Großstadtsumpf
- Gmeiner
- Erschienen: Januar 2006
- 0
- Meßkirch: Gmeiner, 2006, Seiten: 275, Originalsprache
- Daun: TechniSat Digital, Radioropa Hörbuch, 2008, Seiten: 1, Übersetzt: Andreas Herrler, Bemerkung: MP3
Kurz und nachhaltig mit der Hoffnung auf viele Leser
Als am Deininger Weiher südlich von München die Leiche der Journalistin Sandra Labitzke gefunden wird, nackt, missbraucht und mit herausgeschnittener Zunge, scheint der Täter schnell gefunden. Alexander Muthlein, 37 Jahre, wurde bereits in der Vergangenheit wiederholt wegen sexueller Belästigung mehrerer Frauen vernommen, konnte aber dank seiner Mutter immer ein Alibi vorweisen. Dabei fesselte Muthlein seine früheren Opfer, die er allerdings nie missbrauchte oder tötete, mit einem bestimmten Seemannsknoten, den die ermittelnden Beamten Bruno Brandi und Sandra Sperling auch bei der toten Journalistin vorfanden. Kurz darauf verschwindet Muthlein, der für die Belarus-Gruppe arbeitet, ein Unternehmen, das Frauen aus Osteuropa, bevorzugt aus Weißrussland, nach Deutschland holt. Wenig später finden die Beamten Muthlein erschossen in seinem PKW. Doch Brandi bezweifelt, dass es sich um einen Selbstmord handelt, da dieser zu perfekt, zu einfach den Fall lösen würde.
Es stellt sich heraus, dass Sabine Labitzke an einer großen Enthüllungsgeschichte aus dem Münchener Rotlichtmilieu gearbeitet hat. Bei der Wohnungsdurchsuchung Labitzkes ergibt sich weiter, dass sowohl ihr PC wie auch andere Unterlagen verschwunden sind. Dafür findet Brandi eine Notiz, wonach Labitzke einen Termin mit dem Chef des Bordells "Pleasure Club", Erwin Feichtmeyer, am nächsten Tag hat. Aber Brandi und Sperling kommen zu spät. Sie finden Feichtmeyer eingesperrt und verbrannt in dessen auf Hochtouren laufender Dampfsauna.
Offensichtlich stehen größere Mächte hinter den Geschehnissen, die mit allen Mitteln versuchen, die Untersuchungen im Rotlichtmilieu zu verhindern. Schließlich geht es um Millionen schwere Geschäfte. Zudem ergeben die DNA-Analysen, dass Muthlein nicht der Mörder von Labitzke war. Die Ermittlungen beginnen also wieder von vorne und im Fokus der Ermittler steht erneut die Belarus-Gruppe, welche kurzerhand den "Pleasure Club" übernommen hat um nach eigenen Angaben "zu expandieren"...
Leo Valdorfs Debüt "Großstadtsumpf" ist ein kurzweiliger Roman, der dennoch einen immens nachhaltigen Eindruck hinterlässt, da es der Autor hervorragend versteht, einen spannenden Krimiplot mit einer realistischen Darstellung der Polizeiarbeit zu kombinieren und dies alles vor dem Hintergrund eines brandaktuellen Tabuthemas, von dem ein nicht unwesentlicher Teilaspekt vor nicht allzu langer Zeit zu einem großen politischen Skandal in Deutschland führte.
Brandi und Sperling ermitteln im Mordfall der Journalistin Labitzke, die im Münchener Rotlichtmilieu für die "ganz dicke Story" recherchierte und dabei auf einen nahezu allmächtig erscheinenden Gegner traf. Das dieser die sog. Belarus-Gruppe darstellt, welche u. a. junge Frauen aus dem osteuropäischen, vorwiegend russischen Raum nach Deutschland holt, offiziell für Bildungsreisen oder als Au-Pair-Mädchen und das sich dahinter in Wirklichkeit das Millionen schwere Geschäft der Zwangsprostitution und des Menschenhandels verbirgt, wird dem Leser zwar bald deutlich, dennoch bleibt der Spannungsbogen hinsichtlich der Auflösung der einzelnen Erzählstränge bis zum Finale erhalten. Zum einen geht es also um die klassische Frage, wer war der Mörder von Sabine Labitzke, zum anderen um die "Verständnisfrage", wie es überhaupt möglich ist, dass immer wieder zahlreiche junge Frauen in die Zwangsprostitution getrieben werden, sprich wie das Geschäft funktioniert. Zu letzter Frage wird exemplarisch das Schicksal der jungen Irina dargestellt, auf die Brandi während seiner Ermittlungen stößt. Sie scheint seine einzige Zeugin zu sein, doch die Realität ist eine andere und der Roman erspart es seinem Leser nicht, sich dieser gleich mehrmals zu stellen.
Überhaupt ist Realitätsnähe das zentrale Merkmal, der Pluspunkt dieses Buches. Die Darstellung der detailgetreuen, mitunter zutiefst frustrierenden Ermittlungstätigkeiten so wie der ebenso perfiden wie brutalen Methoden der Belarus-Gruppe sind vorzüglich umgesetzt. Auch wenn Valdorf den Weg Irinas, von einem jungen Mädchen aus armen Verhältnissen, das wie Tausende andere von einem besseren Leben träumt und deshalb bereit ist, in Deutschland als Kindermädchen zu arbeiten, hin zu einer körperlich wie sexuell misshandelten Person ohne große Lebenshoffnung, nur in grobem Zügen darstellt (die Details der Misshandlungen beispielsweise bleiben einem dankenswerter Weise weitgehend erspart), reichen schon diese Beschreibungen, um den Leser das ein oder andere Mal verstört und entsetzt beim Lesen inne halten zu lassen.
Schon bald müssen Brandi und seine Kollegin merken, dass auch sie einem kaum zu schlagenden Gegner gegenüber stehen und wer darauf hofft, dass der Autor dem Leser wenigstens ein Happy-End schenkt, der sei gewarnt. Nein, Valdorf hat offensichtlich ausgiebig recherchiert und angesichts dessen, was er dabei erfahren bzw. erlebt hat (Stichwort: "Frauenmarkt" in Brcko) bleibt kein Platz für ein versöhnliches Finale. Ganz im Gegenteil...
Schade, dass dieser Roman nicht für einige (ehemalige) Politiker zur Pflichtlektüre gemacht werden kann, obwohl, so steht es zu befürchten, sich vermutlich selbst dann nichts ändern würde. Bleibt also nur die Hoffnung, dass dieses Buch viele Leser finden wird und eine Fortsetzung mit den beiden Protagonisten bereits in Arbeit ist.
Ach ja, Herr Valdorf, zwei Kritikpunkte gäbe es denn doch noch: Sie müssen nicht tausendmal - oder war es öfter? - die Namen "Bruno Brandi" und "Laura Sperling" (die Namen sind ja ohnehin schon mehr als grenzwertig) erwähnen. Sie verfolgen den Leser ansonsten womöglich ein Leben lang und wenn künftig dann zudem noch alle Personen nicht gar so stereotyp herüber kämen, dass wäre das berühmte "I-Tüpfelchen".
Leo Valdorf, Gmeiner
Deine Meinung zu »Großstadtsumpf«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!