Der Skandal
- Erschienen: Januar 2002
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Der Dortmunder Grafit-Verlag hat sich in Deutschland einen guten Namen gemacht durch Autoren wie Berndorf, Kehrer, oder Leenders/Bay/Leenders, deren durchweg als "Regio-Krimi" zu bezeichnenden Romanserien beim deutschen Publikum gute Erfolge feiern. Mehr und mehr mausert sich der Verlag inzwischen aber auch zu einem Haus, das mit Nachdruck ausländische Autoren publiziert und hier insbesondere einen Schwerpunkt auf die Niederlande legt. Neben Thijssen, Toes oder Vis gibt nun mit Esther Verhoef eine neue Autorin aus dem Land der Deiche ihr Debüt in Deutschland. Und ihre Referenzen sind nicht schlecht: Der erste Roman Rastlos war nominiert für den "Gouden Strop", mit ihrem zweiten Roman eroberte sie zuletzt die "Diamanten Kogel" als flämischen Preis für das beste niederländische Buch.
Während die russische Mafia in den Niederlanden von gelegentlichen Überfällen eines einzelnen Mannes stark dezimiert und nebenbei um hohe Summen Schwarzgeld beraubt wird, entwickeln sich kleine Dramen in den Haushalten unbescholtener Mitbürger. Susan Staal ist als Fotografin viel unterwegs. Vor einigen Jahren hat sie Sil auf einer Reise kennen gelernt und sich in ihn verliebt. Das ganze hat einen Haken, denn Sil ist verheiratet und würde seine Frau Alice nie verlassen. Dennoch tauschen Susan und Sil seitdem regelmäßig E-Mails aus und Susan will endlich die Beziehung vertiefen. Ihr neuer Nachbar Sven scheint aber auch Gefallen an Susan zu finden.
Allein gegen die Mafia
Alice arbeitet bei der TV-Produktionsgesellschaft Programs4You und wartet seit Jahren auf ihre Chance als Moderatorin. Endlich stellt ihr Chef ihr einen solchen Posten in Aussicht, doch er weiß auch, dass Alice ihre Ehe mit Sil bei einem Job, der mit viel Reisen verbunden ist, strapazieren wird. Er nutzt die Situation und verbringt eine Nacht mit Alice, versucht sie anschließend durch ein Video zum Schweigen zu verpflichten. Doch Alice redet mit Anna, der Frau ihres Chefs und verliert darauf hin die Nerven: Sie verunglückt tödlich in ihrem Sportwagen. Etwa im gleichen Moment scheint die Mafia herausgefunden zu haben, wer die Überfälle begangen hat und schickt ihm zwei Killer auf die Fersen. Eine rastlose Jagd beginnt.
Verhoef bringt viele Ansätze, die den Leser überraschen können, denn keiner der Akteure scheint das zu sein, wonach es nach dem ersten Blick aussieht. Rastlos ist reich an Drehungen und Wendungen und lebt von einem gut durchdachten Netz sozialer Kontakte, das der Autorin reichlich Spielraum für Beziehungsgeflechte gibt. Spannende Verfolgungsjagden und detailliert geplante Raubzüge geben der Handlung die gewisse Würze.
Hart aber herzlich
Was die Autorin jedoch nicht vermitteln kann: Warum begibt sich ein einzelner Mann in einen Kampf gegen eine große Verbrecherorganisation? Woher weiß er überhaupt, wie die Organisation agiert? Und wie kann sich ein "Amateur" gegen die Profis überhaupt durchsetzen? Nun sei's drum, wir haben es mit Fiktion zu tun und die Mischung aus Rambo und Robin Hood mag ja durchaus einen gewissen Reiz für Manager mit Burn-Out-Syndrom besitzen. Die gefühlvolle Seite dieses Helden mutet in diesem Zusammenhang aber mitunter ungewollt komisch an.
Verhoef bietet mit einem guten Debüt ordentliche Unterhaltung für Krimifreunde. Der letzte Funke will dabei jedoch noch nicht überspringen, weil die Identifizierungspunkte mit dem Hauptpersonen einfach nicht stark genug sind. Zudem tut sich die Autorin mit dem Ende keinen großen Gefallen. Mit einem großen Showdown hätte sie den Roman auch gut 50 Seiten kürzer halten können. Daran gemessen führt die letzte Wendung zu einem doch eher lauen Finale. Insgesamt aber ein guter erster Auftritt einer jungen Autorin.
