Die Bestie

  • Fischer
  • Erschienen: Januar 2006
  • 15
  • Stockholm: Piratförlaget, 2004, Titel: 'Odjuret', Originalsprache
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2006, Seiten: 304, Übersetzt: Gabriele Haefs
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2008, Seiten: 304
Die Bestie
Die Bestie
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Lars Schafft
49°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2006

Ein heißes Eisen - hart wie Knäckebrot

Ein heißes Eisen. Keine Frage. Der Erstling der beiden Schweden Roslund & Hellström ist nicht nur ein Skandalbuch, das den Leser mit brennenden, ungemütlichen aber auch unbeantworteten Fragen zurücklässt, sondern auch - zumindest auf den ersten Blick - ein Kriminalroman, der immerhin mit dem Nordischen Krimipreis ausgezeichnet worden ist. Tatsächlich ist Die Bestie etwas Außergewöhnliches aus dem skandinavischen Raum. Aber nein. Zum richtig guten Roman fehlt es an zu vielen Stellen an Tiefgang und handwerklichen Fähigkeiten.

Bernt Lunt, ein Pädophiler, bringt brutal zwei junge Mädchen um. Jahre danach entkommt er aus dem Gefängnis und gibt seinem erneuten Drang zu Töten nach. In Schweden bricht eine Hysterie aus und Fredrik Steffanson, Vater der von Lunt ermordeten Marie, begibt sich auf einen Rachefeldzug, der am Grundgerüst der westlichen Rechtsauffassung rütteln wird.

Climax hier, Action da - unharmonisch, spannungslos 

Spannend ist der ganze Plot nicht, ist doch von Anfang an (und aufgrund des Klappentextes)  klar, was passieren wird. Lediglich das Finale kann für die ein oder andere Überraschung sorgen, dennoch tut dieser Part dem Buch gar nicht gut. Der Schluss ist so übertrieben mit Climax hier, Action da, das er sich so gar nicht an den Rest harmonisch anfügen will. 

Aber um besagte Spannung geht es den beiden Autoren, von denen der eine selbst über Knasterfahrung verfügt, auch gar nicht. Ganz offensichtlich wollen Roslund & Hellström aufrütteln und - um es zugespitzt zu formulieren - die Doppelzüngigkeit einer Gesellschaft bloßstellen. Das funktioniert zu Anfang ganz prächtig, haben wir da vielleicht eine Art schwedischen Noir in der Hand? Ellroy im IKEA-Land?

Doch je weiter der Leser auf den rund 300 Seiten kommt, desto mehr bekommt er den Eindruck, dass Roslund & Hellström einfach zu viel in "Die Bestie" gepackt haben. Als ob die Schilderung des Gedankenlebens eines Kindermörders nicht genug wäre. Nein, es geht noch um Selbst- und Lynchjustiz (schrecklich verallgemeinert durch eine recht überflüssige Nebenhandlung), die Rolle der Medien (die in einer funktionierenden Demokratie auch gerne als die 4. Gewalt bezeichnet werden), die Verhältnisse in einem schwedischen Gefängnis und schließlich auch darum, ob es überhaupt eine Heilung für Kindermörder wie besagten Bernt Lunt geben kann. Dass die beiden Autoren letzteres faktisch verneinen und beängstigend an Ex-Kanzler Gerhard Schröders Aussage ("Wegsperren!") erinnern, muss erschrecken. Führt man diese implizit im Buch gestellten Fragen weiter, bleibt nur eine übrig: Todesstrafe? 

Dass sich der Leser dabei ertappt, diese in diesem Fall zu befürworten, sollte mehr als stutzig machen. Und genau das ist der Knackpunkt an Die Bestie. Kann eine solche Schlussfolgerung Sinn und Zweck eines Kriminalromans sein?

Hier fehlt die Substanz

Aber Vorsicht mit dem Begriff Kriminalroman. Was das betrifft, hadert man vor allem mit einem: Wo bleibt die Selbstreflexion der Figuren? Warum wurde Bernt Lunt zum Kindermörder? Was geht in einem Vater vor, dem seine Tochter genommen wird? (Als Leser ist man geneigt zu meinen, dies gelesen zu haben. Beim genaueren Hinsehen hat man es nur gedacht)

Ist es tatsächlich so, dass ein friedlicher, fast apathischer Mann innerhalb von Stunden zum Scharfschützen wird, der einen Menschen kaltblütig über den Haufen schießt? So, als ob nur ein Schalter umgelegt worden wäre? Warum ist der Kommissar so verflixt grummelig? Weil er seit Jahren im Polizeidienst arbeitet? Nein, liebe Autoren, das kann es doch wirklich nicht sein. Da fehlt einfach jede Menge Substanz, was die Figurenzeichnung angeht.

Last but not least können Roslund & Hellström auch sprachlich nicht überzeugen. Kühl, uninspiriert, trocken und hart wie Knäckebrot wirkt das alles, leider ohne dabei die knackige Kälte und Härte von Ellroy, Peace & Co. zu erreichen. Seitenlange Verhörungsprotokolle töten dabei jeden Thrill.

Eins ist bestens gelungen: der Titel 

Unterm Strich ist Die Bestie also ein zweischneidiges Schwert. Wollten die Autoren aufrütteln und die tiefsten Abgründe einer Gesellschaft in den Vordergrund stellen, den Leser zum Nachdenken drängen, ist ihnen das zweifellos hervorragend gelungen. Nur haben sie dafür gefährliche Antworten nahe gelegt und zudem die falsche Form gewählt. Als Roman betrachtet, ist Die Bestie ein unfertiges Werk, das für diese Thematik gut und gerne 200 Seiten mehr bedürft hätte. Eins ist Roslund & Hellström aber doch formidabel gelungen: der Titel. Die Frage, wer aus dem Buch damit denn nun gemeint sein könnte, ist eine wirklich gute.

Die Bestie

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