Schneegrab
- Heyne
- Erschienen: Januar 2005
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- Stockholm: Alfabeta / Anamma, 2003, Titel: 'Snögrav', Seiten: 269, Originalsprache
- München: Heyne, 2005, Seiten: 350, Übersetzt: Sigrid Engeler
Lesenswerter skandinavischer Historienkrimi der besonders düsteren Art
Im Ångermanland des schwedischen Spätwinters 1849 kommt es zwischen den Landstreichern und Gelegenheitsdieben Isak Villander und Grels Persson zum Streit um gestohlenes Geld. In Notwehr muss Persson seinen Partner töten. Da dies ohne Zeugen geschah, glaubt der misstrauische und obrigkeitsfeindliche Mann sich nicht verantworten zu müssen und versteckt die Leiche in einer Schneewehe, wo sie erst einige Wochen später gefunden wird.
Die Spur ist buchstäblich kalt, als Harald Morell, der in seiner Funktion als Amtmann die ausgedehnte Pfarrei Anundsjö polizeilich beaufsichtigt, und sein Gehilfe Johan Anundsson an den Ort der Bluttat gerufen werden. Weder Opfer noch Täter wurden gesehen, was die Ermittlungen schwierig macht. Pflichtbewusst befragen Morell und Anundsson trotzdem die Bauern, Knecht und Mägde, die in der dünn besiedelten Gegend ihr karges Auskommen fristen.
Im Armenhaus von Anundsjö keimt in der Pflegerin Greta Sigurdsdotter inzwischen ein schrecklicher Verdacht auf. Die Zahl der Insassen hat sich in diesem harten Winter stark erhöht, was vom neuen Hilfspfarrer Erik Sondelius wegen der damit einhergehenden Steigerung der Unterhaltskosten mit Missfallen zur Kenntnis genommen wird. Gleichzeitig wütet unter den Alten und Kranken eine seltsame Seuche, die sowohl tödlich endet als auch primär dann auftritt, wenn der Herr Hilfspfarrer das Abendmahl austeilt.
Die Anwesenheit des Amtmanns wirkt für Greta wie ein Wink mit dem Zaunpfahl. Bevor sie sich allerdings ein Herz gefasst und Morell informiert hat, liegt sie erstochen im Schnee. Morrell selbst ist es, der aufmerksam wird, doch bis er endlich begreift, was sich in Anundjsö abspielt, bleibt genug Zeit für weitere Verbrechen aus Logik & Leidenschaft ...
"Gut" und "böse" in einer archaischen Welt
Ein Historienkrimi, der zudem in Skandinavien spielt - auf dem aktuellen deutschen Buchmarkt muss diese Kombination wie eine doppelt sichere Bank wirken. Was aus dem hohen Norden kommt und mit Verbrechen zu tun hat, wird in Deutschland zuverlässig gelesen. Dieses Vertrauen ist erfreulich oft gerechtfertigt; auch in diesem Fall ist es so. "Schneegrab" ist ein spannendes Buch, das zudem in seinem historischen Umfeld funktioniert.
Allzu oft machen sich die Verfasser von Geschichten, die in der Vergangenheit spielen, ihre Sache einfach und nutzen die Geschichte als reine Folie für eine Allerweltshandlung. Wird das übertrieben, bemerkt sogar der Laie die daraus resultierenden Misstöne und ist verstimmt. Bigotter Kirchenmann - schöne Rittertochter - tapferer Handwerksbursche - geiler Landvogt: Zwischen den Eckpunkten dieses Klischee-Quadrats spielen sich solche Geschichten häufig ab.
"Schneegrab" spielt nicht nur in der dunklen Jahreszeit, sondern präsentiert darüber hinaus einen düsteren Blick auf das historische Landleben. Von fröhlich verschmitzten, naiv unterhaltsamen Bauersleuten fehlt hier jede Spur. Das Leben ist einfach und entbehrungsreich. Die Sprache unterstreicht es: Holmberg erzählt in sehr kurzen Sätzen. Das Verbrechen kommt ebenfalls schnörkellos daher. Raffinierte Mordgeschichten finden keinen Platz in dieser Umgebung. Dem steht eine noch rudimentäre Kriminalistik gegenüber, die komplexen Ermittlungen nicht gewachsen ist. Morell vertritt in erster Linie das Gesetz in seinem Amtsbezirk. Muss er ihm Genüge verschaffen, ist es nötig auf Bauern zurückzugreifen, die sich in der kalten Jahreszeit als Hilfsgendarmen ein finanzielles Zubrot verdienen. Unter solchen Umständen sind keine kriminalistischen Meisterleistungen à la Sherlock Holmes zu erwarten. Statt dessen ersetzen ganz selbstverständlich Drohungen und Prügel ausgefeilte Verhörmethoden.
