Wilder Winter
- Shayol
- Erschienen: Januar 2006
- 11
- New York: Bantam, 1990, Titel: 'Savage Season', Seiten: 210, Originalsprache
- Berlin: Shayol, 2006, Seiten: 195, Übersetzt: Richard Betzenbichler & Katrin Mrugalla
- Berlin: Golkonda, 2014, Seiten: 203, Übersetzt: Richard Betzenbichler & Katrin Mrugalla
Darauf sollten sich Krimifreunde einlassen!
Thomas Kürten: In Deutschland erreichte die Verfilmung des Romans "Die Wälder am Fluß" vor einigen Jahren einen Achtungserfolg an den Kinokassen, doch der Autor Joe R. Lansdale war damals noch nahezu niemandem hierzulande ein Begriff. Dabei ist der Amerikaner ein Vielschreiber mit etlichen Romanen und Kurzgeschichten, einige davon preisdekoriert. Die ersten deutschenÜbersetzungen seiner Collins/Pine-Reihe (in den 1990ern bei rororo erschienen) sind aber komplett an mir vorbei gegangen. Der kleine Shayol-Verlag hat nun nach "Sturmwarnung" den Roman "Wilder Winter", in dem Collins und Pine erstmals in Erscheinung treten, in Deutschland veröffentlicht. Und jetzt scheint der Texaner etwas mehr Aufmerksamkeit in der deutschen Öffentlichkeit zu erhalten. Eva, wie bist du auf Lansdale aufmerksam geworden?
Eva Bergschneider: Ich bin auf Joe R. Lansdale damals tatsächlich durch "Die Wälder am Fluss" aufmerksam geworden, den ich allerdings im Rahmen der Dumont Krimi-Reihe gelesen habe.Ich war begeistert von dem Roman, der für mich auf sehr natürliche Weise das Thema Rassismus mit einer sehr spannenden und zugleich einfühlsamen Story verbindet. Ich war gespannt, ob der Autor in "Wilder Winter" wieder ein zeitkritisches Thema in einem Krimi einbeziehen würde und bin nicht enttäuscht worden.Für mich ist Lansdale wie kaum ein anderer Autor in der Lage, außergewöhnliche Geschichten mit einfachen Menschen zu erzählen, die mit einem schweren Verbrechen konfrontiert werden und auf ihre ganz individuelle Art damit fertig werden. Das allein würde schon reichen, um einen richtig guten Krimi zu schreiben, aber Lansdale flechtet darüber hinaus Zeit- bzw. Gesellschaftskritik in seine Story ein, ohne irgendwie belehren zu wollen. Das ist eine Kombination, die mir wirklich gut gefällt.
Thomas Kürten: Das hat mir auch super gefallen. Bei "Wilder Winter" rechnet der Autor ja gnadenlos mit den Idealen der 68'er ab. Dazu hat er zwei Protagonisten Leben eingehaucht, die nur noch vollkommen desillusioniert in den Tag hinein leben und sich als Erntehelfer auf Rosenfeldern ein paar Dollars verdienen. Gerade Hap Collins hadert ja mit den Idealen, denen er in seiner Jugend nachgeeifert ist. Und eine prima Ergänzung dazu ist der Zyniker Leonard Pine, der stets bissige Kommentare abgibt und außerdem als schwuler schwarzer Vietnamveteran im konservativen Texas prädestiniert für Diskriminierung ist. Zu ihnen passt auch diese einfach strukturierte und teilweise vulgäre Sprache. Aber irgendwie habe ich auch den Eindruck, dass diesbezüglich Lansdale nicht gerade über den üppigen Sprachschatz verfügt, der ihm andere Alternativen böte.
Eva Bergschneider: Das denke ich nicht, denn Lansdale hat in "Die Wälder am Fluss", der übrigens wie "Wilder Winter" in Osttexas am Sabine River spielt, durchaus mit sprachlicher Finesse überzeugen können. Die Sumpflandschaft und Wälder werden in sehr intensiven, teilweise poetischen Bildern dargestellt. Auch die Dialoge sind sprachlich zwar einfach, da aus der Sicht eins 12jährigen Jungen erzählt, aber kultivierter gestaltet, als in "Wilder Winter". Die ganze Atmosphäre wirkt durch die Beschreibung der besonderen Landschaft und der durch sie geprägten Menschen ungewöhnlich dicht und einmalig. Diese eindrucksvolle Lyrik habe ich in "Wilder Winter" etwas vermisst, sie hätte allerdings nicht zur Geschichte gepasst. Der Autor hat seinen Stil der sozialen Umgebung der beiden Hauptprotagonisten angepasst und entsprechend vereinfacht.Die beiden Helden von "Wilder Winter" werden mit ihrer schnodderigen Sprache sicherlich nicht jeden Leser ansprechen. Ich könnte mir vorstellen, dass besonders einige Leserinnen den Stil nicht mögen werden. Aber viele werden erkennen, dass einiges mehr hinter der coolen Macho-Fassade steckt. Der Leser hat es in "Wilder Winter" mit derben Sprüchen, viel Ballerei und knallharten Typen zu tun. Dazu passt doch diese schlichtere und herbe Sprache des Romans, oder?
Thomas Kürten: Stimmt, das passt. Und was für eine Story das ist: Was zunächst wie ein Schatzsuche-Abenteuer für große Jungs beginnt, erlebt einen heftigen Wandel, sobald die Beute aus dem alten Banküberfall erst einmal gehoben ist.
