Der rote Sessel
- Grafit
- Erschienen: Januar 2006
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- Helsinki: Otava, 2004, Titel: 'Punainen pallotuoli', Seiten: 239, Originalsprache
- Dortmund: Grafit, 2006, Seiten: 288, Übersetzt: Regine Pirschel
Ode an die Einsamkeit
Der rote Sessel steht im Schaufenster des Möbelladens "Retrodesign" in der Innenstadt von Helsinki und genau hier ist das Revier von Autorin Outi Pakkanen. Hier führt Werbegrafikerin Anna Laine immer noch ihren Rauhaardackel spazieren und Kommissarin Tanja Ström begibt sich auf die Jagd nach Verbrechern. Aber hinter den Häuserfassaden in den Straßen, durch die täglich tausende Menschen gehen, spielen sich in der Einsamkeit der Bewohner mitunter Dramen und Schicksale ab, die dem vorüber schreitenden überhaupt nicht auffallen.
Auch der rote Sessel steht einsam und unverkäuflich zwischen allem möglichen Krempel aus den 60er und 70er Jahren, die VauPe Vainio in seinem Laden verkauft. Der Retrostil ist angesagt und darum steht VauPe als "künstlerischer Leiter" auch immer wieder in den Klatschspalten der Presse. Aber VauPe ist kein einfacher Charakter und hängt finanziell am Tropf seiner 10 Jahre älteren Frau, die Immobilienmaklerin und auch Inhaberin von Retrodesign ist. Der Künstler und Nonkonformist und die ehrgeizige Karrierefrau — das kann ja nicht gut gehen. Und tatsächlich steht die Ehe der beiden kurz vor dem Ende. Die egoistische Grundeinstellung beider wird schon sehr bald dazu führen, dass beide wieder einsam für sich leben werden und dies offenbar auch einer Partnerschaft vorziehen.
Lauter einsame Menschen
Die beiden sind in diesem Roman aber so ziemlich die einzigen, die es freiwillig in die selbst gewählte Einsamkeit zieht. Alle anderen Charaktere haben schwer mit ihrem Schicksal zu kämpfen:
Da ist die junge, allein erziehende Mutter, die mit ihrer wenige Monate alten Tochter restlos überfordert ist. Zusätzlich sieht sie sich durch ständige Panikattacken ihres Lebensmutes beraubt.
Da ist ihre Freundin, die schlicht zu faul ist, ihr Leben auf eigene Füße zu stellen. Ihr Second Hand Laden existiert nur noch, weil sie ihren Vater finanziell ausnimmt. Aber dann wird sie eifersüchtig, weil ihre einzige Freundin plötzlich jemanden kennen gelernt hat.
Da ist der nicht minder antrieblose Arzt, der sehr dem Alkohol zugeneigt ist. Bei ihm paaren sich schlechtes Gewissen und Angst vor Verantwortung, die ihn in seiner offenbaren Einsamkeit fesseln.
Und da ist eine alte Frau, die sich von ihrer Umwelt nicht wahrgenommen fühlt, dabei doch so viel Liebe zu verschenken hätte. In ihrer Gluckenhaftigkeit geht sie dabei jedem, der nicht schnell genug die Flucht ergreift, nach kürzester Zeit auf die Nerven.
Die Handlung ist schnell erzählt: eine der Personen verschwindet plötzlich und unerwartet. Zwischen den anderen Charakteren wächst das Beziehungsgeflecht zusehends: jeder steht mit jedem irgendwie in Bezug. Aber eine der Personen tickt letztlich doch noch mal eine deutliche Portion anders und ist für das Verschwinden verantwortlich.
Soziale Studien
Wiederum erzählt Outi Pakkanen einen ruhigen Krimi, der sich eindeutig im Cozy-Genre einordnen lässt. Die Charaktere ihrer Protagonisten sind sehr gründlich durchdacht und durch ihren sehr leisen, unaufdringlichen Erzählstil angemessen dem Leser vermittelt. Sie schafft es sogar gelegentlich und in Ansätzen die Kapitelenden mit so genannten Cliffhangern zu versehen, die jedoch alle relativ unspektakulär versanden. Hier steht einfach keine knallharte Action, sondern neben tiefgründigen Charakteren auch eine Gesellschaftsstudie im Vordergrund: Die Einsamkeit in der Großstadt, in der unmittelbaren Umgebung von tausenden von Menschen. Besonders bedrückend dabei, wie eine Protagonistin sich quasi unsichtbar und nicht wahrgenommen fühlt.
Was sich Pakkanen inzwischen sparen könnte: Dass Anna Laine mit ihrem Rauhaardackel immer noch sporadisch auftaucht. Die Heldin aus den ersten Romanen der Serie leistet nun schon zum wiederholten male keinen Beitrag zur Handlung. Ebenso zweifelhaft ist die Rolle, die Kommissarin Tanja Ström einnimmt. Ihr Beitrag zur Auflösung des Falles tendiert ebenfalls gegen Null. Der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel, aber falls hier Effekthascherei betrieben werden soll, falls das Wiedererkennen altbekannter Figuren Leser binden soll, so muss sich die Finnische Autorin schon ein wenig mehr einfallen lassen. Zumindest eine kleine persönliche Weiterentwicklung darf ein treuer Leser einer Serie doch schon erwarten.
Outi Pakkanen, Grafit
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