Das berühmt-berüchtigte spießige Kleinbürgertum lässt grüßen
Am Rande des Nordhollandkanals liegt das kleine Dorf Koedijk, in dem sich recht wenig ereignet. Entsprechend stark wird die Gerüchteküche angeschmissen als sich herum spricht, dass in das leer stehende Haus des Arztes Quack, welcher mittlerweile in Haarlem wohnt, ein ebenso berühmter wie exzentrischer französischer Maler einziehen soll. Wenig später nimmt Pablo Picasso (dass es sich um diesen Maler handelt bzw. handeln soll, erfährt der Leser übrigens nur, wenn er sich den sog. "Waschzettel" vor Beginn des Romans durchliest) eine Haushaltshilfe. Es ist Neel, die Tochter des ortsansässigen Schmiedes, die er kurze Zeit später bittet ihm Modell zu sitzen. Als der Postbote Cornelis Klaver bei einem seiner Dienstgänge vom Garten aus einen Blick in das Atelier des Malers werfen kann, sieht er, dass Neel nackt für ein Porträt posiert. Diese Neuigkeit, von Klaver verbreitet, macht natürlich sofort in dem kleinen Ort die Runde und Koedijk hat seinen handfesten Skandal, schließlich schreiben wir erst das Jahr 1905.
Als Neels Vater Muntjewerf die Gerüchte zu Ohren kommen verschafft sich dieser Zutritt zu dem Atelier, findet dort aber lediglich das Aktportrait einer fremden Frau, welches er umgehend zerstört. Neel selber ist nur auf einem Landschaftsgemälde zu sehen, da sie das Gemälde, welches sie zeigt, zuvor in einem Anbau versteckt hat. Muntjewerf ist zunächst beruhigt, droht jedoch Klaver an, ihn bei nächster Gelegenheit im Fluss zu ersäufen, sollte er weiterhin Lügen über seine Tochter in Umlauf bringen.
Wenige Wochen später zieht der Schiffer Wijnand Kops zusammen mit seinem Gehilfen Sjaak Vader eine Leiche aus dem Kanal: Cornelis Klaver wurde offensichtlich Opfer eines Gewaltverbrechens...
Ein halbes Jahr später im Januar des Jahres 1906 ist der Kanal zugefroren, so dass Wijnand nichts anderes übrig bleibt als sich irgendwie die Zeit totzuschlagen. Da er immer wieder an die von ihm entdeckte Wasserleiche denken muss, versucht er selber näheres über den Tod des Postboten in Erfahrung zu bringen. Hierbei gelingt es Gijs Ijlander in der Folgezeit ein eindrucksvolles und detailliertes Sittengemälde der damaligen Zeit zu zeichnen, denn das eine Frau, welche einem Maler nackt Modell sitzt, zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Hure beschimpft und von der Dorfgemeinschaft gemieden wird, ist "nachvollziehbar". Das gleiche Schicksal erfährt wenig später auch die Witwe des Postboten Klaver, die sich zunehmend zu Wijnand hingezogen fühlt.
Im Verlaufe seiner "Ermittlungen" stößt Wijnand auf das versteckte Gemälde welches Neel zeigt (warum diese das Bild nicht versteckt bzw. vernichtet hat weis hier leider nur der Autor) und nimmt dieses mit auf sein kleines Schiff. Neel selber findet er in einem kleinen Gasthaus hochschwanger arbeitend, von der Wirtin schikaniert und ohne Kontakte zu ihrem Vater. Lediglich die Mutter besucht sie ab und an. Wijnand fühlt sich zu Neel hingezogen und so entwickelt sich dieser anfängliche Krimiplot zunehmend zu einer "Bestandsaufnahme" der damaligen Zeit ("das Leben auf dem Land"), in der der Schiffer Wijnand zwischen zwei Frauen hin und her schwankt und vor allem darauf wartet, dass sich das Wetter endlich bessert, damit der Eisbrecher den Kanal wieder befahrbar machen kann.
Wer "Der Skandal" als reinen Krimi lesen möchte, wird vermutlich eher enttäuscht sein und braucht zudem viel Zeit und Muße, denn in erster Linie beschreibt der Autor die Handlung mit jenem Tempo, wie man sich den wochenlangen Aufenthalt Wijnands in dem tief verschneiten Dorf vorstellen kann. Alles geht geruhsam seinen Gang, das Leben verläuft halt weiter und was soll schon sonst in Koedijk groß passieren? Zeit genug also für die Dorfbewohner zu tratschen oder die Frau des verstorbenen Klaver zu schikanieren, da sie knapp ein halbes Jahr nach dem Tod ihres Mannes schon wieder "Herrenbesuch" empfängt. Das berühmt-berüchtigte spießige Kleinbürgertum lässt grüßen. Tja, als Krimi zu wenig spannend (man könnte sagen, ein bisschen zäh beziehungsweise langatmig), ansonsten gut geschrieben (das Ende bzw. die "Auflösung" kommt allerdings ein wenig "plötzlich") und für einen ruhigen Abend am Kamin als "normaler Roman" durchaus zu empfehlen.
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