Der Mörder mit der schönen Handschrift

  • Fischer
  • Erschienen: Januar 2006
  • 4
  • Paris: Denoël, 1986, Titel: 'Les courriers de la mort', Seiten: 416, Originalsprache
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2006, Seiten: 421, Übersetzt: Jörn Albrecht
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2015, Seiten: 422
Der Mörder mit der schönen Handschrift
Der Mörder mit der schönen Handschrift
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Eva Bergschneider
78°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2006

Provence, Poesie und ein tief verwurzeltes Verbrechen

"Der Mörder mit der schönen Handschrift" überbringt seine Todesbotschaft in einem kaputten Briefkasten auf dem Friedhof von Barles, wo der pensionierte Postzusteller Emile Pencenat gerade sein eigenes Grab aushebt.
Mit dieser bizarren Szene beginnt Pierre Magnan seinen außergewöhnlichen Krimi, der in der Region Basse Alpes der Provence spielt, einer eigentümlichen Gegend, aus der der Autor selbst stammt.

Dieser Kriminalroman ist der Siebte mit dem hier pensionierten Kommissar Laviolette als Ermittler, einem eigenbrötlerischen Typ, der von seinem Freund, dem Untersuchungsrichter Chabrand, immer wieder in ungewöhnliche Fälle hineingezogen wird.Laviolette ist ein stiller, bedächtiger Mann mit gesundem Appetit, der seine Zigaretten selbst in der Maschine dreht und einen alten grünen Ford Vedette fährt . Er ist ein scheinbar harmloser, etwas skurriler Zeitgenosse, den man, was kriminalistisches Gespür und Menschenkenntnis angeht, allerdings nicht unterschätzen sollte.

Die gleiche Todesbotschaft für drei reiche Damen, die ein altes Familiengeheimnis hüten

Der ehemalige Postzusteller Emile Pencenat fühlt sich immer noch verpflichtet, Briefe ordnungsgemäß zu zustellen. So nimmt er den Briefumschlag, der durch den kaputten Briefkasten auf den Boden gefallen ist, an sich, bewundert die besonders schönen, exakt geschriebenen Buchstaben darauf und gibt ihn auf dem Postamt in Barles auf. Wenig später wird die Adressatin dieses Briefes, eine Nachfahrin der Familie Melliflore mit einem Bajonett erstochen aufgefunden. Veronique Champourcieux hat ihren Mörder erwartet, sie saß mit einem Damenrevolver in ihrem Haus in Digne am Klavier und spielte Brahms, der Brief steckte in den Notenblättern. Warum nur hat der Mörder den Klavierhocker mitgenommen?

Ein weiterer Brief in kunstvoller Schrift wird auf dem Friedhof in Barles abgegeben und wieder leitet der ehemalige Postzusteller ihn weiter, diesmal an Ambroisine Larchert, die Cousine der zuvor ermordeten Veronique. Auch sie erwartete den Besuch des Mörders und versuchte gerade einen Gegenstand im Brunnen verschwinden zu lassen, als der schwere Deckel ihr das Genick brach.Veronique Champourcieuxs Schwester Violaine Maillard macht keinen Hehl daraus, dass sie die Alleinerbin ihrer ungeliebten Verwandten ist. Nach beiden Morden taucht sie unvermittelt auf und deutet auf Nachfrage, den beiden Ermittlern gegenüber an, sie habe "eine Kinderei" in Sicherheit gebracht. Aber auch Violaine erhält einen in Schönschrift adressierten Brief.

Laviolette recherchiert ein mehrere Generationen umspannendes Unrecht

Der Untersuchungsrichter Chabrand bittet Laviolette nach dem Mord an Veronique Champourcieux um Hilfe, weil er keinen Anhaltspunkt für ein Motiv finden kann. Um das herauszufinden, bedarf es jemanden, der genau weiß, wie die Menschen in diesem Teil der Haute Provence ticken. Bei seinen Recherchen, in dem Dorf Barles stößt Laviolette erst mal auf eine Mauer eisigen Schweigens und kreativer Ausflüchte. Doch der Kommissar im Ruhestand weiß, wie man mit diesem verschrobenen, maulfaulen Typus umgeht, denn er ist nach den langen Dienstjahren in Digne inzwischen einer von ihnen. Die Dorfbewohner tun alles, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten, denn das Leben ist an einem so isolierten, einsamen Orten nicht gerade einfach. Dunkle Geheimnisse im Verborgenen zu belassen, ist zur festen Gewohnheit geworden. Schließlich findet Laviolette einen hochbetagten ehemaligen Arzt, der einiges über die dunklen Hintergründe alteingesessener Familien in Barles zu sagen hat. Er wird seine Geschichte nicht mehr zu Ende erzählen können, da er plötzlich verstirbt. Laviolette deckt nach und nach ein über Generationen vererbtes Unrecht auf. Chabrand hat zunehmend Mühe, diese Informationen aus seinem Freund heraus zu bekommen, denn der ehemalige Kommissar scheint immer weniger Interesse daran zu haben, den mehrfachen Mörder zu überführen und der Justiz zu über stellen.

Extravagante, literarisch hochwertige Kriminalliteratur, die vom Leser Geduld erfordert

Der Tathergang scheint ewig zu dauern. Kein Schritt des Mörders, kein Gedanke oder Gefühl des Opfers wird dem Leser vorenthalten. Mancher Leser mag sich bei dem Gedanken ertappen: "Wann erledigt er sie endlich?", das Tempo ist besonders auf den ersten 100 Seiten nahezu quälend langsam. Und trotzdem lohnt sich das Durchhalten, denn am Ende wird mancher Leser feststellen, dass "Der Mörder mit der schönen Handschrift" ein ungewöhnlich tiefgründiges, zum Ende beinahe unerträglich spannendes Werk und ein wahrer literarischer Leckerbissen ist. Der Spannungsbogen nimmt einen exponentiellen Verlauf, die Steigerung ist zunächst kaum wahrnehmbar und erhöht sich schließlich rasant.
Der Autor bemüht sich nicht darum, dem Leser seine Geschichte einfacher zugänglich zu machen oder ihn mit Spannungselementen bei Laune zu halten. Pierre Magnans außergewöhnliches literarisches Spektrum ermöglicht ihm, in einem sehr widersprüchlichen Stil zu schreiben, romantisch und melancholisch-grotesk, chauvinistisch, bizarr, voller Poesie und mit feinsinnigem Humor.

"Diese Verbrechen", schreibt der Autor, "und Kommissar Laviolette sind für mich ein Mittel, um eine Stimmung einzufangen, eine Abenddämmerung, ein Morgengrauen über dieser kargen, einsamen, tragischen Landschaft der Haute Provence."

"Der Mörder mit der schönen Handschrift" wird nicht jeden Krimi-Liebhaber begeistern. Der Nicht-Frankreichkenner hat mit vielen Zitaten, Namen und Orten, die zum großen Teil auch nicht übersetzt werden, so seine Schwierigkeiten. Wer dennoch Zugang zu diesem extravagantem Werk findet, erlebt fesselnde Unterhaltung auf höchstem Niveau und eine faszinierende Reise in die Seele der Haute Provence.

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Pierre Magnan, Fischer

Der Mörder mit der schönen Handschrift

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