Blut von meinem Blut
- William Morrow
- Erschienen: Januar 2006
- 8
- New York: William Morrow, 2006, Originalsprache
Blutsbande in keltischer Kälte
Man unterscheidet sechs verschiedene Untergruppen: Tropfen, Flecke, Spritzer, Streifen, Schlieren und Lachen. Die Rede ist nicht von amateurhaften Malerarbeiten, sondern vom Blutspurensystem innerhalb der Forensik.
Die Krimi-Scouts um Harry Rowohlt haben mutig und entschlossen zugeschlagen: Sie sicherten sich den 2006er Erstling The Wrong Kind of Blood des Krimi-Neulings Declan Hughes und haben diesen blitzschnell als Blut von meinem Blut für die deutsche Krimigemeinde marktfähig gemacht. Nach den ersten Verkaufsbestenlisten dürften sich die Entscheidungsträger strahlend die Hände reiben!
Declan Hughes ist von Hause aus erfolgreicher Dramatiker, Regisseur und Theatergründer in Irland. Mit seinem Privatdetektiv Edward "Ed" Loy setzt er die traditionsreiche Garde irischstämmiger Detectives und Sergeants (am erfolgreichsten bislang zweifelsohne in ihrer Wahlheimat Boston das Ermittlerpärchen Patrick Kenzie & Angela Gennardo vom Krimi-Barden Dennis Lehane) fort.
Edward Loy - very Irish
Ed Loy ist ebenso wie Kenzie/Gennardo vor mehr als zwanzig Jahren in den Zeiten irischer Wirtschaftsrezession in dasLand der unbegrenzten Möglichkeiten ausgewandert und seitdem als Privatdetektiv auf der Suche nach Vermissten in San Francisco tätig. Der Umgang mit Gangstern und Ganoven gehört zu seinem Alltagsgeschäft und haben diesen Mann geformt, widerstandsfähig und zäh gemacht.
Natürlich hat auch Ed Loy (mal wieder) die typischen Merkmale eines Privatdetektivs, welche sich jedoch noch steigernd mit irischen Tugenden verquirlen: er ist geschieden und er ist trinkfest, besonders im kontinuierlichen Verbrauch von Whisky der Marke Jameson. Er hat eine enorm hohe Schmerzerleidensgrenze, schlittert schnell in Frauenaffären und - das sei besonders hervorgehoben - kann seine irischen Kindheitserinnerungen, getränkt mit viel Blut, Schweiß und Tränen, nicht einfach so abnabeln.
In seiner Mentalität erinnert Ed Loy stark an Harry Hieronymus Bosch, diesen sympathischen, melancholischen und zugleich energischen Ermittler in Michael Conellys Krimireihe. Auch Bosch will Klarheit über seine familiären Wurzeln, Der letzte Coyote sei hier nochmals nachhaltig empfohlen.
Unwiderstehlich wird Ed Loy von der Vergangenheit eingeholt, als er zur Beisetzung seiner Mutter eher anstandsmäßig und damit unfreiwillig in das Land seiner Kinder- und Jugendjahre zurückkehrt.
Ebenso bemerkenswert formuliert Declan Hughes den allerersten Satz in seinem Kriminalroman:
"Am Abend nach der Beerdigung meiner Mutter hatte Linda Dawson an meiner Schulter geweint, mir die Zunge in den Mund geschoben und mich gebeten, ihren Mann zu suchen."
Welcher hartgesottene Cop mit irischem Stammbaum, keltischen Genen und einer - wenn auch nicht aktuell gültigen - Lizenz zum Schnüffeln könnte dem widerstehen? Ed Loy jedenfalls nicht, und so startet er konsequent seine Ermittlungen im Auftrag seiner befreundeten Bekannten.
Vom zwecklosen Versuch, seiner Vergangenheit zu entkommen
Im weiteren Verlauf seiner aufwändigen und vielschichtigen Untersuchungen verwuselt sich Ed Loy immer tiefer im undurchsichtigen, eng verwobenen Kleinstadtfilz, den er nur mit großer Mühe und bei hoher Selbstgefährdung auflösen kann. Das für Edward Loy bedenkliche an dem Fall wird immer mehr die sich verhärtende Tatsache, dass seine verstorbene Mutter und sein damals spurlos verschwundener Vater an der düsteren Vergangenheit der nur scheinbaren harmonischen Idylle irgendwie beteiligt sind.
Immer mehr entwirrt sich die ursprüngliche Entführungsaufklärung zu einem schicksalhaften und langjährigen Politikum in der tristen Atmosphäre von kleinen Pubs und klebrigem Geld. Es wird offensichtlich: hier hat sich im Laufe der Jahre mehr und mehr das Blut mit Whisky, Geld und Drogen verpanscht. Und mittendrin steckt Ed Loys Vater, einer der drei Musketiere...
Und immer wieder stößt er bei seinen Ermittlungen nicht nur auf pure Gewalt, sondern mehr noch auf die eherne irische Lebensmaxime "Was immer du sagst, sag nichts" und muss letztendlich feststellen, dass gerade Blut nicht alles sagt.
Declan Hughes ist ein beachtlicher Erstling, ein durchaus lesenswerter Kriminalroman gelungen. Scheinbar mühelos findet er die passenden Worte, um irisches Flair zu vermitteln: immer wieder faszinierend ist das enge Beieinander von Freundschaft und Hass der Hauptakteure, die sich seit ihrer gemeinsam verbrachten Sandkastenbuddelzeit bestens bekannt sind.
In Blut von meinem Blut werden Typen so schön plastisch beschrieben, dass man die Vorstellung gewinnt, sie beim Öffnen der Zimmertür leibhaftig vor sich zu sehen - vorausgesetzt, man traut sich.
Und dann diese knappe Schilderung von bedrückendem, armseligem (irischem) Familienmuff, der den Leser förmlich zwingt, kurzzeitig etwas flacher zu atmen:
"Es roch penetrant nach Feuchtigkeit, Staub, Reinigungsmittel und Bratensoße. Auf einer Furnierkommode im Wohnzimmer stand eine ganze Fotogalerie in billigen Rahmen."
Oder diese überaus selbstkritische und desillusionierende Selbstbeschreibung des Arbeitsfeldes von Ed Loy als Privatdetektiv (die nicht zuletzt ein eindrucksvolles Beispiel der stilvollen, sehr gelungenen Übersetzung ist!):
"Meistens beschränkt es sich darauf, Nächte im Auto zu verbringen, kalten Kaffee zu trinken, durchgeweichte Sandwiches zu essen und in eine Flasche zu pinkeln, um einen Ehemann zu fotografieren, wenn er aus der Wohnung seiner Geliebten kommt, die Fotos dann seiner Ehefrau zu geben und zu wissen, dass der einzig Glückliche am Ende der Scheidungsanwalt ist."
bzw.:
"Es ist nun mal Teil des Jobs, darauf zu warten, dass nichts passiert; manchmal glaubt man sogar, dass der Job aus nichts anderem besteht."
Blut von meinem Blut ist neben sehr schöner und aufwändiger Einbandgestaltung, großartiger Übersetzung (Tanja Handels mit Förderung des Literarischen Colloqiums Berlin) ein empfehlens-, weil lesenswerter Irlandkrimi, in dem typische Familien- und Freundesbande, Landschaft und Atmosphäre dieser eigenwilligen Region eindrucksvoll beschrieben werden.
Declan Hughes, William Morrow
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