Die Bibliothek des Alchimisten
- Heyne
- Erschienen: Januar 2006
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- New York: Penguin Press, 2005, Titel: 'The Geographer’s Library', Seiten: 374, Originalsprache
- München: Heyne, 2006, Seiten: 544, Übersetzt: Birgit Moosmüller
- München: Heyne, 2007, Seiten: 541
Leichenreiche Jagd nach dem ewigen Leben
Im Jahre des Herrn 1154 schickt Roger II., der wissenschaftlich stark interessierte König von Sizilien, seinen Geografen al-Idrisi auf eine heikle Mission: Der arabische Gelehrte soll eine Karte der bekannten Welt zeichnen. Roger hat den richtigen Mann für diese Aufgabe gefunden. Al-Idrisi gilt nicht grundlos als genialer Forscher und brillanter Kartograph. Der König bot seinem Gast sämtliche Möglichkeiten zur Forschung. Al-Idrisi dankte es seinem Herrn mit bemerkenswerten Entdeckungen. Die Begeisterung des Arabers über den aktuellen Auftrag hält sich freilich in Grenzen. Seine Reise ist höchst gefährlich und wird ihn viele Jahre seinem Labor fernhalten.
Außerdem sind da bestimmte Experimente, über die al-Idrisi lieber schweigt. Er betätigt sich auch als Alchemist, was ihn als Magier verdächtigt machen und die gefährliche Aufmerksamkeit der Kirche wecken könnte. So hat er ein Rezept entdeckt, das sein Leben weit über das übliche Maß verlängert. Hinweise darauf geben einige Instrumente und Artefakte, die in al-Idrisis Labor zurückblieben. Dort hat sich der Dieb Omar Iblis seine Abwesenheit zu Nutze gemacht, ist in sein Labor eingebrochen und hat die unersetzlichen Objekte gestohlen. Sie werden im Laufe der nächsten Jahrhunderte vor allem in die Weiten der späteren UdSSR zerstreut.
Al-Idrisi hatte einige Alchemistenkollegen in sein Geheimnis eingeweiht. Diese gründeten einen Bund, den sie seiner Bewahrung weihten. Skrupellose Männer trugen das Verlorene wieder zusammen. Der letzte Hüter erwies sich als Verräter, was einen erbitterten Kampf im Verborgenen ausgelöst hat: Die Alchemisten wollen ihren Schatz zurück — um wirklich jeden Preis!
Von alledem ahnt der junge Paul Tomm gar nichts. Er arbeitet als Journalist für eine kleine Wochenzeitschrift, die im Städtchen Lincoln im neuenglischen US-Staat Connecticut über die alltäglichen Vorfälle in einem recht verschlafenen Ort berichtet. In dieses Muster passt Tomms aktuelle Recherche: Er soll einen Nachruf für den just verblichenen Jaan Pühapäev schreiben, der an der Universität im nahen Wickenden sehr unauffällig als Linguist und Professor für baltische Geschichte tätig gewesen ist. Tomms Interesse erwacht, als er herausfindet, dass Pühapäev weit mehr war als ein weltfremder Bücherwurm. Offenbar gehört er einem Orden oder einer Sekte an, die (s. o.) nach gewissen Objekten fahndet. Paul gerät den Alchemisten in die Quere, aber was zunächst wie die Story seines Lebens aussieht, droht ihn bald genau jenes zu kosten...
(Randbemerkung: Sage ich zu viel über die Handlung. Nun, meine Idee war es nicht, dieses Buch im Deutschen "Die Bibliothek des Alchemisten" zu nennen und damit bereits im Titel zu verraten, wer hinter dem mysteriösen Geschehen steckt...)
Worum geht's hier eigentlich?
Ein dunkles Geheimnis aus ferner Vergangenheit wirft in der Gegenwart bedrohliche Schatten: Auf diese wenigen Worte lässt sich der Plot von "Die Bibliothek des Alchemisten" reduzieren. Geht man von der alten Hollywood-Weisheit aus, dass sich eine richtig gute Story auf der Rückseite einer Streichholzschachtel skizzieren lassen muss, darf man zwar nichts Neues aber trotzdem Großes = Spannendes von diesem Roman erwarten.
Es setzt auch erfreulich wenn auch gemächlich ein. "Die Bibliothek..." startet zwei Handlungsstränge, die zunächst nichts miteinander zu tun haben — die kommentierte Geschichte diverser Gegenstände aus al-Idrisis Labor sowie der Bericht von Paul Tomm, der von einem autobiografischen Abriss mit zahlreichen "coming of age"-Elementen langsam (sehr langsam) in eine Thriller-Handlung übergeht. Allmählich kristallisieren sich diverse Zusammenhänge zwischen Vergangenheit und Gegenwart heraus; Verfasser Fasman weiß hier geschickt die Spannung zu schüren, indem er jedem Artefakt eine "Karteikarte" zuordnet, die es als Museumsobjekt zu beschreiben scheint. Entscheidende Episoden aus der Historie der Stücke werden erzählt; sie enthüllen eine endlose Kette von Gräueltaten, die im Laufe von Jahrhunderten um ihren Besitz begangen werden. Diese Rückblicke bleiben unkommentiert. Wer schreibt sie, was ist der Grund? Es bleibt offen, der Leser muss sich selbst einen Reim darauf machen.
