Der Gott der Dunkelheit
- Heyne
- Erschienen: Januar 2005
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- München: Heyne, 2005, Seiten: 431, Übersetzt: Wolfgang Müller
- München: Heyne, 2007, Seiten: 429
Nazi-Spionage im Schatten der Pyramiden
Im Juni des Jahres 1942 stürmen die Truppen Hitler-Deutschlands an allen Fronten scheinbar unaufhaltsam vor. Unter dem Kommando des charismatischen Generals Rommel haben die Nazis den Boden Nordafrikas betreten und treiben die britischen Verteidiger vor sich her. Nur noch Stunden steht das Afrikakorps vor Kairo, der letzten Bastion, wo sich freilich Panik breit zu machen beginnt. Die Briten sind demoralisiert an der Front und gefährdet in der Etappe. Vor einigen Monaten haben sie König Faruk von Ägypten, der ihnen als allzu wankelmütiger "Verbündeter" erschien, praktisch abgesetzt und regieren das Land seither ganz unverhohlen als Kolonie. Die Ägypter haben ihnen dies nicht vergessen, Separatisten und Terroristen versuchten die Besatzer zu vertreiben. Bisher blieben sie erfolglos, doch Rommels Nahen lässt sie Oberwasser gewinnen. In den Straßen Kairos macht sich eine gefährliche Stimmung gegen die Briten und für Hitler breit. Gleichzeitig sickern Kriegsgewinnler, Spione und andere Subjekte ein, die ihre eigenen trüben Süppchen kochen.
In diesem Chaos versucht Major Joe Quinn, Chefermittler des Special Investigation Branch in der Kriminalabteilung der Royal Military Police, einen brutalen Mord aufzuklären. Im Garten seiner Dienstwohnung fand man die Leiche von Captain Rupert Smith, die Kehle durchschnitten, der Körper an einem Baum aufgeknüpft, auf der Brust die Figur von Seth, dem Gott der Finsternis und des Chaos, eingeritzt, darunter das Wort "Befreiung". Dies weist auf die Täterschaft der "Arabischen Bruderschaft" hin, einer besonders aktiven ägyptischen Befreiungsorganisation. Besonders alarmierend ist weiterhin die Tatsache, dass Smith als hoher Offizier der Einheit Movement Control Kenntnis über Position und Kampfstärke jeder britischen Fronteinheit hatte. Wurde dieses hochgeheime Wissen womöglich an die Nazis verraten?
Quinn vermutet freilich eine falsche Spur und hinter dem Mord ein verzwicktes Eifersuchtsdrama. Die Journalistin Amy White und ihr Gatte, ein undurchsichtiger US-amerikanischer Geschäftsmann, bieten sich ihm als Verdächtige geradezu an. Gleichzeitig scheint das Militär ihn in seiner Ermittlungsarbeit zu behindern. Quinn arbeitet ihnen unfreiwillig in die Hände. Seit sein Sohn vor einem Jahr bei einem Autounfall starb, führt er einen privaten Kreuzzug gegen den unbekannten Täter. Wer ihm dabei in die Quere kommt, verfällt seinem Zorn. Schon mehrfach mussten seine Vorgesetzten Quinns Übergriffe vertuschen. Seine Ehe mit der Ärztin Mae ging in die Brüche. Quinn ist ein Mann, der nichts mehr zu verlieren hat und dem nur sein kriminalistischer Eifer am Leben hält. Genau das macht ihn für die Drahtzieher hinter dem Smith-Mord unberechenbar und deshalb gefährlich. Quinn muss verschwinden, und bis das arrangiert werden kann, müssen zumindest alle sterben, die ihm helfen könnten auf die richtige Spur zu kommen.
Für Quinn wird es eng. Wem kann er noch trauen? Seine Vorgesetzten werfen ihm Knüppel zwischen die Beine, er wird beschattet. Verdächtig macht sich sogar Mae, während die Zahl der Mordopfer in den überfüllten Straßen von Kairo steigt und Rommel immer näher kommt...
Musterbeispiel eines Historienkrimis
Eine nordafrikanische Stadt als Hexenkessel im Angesicht der Bedrohung durch die Nazis? Überforderte Beamte, undurchsichtige Machtverhältnisse, Spione, Schieber, verzweifelte Flüchtlinge aus allen europäischen Ländern, Kollaborateure, dazwischen ein ehrenwerten Mann, der zwischen allen Parteien steht und privat in eine komplizierte Liebesgeschichte verstrickt ist? Ist dies nicht die Geschichte, die uns vor mehr als sechs Jahrzehnten in einem Film namens "Casablanca" erzählt wurde?
Damit täte man Tom Bradby und seinem famosen Werk Unrecht. Dennoch sind die Parallelen vorhanden. Vermutlich liegt die Erklärung darin, dass die Macher von "Casablanca" die zeitgenössische Situation sehr gut erfasst und in einprägsame Bilder verwandelt haben. Eben dieses Kunststück gelingt auch Bradby - und es ist kein leichtes, wie die fleißige Lektüre von Historienromanen mit Krimihandlung belegt. "Der Gott der Dunkelheit" ist als Buch wie "Casablanca" als Film ein Meisterwerk. Was bei nüchterner Betrachtung als bloße Unterhaltung klassifiziert werden mag, verwandelt sich tatsächlich in ein vielschichtiges Drama, das sich als Thriller ebenso bewährt wie als Zeitpanorama oder melancholische Liebesgeschichte. Bradby reiht Klischee an Klischee, doch unter seiner Feder entsteht daraus eine mitreißende Geschichte, die über die gesamte Distanz trägt.
Da ist die schier stupende Kenntnis eines Ortes, der so längst nicht mehr existiert. Bradby ist in das Kairo des Jahres 1942 eingetaucht, so gut es die historischen Quellen gestatteten. Anders als so viele schreibende Kollegen präsentiert er nicht stolz das, was er dabei zu Tage gefördert hat, und produziert leer laufende, langweilige Historienbilder, sondern ordnet die Ergebnisse seiner Nachforschungen jederzeit strikt seiner Story unter. Das Kairo der Kriegsjahre entsteht vor unserem geistigen Auge, doch das geschieht quasi nebenbei, während mit atemberaubenden Tempo die Handlung ihren Lauf nimmt.
Fern hält sich der Verfasser jener aufdringlichen Fraternisierung mit den "Eingeborenen", welche die Lektüre vieler Historienromane bitter werden lässt. Hier gibt es keine "Achmeds" oder "Abdullahs", die treuherzig und radebrechend, die dicke Gattin und fünfzehn Kinderlein im Hintergrund, den europäischen Helden durch die Gettos von Kairos führen und für humorvoll gemeinte Pausen im Geschehen sorgen. Bradby verharrt in der Außenseiterrolle: In "seinem" Kairo sind und bleiben die Europäer Fremde. Sie verstehen den Alltag dort nicht wirklich, der ihnen hart und grausam vorkommt, ohne dass sie freilich etwas dagegen unternähmen: Die Ägypter sind vor allem Mittel zum Zweck. Dies sind sie gewohnt, sie nehmen es in der Regel hin, dass man sie fremd regiert und ihre Bodenschätze in einem Krieg verheizt, den sie nicht angezettelt haben. Deshalb ist es ihnen letztlich egal, ob die Briten oder die Nazis herrschen: Es kann nur besser werden.
Ein Thriller widersteht lockenden Klischees
In diesem Zusammenhang ein weiterer Pluspunkt: Obwohl "Der Gott der Dunkelheit" in Kairo spielt und im Titel auf eine altägyptische Gottheit anspielt, gefällt dieser Roman durch den absoluten Verzicht auf pharaonenhörige Munkelorden, Verfolgungsjagden durch mumiengespickte Grabmäler oder ähnliche Vordergründigkeiten, die der Schauplatz so nahe legt. Solche Möchtegernrätsel aus uralter Zeit haben mit der Geschichte, die hier erzählt wird, nicht zu tun. Sie werden deshalb nicht einmal zitiert, um auf billige Weise Gruselspannung zu schinden.
