Samurai 1877. Dieser Anknüpfungspunkt ermöglicht es dem Autor, seinen Helden auch in die exotisch-faszinierende Kultur des traditionellen Japans eintauchen zu lassen.
Fandorin bekommt es nicht nur mit den Ninja und ihrer wie Zauberei wirkenden Auftritte zu tun, er erfährt, dass hier schwer miteinander zu vereinbarende Grundwerte gelten. Fandorin wäre allerdings nicht Fandorin, wenn er die positiven Aspekte der fremdem Kultur nicht zu nutzen wüsste.
Den Ausführungen über die japanische Kultur ist deutlich anzumerken, dass Akunin als Japanologe ganz in seinem Element ist und diese mit Freude und Sachkenntnis dem Leser nahe bringt. Das Gesamtbild aus Erzählung und historischem Kontext erscheint dem Leser in Die diamantene Kutsche dadurch überaus stimmig und glaubwürdig. Es macht einfach Spaß, einen interessanten Helden wie Fandorin bei der Auflösung rätselhafter Fälle zu begleiten und gleichzeitig die faszinierende Historie einer bis heute fremdartig wirkenden Kultur, kennen zu lernen.
Das Ende der Fandorin-Reihe
Die Fans des russischen Kult-Helden Fandorin, wissen längst, was sie von ihrem Helden zu erwarten haben: messerscharfe Intelligenz und außergewöhnliche Kreativität. Der gern als Mischung zwischen James Bond und Sherlock Holmes bezeichnete russische Agent, überzeugt auch menschlich. Er wirkt nicht nur durch seinen Sprachfehler manchmal etwas unbeholfen und pflegt seine kleinen Eitelkeiten. Die Charakterisierung seiner beiden Partner im zweiten Buch hat Akunin zwar etwas stereotyp, aber überaus sympathisch gestaltet. Diese aufgrund der kulturellen Unterschiede schwierige Zusammenarbeit ist oft witzig beschrieben, enthält aber auch viel hintersinnigen Humor.
Die Kriminalfälle der Fandorin-Reihe zeichnen sich nie durch nervenaufreibende Spannung aus, sondern eher durch Intelligenz, überzeugende Charaktere und sprachliche Finesse, wie z.B. hier die typisch japanischen Verse (Haikus) nach jedem Kapitel.
Akunin präsentiert zum Abschluss seiner Erast-Fandorin Reihe gleich zwei rätselhafte, meisterlich erzählte Geschichten, die dem Fan des russischen Agenten ein ganz besonders persönliches Profil bieten und perfekt in den historischen Kontext eingefügt wurden. Die Auflösung hat nicht gerade das ganz große Überraschungsmoment, was allerdings den Unterhaltungswert des Buches kaum schmälert.
Die diamantene Kutsche ist ein absolutes Muss und Highlight für Liebhaber dieser Serie, aber auch als Einstiegsdroge geeignet. Ein vergnüglicher Lesespass für jeden, der anspruchsvolle Agentenkrimis mit einem guten Schuss Exotik mag.
Boris Akunin, Aufbau
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