Das Leben ist kein vergnüglicher Ort
Mit seinen Figuren macht es Bo Holmberg sich und seinem Publikum generell nicht einfach. Kompromisslos platziert er "Schneegrab" in eine Landschaft und unter Menschen, die gleichermaßen unzugänglich und abweisend sind. Die Pfarrei Amundsjö gilt sogar im Jahre 1849 als zivilisationsferner Ort. Die Menschen bleiben unter sich; jede/r kennt jede/n aber jede/r kontrolliert jede/n auch. Seit Jahrhunderten verläuft das Leben in seinem Trott. Wer geboren ist weiß bereits wie er oder sie leben und sterben wird: nämlich wie seine oder ihre Ahnen und nach vielen Jahren harter Arbeit. Die Menschen sind in ein festes Netz wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Verpflichtungen eingebunden. Kinder setzt man in die Welt, damit sie einem im Arbeitsalltag zur Hand gehen und im Alter versorgen. Frauen heiraten früh, führen den Haushalt, werden Mütter. Zu sagen haben sie wenig, zu arbeiten umso mehr. Man wird in seinen Stand geboren und wird in ihm sterben; ein Aufstieg ist unwahrscheinlich.
Ebenso unmöglich ist es der eigenen Familie zu entkommen. Lisbet Zackrisdotter wünscht sich ein selbst bestimmtes Leben, das sie in bescheidenen Verhältnissen als Magd oder Zofe führen müsste. Stattdessen sieht sie sich an den pflegebedürftigen Vater gefesselt; für ihn und für die Menschen in Lisbeths Umgebung ist dies eine absolute Selbstverständlichkeit. Sie selbst traut sich nur in ihrem stillen Kämmerlein an Ausbruch zu denken. Selbst als der alte Zackris dann tot ist und Lisbet ziehen kann, bleibt ihr ein schlechtes Gewissen.
Auch Johan Amundsson könnte sich ein Leben vorstellen, das nicht wie das seines Vaters und seiner Vatersväter als Bauer verlaufen müsste. Doch Johan ist außerstande dies zu artikulieren; seine Eltern bleiben ahnungslos - es ist wohl auch besser so, da sie aus allen Wolken fallen würden. Seine Verlobte Annika leidet unter den Nachstellungen ihres ehemaligen Liebhabers Daniel Persson. Dieser kann einfach nicht begreifen, dass er seine "Rechte" auf die Frau verwirkt hat. In dieser Welt entscheiden die Männer, wen "ihre" Frauen zu lieben bzw. wem sie zu gehorchen haben.
Ein Leben gegen die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze und Normen birgt das hohe Risiko in sich ausgeschlossen zu werden, was in dieser Zeit und in diesem harten Land durchaus ein Todesurteil sein kann. Not und Elend sind nur allzu reale Drohungen; ein soziales Netz gibt es nicht bzw. nur in Ansätzen; wer nur einigermaßen bei Kräften ist, lebt lieber auf der Straße als sich in eines der wenigen, überfüllten, schmutzigen Armenhäuser zu begeben. Dort hausen die Alten, die Kranken, die Schwachen; sie, die ganz unten auf der gesellschaftlichen Leiter stehen und auf Almosen angewiesen sind, vegetieren als lästig gewordene Mitesser vor sich hin. Vor diesem Hintergrund gewinnt das Verbrechen von Amundsjö aktuelle Bedeutung: Wer jene mordet, die zu versorgen nur noch Pflicht ist, bleibt unbemerkt und wähnt sich sogar in dem Irrglauben ein nützliches Werk zu tun. Auch hier fällt der Mörder schließlich nur auf, weil er sich zu sicher fühlt und jegliche Zurückhaltung fahren lässt.
Bo R. Holmberg, Heyne
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