Eva Bergschneider: Die ganze Situation gerät mehr und mehr außer Kontrolle und endet in einem Desaster mit viel Blutvergießen. Der Krimi ist relativ hart und gewalttätig, dazu kommen die derben Dialoge. Das ist nicht gerade als stilistisch niveauvoll zu bezeichnen und wird Leser, die in der Hinsicht wählerisch sind, vermutlich abschrecken. Wer allerdings Spaß an Lansdales staubtrockenem Humor hat, wird gegen den herben Stil nichts einzuwenden haben, denn das passt einfach sehr gut zusammen. Der Autor liebt es, den Leser immer wieder irre zu führen, indem er seine Geschichte zunächst betont locker erzählt, um dann mit schockierend brutalen Szenen fortzufahren. Diese abrupten Stilwechsel sind typisch für Lansdale und sorgen dafür, dass seine Romane eine ganz besondere Dynamik aufweisen und nie langweilig werden.
Thomas Kürten: Lass uns noch einmal zu einer anderen Baustelle kommen: Die Abrechnung mit der 68'er-Generation. Gerade hierin finde ich, hat der Romane eine besondere Stärke. Haps Erinnerungen an seine pazifistische Kriegsdienstverweigererjugend, der Enthusiasmus, mit dem er sogar ins Gefängnis geht. Die Geschichte, die der Autor für die Figur Paco erfunden hat, gefällt mir sogar noch besser: jemand der für seinen Idealismus in "den Untergrund" gegangen ist. Außer Leonard hatten alle Figuren hehre Ziele, die sie mit dem Laufe der Zeit mehr und mehr aus den Augen verloren haben. Die innere Leere aller Akteure hat Lansdale geradezu meisterlich inszeniert. Was hat dir besonders gut gefallen?
Eva Bergschneider: Ich mochte die Gegensätze in dieser verrückten Geschichte. Sie ist tragisch und komisch, einfach und komplex zugleich. Da sind zwei einfache Typen, die gerade keinen Job haben und sich die Zeit mit Tontaubenschiessen vertreiben. Hap und Leonard sind schon ein besonderes Team, sie ziehen sich ständig gegenseitig auf, prügeln sich wie rivalisierende Schuljungs und helfen sich doch gegenseitig durch jede noch so schwierige Situation. Zwischen den Zeilen erfährt der Leser, was Hap und Leonard wirklich verbindet: beiden Männern wird das Leben nicht gerade leicht gemacht. Ihre unkonventionellen Überzeugungen werden im Texas der 80er Jahre nicht wirklich toleriert.Darüber hinaus gefielen mir ebenfalls die weiteren sozialkritischen Aspekte, die du schon erwähnt hast: Ideale und der Verlust von Illusionen. Pacos Geschichte erinnert mich sehr stark an die der RAF Terroristen; junge Menschen mit hehren Idealen entwickeln sich zu Fanatikern und schließlich zu Gewalttätern. Lansdale erzählt, wie aus Widerstand gegen den Staat Terror werden kann. Somit erhält dieser Anfang der 90er Jahre publizierte Krimi einen unvorhergesehenen aktuellen Bezug. Die eigentlich simple Story hat einen komplexen und kritischen Hintergrund. Das ist es, was Lansdales Krimis zu etwas Besonderem macht. Negativ aufgefallen ist mir schon die teilweise unnötig vulgäre Sprache und extrem harte Brutalität. Da ist der Autor teilweise übers Ziel hinaus geschossen, denn es war in dem Ausmaß nicht immer logisch und angemessen. Einige der Nebencharaktere fand ich zu oberflächlich gezeichnet. Ein Anarchist, ein idealistischer Phrasendrescher und ein reaktionärer Bombenleger treffen auf den stereotypen, knallharten Gangsterboss, der buchstäblich über Leichen geht. Mit diesen Typen hat der Autor meiner Ansicht nach, etwas dick aufgetragen.
Thomas Kürten: Ja, Soldier und Angel waren schon arg überzeichnet. Aber was Brutalität angeht, da geht unsere Meinung mal ein wenig auseinander. Das war ein Finale Furioso, schnörkellos und voller Gewalt. Es enthielt für mein Ermessen jedoch keine unnötigen Grausamkeiten. Hard boiled at its finest. Und oberflächlich fand ich die Nebenrollen auch nicht. Es waren allesamt einfach strukturierte Charaktere, aber sie hatten jeder ihren Tiefgang. Denk an Trudy und den toten Spatz. Oder Paco und seine Mechaniker. Jedenfalls ist mir "Wilder Winter" allemal eine dicke Empfehlung wert, in der Hoffnung, nie selbst einen solchen Winter durchleben zu müssen.
Eva Bergschneider: OK, Thomas, was Paco angeht, gebe ich Dir recht, aber Trudy ist für mich, Spatz hin oder her, der Prototyp einer berechnenden Schlampe, sie erschien mir einfach zu banal. Insgesamt denke ich aber, "Wilder Winter" ist der Auftakt zu einer Krimi-Reihe, auf die sich die Krimifreunde in Deutschland einlassen sollten. Besonders Krimi-Lesern, die Spaß an einem heftigen Spektakel mit derben Sprüchen haben, ist mit "Wilder Winter" spannende Unterhaltung garantiert. Dahinter verbirgt sich außerdem eine Milieustudie über die Menschen und das Leben in einem Land voller Gegensätze. Auch von mir: Daumen hoch!
Joe R. Lansdale, Shayol
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