Schatten des Wahns

  • Kiepenheuer & Witsch
  • Erschienen: Januar 2006
  • 11
  • Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2006, Seiten: 394, Originalsprache
  • Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2007, Seiten: 396, Originalsprache
Wertung wird geladen
Thomas Harbach
1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2006

Eine intime Reise ins eigene Ich

Mit Schatten des Wahns legt Christian von Ditfurth seinen dritten Stachelmann Roman vor. Von Fällen zu sprechen, ist angesichts der jeweiligen Prämissen schon schwieriger, denn der von Rheuma gebeutelte Historiker Stachelmann begegnet zumindest in zwei dieser drei deutsche Geschichte wieder spiegelnden Büchern in erster Linie seiner eigenen Vergangenheit oder wird durch einen persönlichen, erotischen Fehltritt in das Geschehen einbezogen.

Nach der Aufarbeitung des Schicksals einer jüdischen Familie während der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft in Hamburg und einer daraus folgenden späten Rache an einer Familie der besseren Gesellschaft im ersten Band Mann ohne Makel setzte sich Christian von Ditfurth mit der deutsch- deutschen Fluchthelfersituation vor und nach der Wende in Mit Blindheit geschlagen auseinander. Im Grunde plaziert er mit den Studentenunruhen Ende der siebziger Jahre in und um Heidelberg den dritten Band historisch zwischen diese beiden Romane, in Bezug auf seinen mehr und mehr dreidimensionaler und charakterlich abgerundeter dargestellten ein wenig exzentrischen Stachelmann betritt er allerdings Neuland. Es ist auf der einen Seite eine intimere Geschichte, Stachelmann setzt sich mit seiner eigenen Jugend, seiner Zeit als Student auseinander, auf der anderen Seite die Geschichte eines Mordes und eines vielleicht daraus folgenden Selbstmordes.

Sein Freund Ossi ist tot. Der Oberkommissar Oskar Winter von der Hamburger Kripo wird über seinen Schreibtisch zusammengebrochen in seiner Wohnung gefunden. Sein Kopf ruht auf einem alten Aktenordner mit Ausschnitten von Zeitschriften, Bildern und Protokollen aus den siebziger Jahren. Aus Heidelberg, dem Herz der studentischen Unruhen. Die Akte berichtet von einem nicht aufgeklärten Mord an einem jungen Studenten. Dieser fand auf dem Gelände einer alten Nazistätte statt. Damals schottete sich die Revolution gegen die faschistischen und kapitalistischen Elemente ab. Zu dieser Zeit hat Stachelmann Ossi Winter kennen gelernt, zu dieser Zeit hat Stachelmann auch in Heidelberg studiert und zumindest einen Augenblick mit Blindheit geschlagen als den Traum eines Arbeiterparadieses geglaubt.

Ossi Winter ist zu diesem Zeitpunkt sein Freund geworden, bis sich ihre Spuren verloren haben. Hat dieses ungeklärte Verbrechen über die Zeit hinaus nach seinem Freund gegriffen. Die Behörden wollen schnell die Akten schließen, Selbstmord. Nur Stachelmann glaubt nicht zuletzt aufgrund der Perfektion des Selbstmordes mit zwei getrennt eingenommenen, an sich tödlichen Medikamenten an diese These. Zusammen mit Ossis Freundin, einer Polizistin, beginnt er seine Recherchen, nichts ahnend, dass sich mit rasanter Geschwindigkeit Vergangenheit und Gegenwart rasant aufeinander zu bewegen und schnell auch sein Leben bedrohen.

In seinem ersten Krimi untersuchte Christian von Ditfurth ganz bewusst mehr das "Warum" einer historischen Entwicklung und ließ - im Gegensatz zum üblichen Krimiklischee - keinen Zweifel von Beginn an, wer der Täter ist. In Mit Blindheit geschlagen versteckte er sowohl Täter als auch Motiv über weite Strecken des Romans und hat so einen fesselnden modernen, doch gleichzeitig historischen Krimi geschaffen. Schatten des Wahns folgt dieser Bahn, wenn auch Christian von Ditfurth sich in diesem dritten Buch ein wenig in die Enge geschrieben hat. So legt er - um seinen Plot aufzuklären - an einer Stelle des Romans nicht nur eine falsche Spur, was für einen Autoren erlaubt ist, er lässt Stachelmann in einer Unterhaltung mit einem Dritten seine Leser anlügen und schildert ganz bewusst subjektiv eine Szene gänzlich anders.

Diese nicht unbedingt literarisch feine Zuflucht ist nötig, um schließlich für den Täter ein Motiv zu schaffen, das in der Gesamtbetrachtung des Romans zu oberflächlich und eher an den Haaren herbeigezogen ist. In einem starken Kontrast zum schwachen, aber in dieser Konstellation aus persönlicher und kriminaltechnischer Hinsicht notwendigen Ende steht die eigentliche Ermittlungsarbeit Stachelmanns. Von Ditfurths Stärke ist nicht nur sein historischer Hintergrund, sondern seine persönlichen Erfahrungen. Er hat sich nicht nur mit dem schrecklichen Phänomen des Nationalsozialismus auseinandergesetzt, sondern sich insbesondere zu seiner Studentenzeit auch dem Sozialismus/ Kommunismus zugewandt. Diese positiven wie negativen Erfahrungen integriert er in die ansonsten sehr geradlinige Kriminalhandlung.