"Der Gott der Dunkelheit" ist ein "moderner" Roman, obwohl er im II. Weltkrieg und in unmittelbarer Frontnähe spielt. Dennoch spielt das eigentliche Kriegsgeschehen keine Rolle bzw. beschränkt sich auf das nächtliche Durchfliegen einiger feindlicher Bomber. Die militärische Bedrohung durch Rommel ist nur insofern wichtig, als sie Kairo in einen Hexenkessel verwandelt, den Bradby für seine Geschichte benötigt. Schon wenige Tage später würde diese so nicht mehr funktionieren; das Scheitern Rommels ließ den Druck aus besagtem Kessel entweichen. Der Tanz auf dem Vulkan zwischen zwei Fronten und die daraus resultierende Unsicherheit, ob es so etwas wie eine Zukunft gibt, sorgt für eine atemlose Stimmung, die zusätzliche Ungewissheit aus dem allmählichen Zusammenbruch von Recht und Regeln ziehen kann.
"Gut" und "Böse" als Grenzen einer Grauzone
Selten zittern wir Thrillerleser um einen Helden, der sich als solcher Kotzbrocken erweist wie Joe Quinn. Seine Tätigkeit als Polizist ihm weniger Arbeit als Jagd; Quinn verfolgt Verbrechen mit erschreckend manischer Energie, die bereits zum Tod eines Verdächtigen führte. Auch in der Gegenwart des Romans muss sein Kollege und Freund Effat ihn hindern, einen wehrlosen Mann in blindem Zorn umzubringen. Einen Großteil seiner Arbeitszeit investiert Quinn ohnehin in die Verfolgung des Autofahrers, der seinen Sohn überfuhr. Welche Gesetze er dabei bricht, kümmert ihn nicht. Seiner Frau, die den Neuanfang versucht, wirft er vor das tote Kind zu vergessen. Quinn rast in seinem Zorn und ist blind für das Unheil, das er bei seinem Wüten über sich heraufbeschwört. Noch schlimmer: Auch seine Freunde, die sich weiterhin schützend vor sich stellen, werden in den Strudel gerissen. Quinn merkt es nicht oder es ist ihm gleichgültig. Aber Bradby hat noch genug vom "alten" Quinn, einem durchaus liebenswerten Zeitgenossen, in dem gequälten Mann überleben lassen. Er lässt es immer wieder durchscheinen und schafft etwas Bemerkenswertes: eine wirklich ambivalente Figur, die weder Held noch Bösewicht, sondern ein unglücklicher Mensch ist.
"Ambivalenz" ist ohnehin ein passendes Wort, wenn man die Figuren dieses Romans charakterisieren möchte. Wem kann man trauen, wem muss man misstrauen? Bradby gelingt es hervorragend, dass die Beantwortung dieser beiden Fragen seine Leser zögern lässt. Klar konturiert er seine Figuren, stellt sie uns so vor, dass es anscheinend keine dunklen Flecken im Lebenslauf gibt. Doch solche Menschen, so erfahren wir rasch, gibt es vor allem in Kriegszeiten nicht. So wie Quinn ein Gezeichneter und Getriebener ist, geben sich die Männer und Frauen in seiner Umgebung unter Druck als Verräter, Diebe oder Mörder zu erkennen. Aber Vorsicht: Auch der zweite Blick kann trügen, hinter dem Verräter, Dieb oder Mörder ein armer Teufel zum Vorschein kommen, der oder die von größeren, härteren Hintergrundmächten zum Verbrechen gezwungen wurde. Bradby schafft es, uns bis ins Finale im Unklaren zu halten, wer letztlich wirklich Täter und wer Opfer ist. Dabei leistet er sich sogar den Luxus und spielt fair: Die Indizien, welche die wahren Täter verraten, liegen uns vor. Sie gehen unter in dem Gewirr ähnlicher Hinweise - ein verfasserliches Vorgehen, das wiederum legitim ist, weil es zur verwirrenden Unterhaltung des begeisterten Lesers beiträgt.
Tom Bradby, Heyne
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