Die eigentliche Handlung ist ihm keine große Hilfe. Während Fasman die historischen Vignetten sehr gut gelingen, geht ihm im Paul-Tomm-Strang die Puste aus. Er kommt einfach nicht auf den Punkt. Mehr als 100 Seiten vergehen, ehe überhaupt etwas geschieht, das den Thriller andeutet. Leider wird das nicht besser, sondern geht ebenso behäbig weiter. Fasman scheint lieber vom Alltag eines jungen Mannes — sein alter ego? — zu erzählen, der nach seinem Platz in dieser Welt sucht. Die entsprechenden Fragen mögen ihn, der noch recht jung ist (Jahrgang 1975), stark beschäftigen, doch im Rahmen eines Thrillers drücken sie in dieser epischen Breite auf Tempo und Spannung. Fasman hätte lieber den Handlungsmotor mit mehr Hirnschmalz schmieren sollen: Als es endlich ein wenig lebhafter wird, wirken die Thrillerelemente hausbacken und ungelenk.
Die meisten alchemistischen Artefakte tauchen in der historischen UdSSR bzw. in deren Nachfolgestaaten auf. Das ist kein Zufall, sondern lässt sich mit Fasmans Biografie erklären; der Autor hat einige Jahre in Moskau gelebt und gearbeitet und dort auch "Die Bibliothek..." geschrieben. Als Journalist steht er in den Passagen, die in allerlei exotischen Winkeln des versunkenen Sowjetreiches spielen, auf spürbar sicherem Boden. Hier bietet der Roman eine Qualität, die man in der Haupthandlung schmerzlich vermisst.
Als das Rätsel des Alchemisten endlich gelüftet wird, ist das Interesse an diesem Roman fast erloschen. Das letzte Kapitel schreibt Hannah Rowe — es gibt da noch eine ganze Reihe von offenen Fragen, die abschließend zu klären sind: Kein gutes Zeichen, wenn solche Erklärungen einem Roman quasi angeklebt werden. Als Leser ist man bei der Lektüre geblieben, weil man nach vielen Stunden noch wissen will, wie es ausgeht, und weil Fasman anders als allzu viele "Schriftsteller", welche den aktuell so beliebten "Da-Vinci-Code"-Quark in den Buchläden der Welt breit treten, immerhin schreiben kann. Damit hievt der Autor sein Werk jedoch nur auf Mittelmaß: Zufriedenheit und Enttäuschung halten sich mühsam die Waage. Fasman hat sich viel vorgenommen aber nur wenig erreicht.
Der Stein der Weisen, gesucht von Trotteln
Über Paul Tomm wurde bereits weiter oben geklagt. Dies ließe sich hier fortsetzen. Ihr Rezensent bittet Sie allerdings ihm dies zu erlassen und zu glauben, dass Mr. Fasman die Schaffung eines jungen, unerfahrenen Charakters allzu gut gelungen aber Paul als glaubhafter als Handlungsträger kaum tauglich ist. Auch sonst treten nur Chargen auf, die mit viel Klischeewolle gestopft wurden. Väterlicher Freund des Helden, kantiger Bulle mit Herz aus Gold, schwarzhumoriger Pathologe, weltfremder Universitätsdozent... Sie alle sind fest verankert in der modernen Unterhaltung, sollten jedoch nicht so eindimensional daherkommen wie hier.
Wieso sich Hannah in Paul "verliebt", wird uns nachträglich aufdringlich erläutert. Zu ihrem Glück ist das Opfer keine Leuchte, denn als Agentin taugt Hannah ganz sicher nicht. Damit der Leser merkt, dass sie verdächtig ist, lässt Fasman sie etwa so diskret handeln wie Mata Hari in einem Stummfilm der 1920er Jahre. Dass mit der guten Hannah Rowe, die sich so bereitwillig ins Pauls Bett ziehen lässt, etwas faul ist, merkt so, wie Fasman an die Sache herangeht, selbst der inzwischen schläfrig gewordene Leser. Nur der gute Paul ist wie gesagt mit einer Blindheit geschlagen, die man ihm gern durch einen kräftigen Tritt in den Hintern austreiben möchte. Neu-England muss ein Ort sein, der dem menschlichen Verstand nicht sehr zuträglich ist...
Die Alchemisten-Schurken in unserem Spektakel konzentrieren sich glücklicherweise auf ihren Job. Sie suchen und killen und treten primär in den Rückblenden auf. Das bekommt ihnen gut, denn sie müssen nicht hilflos im Sumpf der fasmanschen Trivialcharakterisierungen versinken. Erst im großen Finale — das sich auf eine lächerliche Prügelei und umständliches Geschwätz beschränkt — kommt der Chefgauner aus seinem Loch. Er enthüllt einen Masterplan, über dessen "Sinn" man lieber nicht nachdenken sollte, weil man sich sonst nachträglich ärgern würde, diesem Roman so viele Stunden gewidmet zu haben, und entfernt sich zwecks weiterer Spinntrigen (aber hoffentlich nicht in Vorbereitung einer Fortsetzung!) in die weite Welt.
Jon Fasman, Heyne
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