Es gelingt ihm, die unruhige Zeit der siebziger Jahre mit den Studentenunruhen und der oft hysterischen Reaktion des Establishments farbenprächtig, authentisch und überzeugend zum Leben zu erwecken. Mit kleinen Details und vielen Hintergrundinformationen versehen wird dem Leser diese Welt allerdings durch die Augen des inzwischen "müden", angepassten Stachelmanns vorgeführt. Dadurch schafft er eine notwendige Distanz. Aus den Aufzeichnungen und einigen persönlichen Gesprächen strahlt noch eine fanatische Aufbruchstimmung, eine Verblendung der ungeformten Persönlichkeiten auf den Leser über, die meisten der von Stachelmann geführten Gespräche mit ehemaligen Mitstudenten, Freunden und "Zeitzeugen" verdeutlichen den Augenblick, in dem alles möglich gewesen wäre, aber wenig wirklich umgesetzt worden ist. Entweder trifft er auf gescheiterte, in der Vergangenheit lebende Existenzen am Rande unserer Gesellschaft oder auf die etablierten, die es in ihren Berufen wie Arzt oder Rechtsanwalt geschafft haben und denen die Recherche eines inzwischen in Vergessenheit geratenen Verbrechens nicht gelegen kommt. Aber mehrmals betont Stachelmann, dass Mord niemals verjährt.

Am Ende dieser sehr schwierigen, aber schließlich erfolgreichen Aufklärung steht Stachelmann mit leeren Händen dar. Es sind diese Momente, in denen Christian von Ditfurth seinen Protagonisten als Verlierer zeichnet, die das Buch beleben. Dabei könnte es sich der Querkopf Stachelmann sehr viel einfacher machen. Er müsste seine Promotion fertig stellen und abgeben, könnte an der Hamburger Universität weiter unterrichten und mit Anne zusammenleben. Sie möchte ein weiteres Kind, er möchte Junggeselle bleiben und dennoch geliebt werden. In diesem dritten Buch zeichnet von Ditfurth Stachelmann im Grunde als Außenseiter der Gesellschaft, isoliert in seinem eher kontaktfreudigen Beruf, in der Vergangenheit gefangen und selten in der Lage, wirkliche Freunde zu empfinden. Auf emotionaler Ebene fast nicht lebensfähig, immer wieder unterstützt und behütet von Anna, die ihn liebt und die er immer wieder verletzt.

Etwas unrealistisch wirkt die stetige Tendenz, diesen oft waidwund erscheinenden nicht sonderlich hübschen oder über weite Strecken des Buches wirklich sympathischen Charakter immer neue Affären mit attraktiven Frauen auf den stattlichen Leib zu schreiben. In Mit Blindheit geschlagen kostet ihn eine solche Affäre nicht nur Anne Vertrauen, sondern fast sein Leben. Anne verzeiht ihm. Im vorliegenden Roman sind es zwei Frauen, denen er begegnet und die ihn in seinen Bann ziehen. Unwillkürlich hat der Leser das Gefühl, hier versucht der Autor seine ansonsten dreidimensionale, wenn auch nicht einfache Figur mit zu viel Leben auszustatten. Das wirkt auf die Dauer unrealistisch und Christian von Ditfurth täte gut daran, dieses Konzept für den vierten in Arbeit befindlichen Stachelmann aufzugeben. Im Zuge einer stetigen Wiederholung droht aus unrealistisch irgendwann langweilig zu werden.

Auf der anderen Seite ist Stachelmann eine Art Resonanzbrett deutscher Geschichte. Nicht zuletzt aufgrund der Mischung aus persönlicher Erfahrung und wissenschaftlicher Forschung klärt er im Zuge seiner Ermittlungen dieser Leser über einzelne Eckpunkte unserer Geschichte auf. Die Stärke Stachelmanns ist, dass er seine Leser nicht belehren oder gar bevormunden will. Der Leser verfolgt, wie er sich selbst an einzelne Details zu erinnern beginnt, andere Puzzlestücke aus den Archiven deutschen Zeitungen hinzufügt und schließlich in der persönlichen Begegnung das Bild abrunden kann. Das diese Ermittlung schließlich in einer Art persönlichem Vakuum endet, wird zu einem sehr passenden Bild dieser kurzlebigen revolutionären Bewegung.

Schatten des Wahns ist ein über weite Strecken sehr spannender Krimi, eine intimen Reise ins eigene Ich, in die eigene Vergangenheit zeigt er in seinem Protagonisten gleichzeitig die Furcht vor zukünftigen Veränderungen auf und eine fast masochistische Tendenz, diesen notwendigen Veränderungen zu entfliehen. Wie in seinen anderen Büchern gelingt dem Autoren ein lebendiges Portrait einer historischen Episode neuerer deutscher Geschichte, eingehüllt in eine geradlinige, wenn auch nicht immer schlüssige Kriminalhandlung.

Die oft ein wenig hölzern klingenden Dialoge seiner vorangegangenen Romane ersetzt er durch lebendige Zwiegespräche, die Charakterisierung insbesondere der Nebenfiguren ist überzeugend und vielfältig. Mit sichtlichem Vergnügen lässt der Autor revolutionäre Gedanken zwischen Windeln und Schnapsflasche in einer verwahrlosten Küche von einer ungepflegten jetzigen sowie allein gelassenen Mutter und ehemaligen Mitstudentin rezitieren. Die Revolution hat ihre Kinder gefressen, setzt aber fast eine Generation später immer noch Emotionen in seinen Figuren frei. Wie schwierig dieses Thema auch heute noch sein kann, zeigt der Autor eher unfreiwillig am Ende seines Buches auf. Diese Veränderungen werden aus Gefühlen heraus geboren und enden im Hass.

Schatten des Wahns

Christian von Ditfurth, Kiepenheuer & Witsch

Schatten des Wahns

Deine Meinung zu »Schatten des Wahns«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren